EU-Gipfel beschließt größeren Rettungsschirm und engere Abstimmung der Wirtschaftspolitik. Die vier wichtigsten Punkte im Überblick.

Hamburg. Es ist das umfassendste Reformpaket für den Euro seit Einführung der Gemeinschaftswährung im Jahr 1999: Am Freitag einigten sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union (EU) auf eine Reihe von Maßnahmen, um den Euro vor dem Hintergrund der bedrohlich hohen Staatsverschuldung in einigen Mitgliedstaaten stabiler zu machen. "Das ist ein ganz wichtiger Schritt", sagt Kai Carstensen, Konjunkturchef des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, dem Abendblatt. "Es ist der Versuch, einen dauerhaften Krisenmechanismus einzurichten. Allerdings gehen die Beschlüsse an einigen Stellen nicht weit genug und zum Teil in die falsche Richtung." Dies sind die vier wichtigsten Punkte des Reformwerks:

Aufstockung des Rettungsschirms : Der aktuelle, bis zum Jahr 2013 befristete Hilfsfonds EFSF, den bislang nur Irland in Anspruch genommen hat, soll künftig über ein Kreditvolumen von 440 Milliarden Euro verfügen, bisher sind es nur 250 Milliarden Euro. Bis zum Sommer soll geregelt werden, wie dies durch weitere Garantien umgesetzt wird - die finnische Regierung steht vor Neuwahlen und will derzeit keine neuen Zusagen machen. Auch auf Deutschland, das bisher Garantien von rund 120 Milliarden Euro beisteuert, kommen zusätzliche Verpflichtungen zu. Außerdem haben sich die Politiker grundsätzlich darauf verständigt, die Zinsen für die Hilfskredite zu reduzieren. Damit will man "Peripherieländern" helfen, die Schuldenlast zu tragen.

Trotz des Rücktritts von Ministerpräsident José Sócrates in Portugal will das Land zwar weiter ohne die Hilfe des Rettungsfonds auskommen. Nachdem aber Ratingagenturen die Bonitätsnoten absenkten, nimmt der Druck zu, doch unter den Schirm zu schlüpfen. Für Griechenland war ein separater Rettungsfonds eingerichtet worden.

Permanenter Krisenfonds : Mitte 2013 wird der auf Dauer angelegte Hilfsfonds ESM, der Darlehen von bis zu 500 Milliarden Euro vergeben kann, den befristeten EFSF ablösen. Am Kapitalstock des Hilfsfonds wird Deutschland mit knapp 22 Milliarden Euro beteiligt - wobei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) durchsetzte, dass dieses Geld nicht auf einen Schlag, sondern ab 2013 in fünf Jahresraten überwiesen wird. Auf Beschluss des EU-Gipfels wird der ESM niedrigere Zinsen verlangen als der bisherige Fonds. Beide werden den Krisenländern frisch emittierte Staatsanleihen direkt abkaufen können.

Carstensen bemängelte, dass für Finanzhilfen keine zeitliche Befristung vorgesehen ist. Außerdem sei noch immer unklar, wie ein teilweiser Forderungsverzicht privater Anleiheinvestoren im Fall einer Staatspleite aussehen soll: "Man muss befürchten, dass es dazu nie kommen wird, weil die Hürden zu hoch sind."

Härterer Stabilitätspakt : Nach Eröffnung eines Defizitverfahrens können künftig wesentlich schneller Geldstrafen verhängt werden. Zudem drohen Sanktionen nicht nur bei einer zu hohen Neuverschuldung von mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP), sondern auch dann, wenn die Schuldenquote über 60 Prozent liegt und zu langsam sinkt. Nach Auffassung von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer sind dies Änderungen, die den Stabilitätspakt "nicht hart, aber doch etwas weniger weich machen".

Wettbewerbspakt "Euro Plus" : Die 17 Euro-Länder wollen ihre Wirtschaftspolitik besser abstimmen, freiwillig mitmachen wollen Polen, Bulgarien, Dänemark, Rumänien, Litauen und Lettland. So sollen die Löhne im Einklang mit der Produktivität steigen und das Renteneintrittsalter an die gestiegene Lebenserwartung angepasst werden. Alle Maßnahmen erfolgen aber in nationaler Regie, Sanktionen gibt es nicht. "Das ist heiße Luft", urteilt Carstensen. "Damit will man den Deutschen und den Franzosen schmackhaft machen, dass sie mehr zahlen müssen."

Alles in allem habe der EU-Gipfel die Transferunion vertieft, meint Krämer, vor allem durch die Entscheidung, die Zinsen für die Hilfskredite zu senken, und weil man den Hilfsfonds erlaube, den Finanzministern der Problemländer direkt Staatsanleihen abzukaufen. Damit hätten die bonitätsstarken Länder einen Teil ihrer Kreditwürdigkeit auf die schwachen übertragen - "und das schafft Anreize, dass ein Land auf Kosten der anderen lebt und unsolide haushaltet".

Auch Carstensen bleibt skeptisch: "Die Beschlüsse werden keine Anspannung aus den Finanzmärkten nehmen."