Lokführer legen zwischen 4 und 10 Uhr den Personenverkehr lahm. Arbeitsniederlegungen im Güterverkehr treffen auch Hamburger Hafen.

Hamburg. Für Norbert Quitter ist die Zeit der Zurückhaltung endgültig vorbei: "Bisher haben wir mit Augenmaß gearbeitet, doch jetzt wird es Zeit, die Gangart gegenüber den Arbeitgebern zu verschärfen", sagte der Vizevorsitzende der Lokführergewerkschaft GDL gestern dem Abendblatt. Daher habe man sich entschlossen, erstmals Güter- und Personenzüge gleichzeitig zu bestreiken.

Für die deutschen Bahnfahrer ist das eine ganz bittere Nachricht: Sie müssen sich heute früh zwischen 4 und 10 Uhr erneut auf erhebliche Beeinträchtigungen im Zugverkehr einstellen. In Hamburg trifft der Streik vor allem die Berufspendler mit voller Wucht. Lutz Schreiber, bei der Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL) Vorsitzender des Bezirks Nord, sagte: "Seit 4 Uhr steht ein Großteil der Züge still. Wir gehen davon aus, dass sich allein in Norddeutschland mehr als 400 Lokführer an dem Streik im Personen- und Güterverkehr beteiligen." Nach Angaben des Bezirksleiters fuhren die S-Bahnen in Hamburg bis 5.30 Uhr noch im Zehnminutentakt. Bis zum Vormittag sollten die Bahnen nur noch alle 20 Minuten in der Hansestadt verkehren. Die Linien S2 und S11, eigentlich als zusätzliche Züge im Berufsverkehr gedacht, fielen komplett aus. Wie eine Sprecherin der Bahn abendblatt.de mitteilte, wird sich der Nahverkehr voraussichtlich gegen Nachmittag normalisieren, der Fernverkehr wahrscheinlich erst gegen Abend.

Am Montag hatte die GDL bekannt gegeben, dass mehr als 90 Prozent ihrer Mitglieder in einer Urabstimmung für einen unbefristeten Streik votierten. Die Gewerkschaft kämpft für einen einheitlichen Tarifvertrag für alle Lokführer, bessere Absicherung bei Berufsunfähigkeit und höhere Gehälter. "Seit Bekanntgabe des Ergebnisses der Urabstimmung hat sich auf der Arbeitgeberseite nichts bewegt", sagte Quitter. Die Arbeitgeber müssten endlich ein "verhandlungsfähiges Angebot vorlegen".

Der Personalvorstand der Deutschen Bahn, Ulrich Weber, kritisierte den Arbeitskampf der Lokführer hingegen als "immer absurder". Die GDL wolle Druck auf die Bahn-Wettbewerber im Personenverkehr ausüben und bestreike dafür den Schienengüterverkehr der Deutschen Bahn. "Das versteht kein Mensch mehr", so Weber. Er forderte die GDL auf, sofort an den Verhandlungstisch zurückzukehren. "Die Beeinträchtigungen für unsere Kunden, unser Unternehmen und die Wirtschaft sind verantwortungslos."

Bereits gestern Abend um 20 Uhr begann der Streik im Güterverkehr, der die ganze Nacht über dauern sollte. Die Bedeutung des Güterverkehrs für den Umschlag auf den Terminals ist enorm: Rund ein Drittel aller Waren, die per Schiff in Hamburg ankommen, werden auf der Schiene weitertransportiert. Rund 200 Züge mit 5000 Waggons verlassen den Hafen im Normalfall täglich. Insgesamt blieben in Deutschland rund 240 Güterzüge liegen. Die Versorgung von Kraftwerken, Hochöfen und anderen zentralen Industrien wurde dennoch gewährleistet. Am Montag hatte die GDL bekannt gegeben, dass mehr als 90 Prozent ihrer Mitglieder in einer Urabstimmung für einen unbefristeten Streik votierten. Die Gewerkschaft kämpft für einen einheitlichen Tarifvertrag für alle Lokführer, bessere Absicherung bei Berufsunfähigkeit und höhere Gehälter.

"Wir steuern den Zugverkehr im Hafen so, dass die Hauptgleise auch während des Streiks nicht blockiert werden", sagte eine Sprecherin der Hafenverwaltung Hamburg Port Authority dem Abendblatt. Allerdings sei es schwierig, die Auswirkungen des Arbeitskampfes genau abzuschätzen, da neben der Bahn-Tochter DB Schenker noch rund 80 weitere Unternehmen Waren auf den Gleisen der Hafenbahn transportieren. Der größte Terminalbetreiber HHLA erwartete keine größeren Beeinträchtigungen beim Abfertigen der Schiffe.

Die Deutsche Bahn wollte trotz der Streiks im Güterverkehr vor allem die Versorgung von Hochöfen und Kraftwerken mit einem Notfallfahrplan sichern. Es könne Verspätungen und Zugausfälle geben, einen Stillstand jedoch nicht, sagte Logistikvorstand Karl-Friedrich Rausch.

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) wies darauf hin, dass jeder zweite Neuwagen, der vom Band rolle, anschließend mit der Bahn transportiert werde. Auch beim Transport von Teilen sei die Schiene wichtig. Kurze Zeit könne man zwar die Logistik umstellen. "Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass es zu vorübergehenden Engpässen kommen kann."

Die Wirtschaftsvereinigung Stahl betonte, dass die Stahlindustrie der größte Kunde der Bahn sei. Man habe die Logistik systematisch auf den Verkehrsträger ausgerichtet und sei in hohem Maße auf ihn angewiesen. "Ein längerer Streik im Schienengüterverkehr würde den Stahlunternehmen erhebliche Probleme bereiten", sagte eine Sprecherin der Vereinigung Stahl. Deutschlands größter Stahlkonzern ThyssenKrupp gab sich dagegen gelassen, da man einen Teil der Logistik mit eigenen Lokführern organisiere, die nicht der GDL angehörten.

Besorgt zeigte sich auch der Verband der Exporteure: Der Streik könne zwar ein, zwei Tage getragen werden. Ab fünf Tagen koste er der Gesamtwirtschaft aber 100 Millionen Euro pro Tag, nach zwei Wochen etwa 200 Millionen Euro täglich, sagte Außenhandelspräsident Anton Börner. Zuvor hatte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) vor einem Riss in der Produktionskette gewarnt. Besonders die schnelle sogenannte Just-in-time-Produktion mache anfälliger.

Der Chemieriese BASF hat sich bereits gegen Streiks gewappnet, seine Lager aufgestockt und Lieferungen an Kunden möglichst vorgezogen. Auch hier wurde eine Umstellung auf die Straße erwogen. BASF wickelt ein Viertel seines Güterverkehrs per Schiene ab.