Reisende müssen bereits ab morgen mit Beeinträchtigungen rechnen. Gewerkschaft lehnt Schlichter ab

Frankfurt/Hamburg. Klein, stark, schwarz: Als Kaffee wäre die Lokführergewerkschaft GDL wohl ein Espresso. Gerade mal 34 000 Mitglieder zählt die Organisation, doch die schicken sich nun einmal mehr an, den Zugverkehr in Deutschland komplett zum Erliegen zu bringen. Bei der gestrigen Urabstimmung stimmten über 90 Prozent der Gewerkschafter für reguläre Streiks. "Noch in dieser Woche werden wir den nächsten Arbeitskampf einleiten", kündigte der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky an.

Für Bahnreisende ist das, was sich da zusammenbraut, ausgesprochen unbekömmlich. Zwar soll diesmal vor allem der Güterverkehr in den Vordergrund gerückt werden. Aber auch der Personenverkehr werde betroffen sein, sagte Weselsky. Heute soll es allerdings noch keine Streiks geben. Reisende werden wie bei den vorangegangenen Warnstreiks zwölf Stunden vor Beginn der Arbeitskämpfe über die künftigen Schritte informiert. Ein Sprecher wollte gegenüber dem Abendblatt nicht ausschließen, dass es auch in Hamburg und Norddeutschland zu Arbeitsniederlegungen kommen kann.

"Die Arbeitgeber sind aufgefordert, endlich verhandlungsfähige Angebote einzureichen", sagte Weselsky. Eine Schlichtung lehnte er zum gegenwärtigen Zeitpunkt ab. Insgesamt stimmten nach Angaben der GDL mehr als 92 Prozent der GDL-Mitglieder bei der Deutschen Bahn und 96 Prozent der Mitglieder bei den Privatbahnen für Streiks. Die Wahlbeteiligung habe 81 Prozent betragen. "Das ist ein deutliches Signal an alle Arbeitgeber in Eisenbahnverkehrsunternehmen", sagte Weselsky. Den früheren SPD-Fraktionschef Peter Struck lehnte die Gewerkschaft als Schlichter ab. Struck, der bereits einen Branchentarifvertrag im Regionalverkehr vermittelt hatte, hatte sich auch in diesem Tarifkonflikt erneut als Schlichter angeboten.

Die Deutsche Bahn forderte die Gewerkschaft hingegen auf, die Tarifgespräche wieder aufzunehmen. "Der Gordische Knoten kann nur auf dem Verhandlungsweg zerschlagen werden", so Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber. Worum geht es der GDL? Die Gewerkschaft, der rund drei Viertel der 26 000 Lokführer angehören, fordert einheitliche Tarifbedingungen auf dem Niveau der Deutschen Bahn. In einem Flächentarifvertrag soll ein Entgelt festgeschrieben werden, das auf dem Niveau der Deutschen Bahn plus einer Lohnerhöhung von fünf Prozent liegt. Die privaten Konkurrenten zahlen derzeit bis zu 30 Prozent weniger Gehalt. Die seit Sommer andauernden Verhandlungen sind festgefahren, mehrere Privatbahnen wollen nicht mehr gemeinsam mit der GDL sprechen. Stattdessen muss die Gewerkschaft nun mit jedem Unternehmen einzeln verhandeln. Neben der Hamburger-Hochbahn-Tochter Benex zählen zu ihnen auch die Firmen Abellio, Arriva, HLB, Keolis und Veolia.

Der Geschäftsführer der Kieler Nord-Ostsee-Bahn, Andreas Winter, bezeichnete das Verhalten der GDL gegenüber dem Abendblatt als "nicht nachvollziehbar". Sein Unternehmen sei bereits seit Monaten gesprächsbereit. "In der Frage der Löhne liegen wir nicht so weit auseinander, als dass es nicht zu einer Einigung kommen könnte", so Winter. Es sei nicht notwendig, den Konflikt auf dem Rücken der Reisenden auszutragen. Allein die Warnstreiks, die unter anderem zu Beeinträchtigungen auf der Strecke Hamburg-Westerland führten, hätten die Nord-Ostsee-Bahn 100 000 Euro gekostet.

Neben Kritik aus der Wirtschaft distanzierte sich auch der Fahrgastverband Pro Bahn von der GDL. "Es kann nicht sein, dass die Bahnkunden von der Gewerkschaft der Lokführer in Geiselhaft genommen werden", kritisierte der Verbandsvorsitzende Karl-Peter Naumann gegenüber dem Abendblatt. Offenbar wolle sich die kleinere Lokführergewerkschaft gegenüber der größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft profilieren. Er forderte die GDL auf, künftig nach "anderen Protestformen" zu suchen, die die Bahnfahrer nicht so stark belasteten. "Es sollte zumindest ein Notfahrplan erstellt werden, der den Reisenden eine gewisse Planungssicherheit garantiert."

Der dritte bundesweite Warnstreik der Lokführer am Freitag hatte zu erheblichen Beeinträchtigungen geführt. Hunderttausende Berufspendler und Wochenendreisende mussten Zugausfälle oder massive Verspätungen hinnehmen.