Die Teuerung bei Großhändlern ist auf 9,5 Prozent hochgeschnellt. Experten erwarten eine Inflationsraten von bis zu fünf Prozent.

Hamburg. Das Gespenst der Inflation könnte schneller wieder erscheinen als bisher von vielen Experten erwartet. Darauf deuten neue Daten hin, die das Statistische Bundesamt gestern veröffentlicht hat: Die Großhandelspreise, die ein Indikator für die künftige Entwicklung der Verbraucherpreise sind, zogen im vergangenen Jahr um 5,9 Prozent an und damit so stark wie seit fast drei Jahrzehnten nicht mehr. Aufhorchen lässt vor allem der drastische Anstieg gegen Jahresende: Für den Dezember meldet die Behörde eine Teuerung von 9,5 Prozent verglichen mit dem Vorjahresmonat.

Größte Preistreiber waren die Produktgruppen Getreide/Saaten/Futtermittel mit einer Verteuerung von mehr als 20 Prozent im Jahresschnitt sowie Erze/Metalle/Metallhalbzeug und Kohle/Mineralölerzeugnisse mit einem Plus von je gut 14 Prozent. Obst, Gemüse und Kartoffeln wurden im Großhandel um knapp neun Prozent teurer.

Für Edgar Walk, Chefvolkswirt beim Bankhaus Metzler, passen diese Zahlen ins Bild: "Wir sehen jetzt die Schattenseiten des sehr starken Wachstums in den Schwellenländern", sagt er dem Abendblatt. Dieses führe zu einer deutlich steigenden Nachfrage nach Rohstoffen, der nur ein begrenztes Angebot gegenüberstehe. Getrieben durch diesen Faktor sei eine Inflationsrate in Deutschland von drei Prozent schon im Jahresschnitt 2011 "durchaus möglich", gegen Jahresende könnten es sogar mehr als vier Prozent sein. Damit wäre die Obergrenze von zwei Prozent, bis zu der die Europäische Zentralbank (EZB) von Preisstabilität spricht, klar überschritten. Bereits im Dezember ist die Inflationsrate im Euro-Raum vor allem wegen höherer Energiepreise überraschend auf 2,2 Prozent gestiegen, in Deutschland lag sie bei 1,7 Prozent.

Zumindest für 2011 rechnen die meisten Volkswirte bislang dennoch mit einem Verbraucherpreisanstieg in der Bundesrepublik von höchstens rund zwei Prozent. Anders sieht es für die Zeit danach aus. "In den nächsten Jahren könnten wir Inflationsraten von drei, vier oder fünf Prozent sehen", sagt Jochen Intelmann, Chefvolkswirt der Haspa. Mehrere Gründe sprächen dafür: "Die Großhandelspreise werden auf die Verbraucherebene durchschlagen, infolge höherer Tarifabschlüsse ist eine Lohnpreisspirale nicht auszuschließen, hinzu kommt die importierte Inflation, weil in China die Einkommen kräftig zulegen."

Auch nach Einschätzung von Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI), "mehren sich Anzeichen, dass die Preisstabilität in Deutschland an ihr Ende kommt" und die Inflation in den nächsten Jahren die Zwei-Prozent-Marke deutlich übersteigt. "Erfahrungsgemäß lässt sich der Geist, der jetzt aus der Flasche zu kriechen beginnt, nicht so schnell wieder einsperren", so Straubhaar. "Man muss früh reagieren, was für die EZB aber alles andere als einfach ist." Schließlich müssten die Währungshüter auch die Situation in den Euro-Ländern, die wegen der Schuldenkrise mit konjunkturellen Problemen kämpfen, berücksichtigen. "Meine Sorge ist groß, dass sich die EZB bei ihren Zinsentscheidungen an einem Durchschnitt orientieren wird und damit Inflationserwartungen schürt."

Negative Effekte setzen nach Auffassung von Straubhaar aber bereits bei Überschreiten einer Preissteigerungsrate von zwei Prozent ein. Leidtragende seien dabei nicht nur die Sparer, sondern auch Geringverdiener, vor allem aber Rentner und Hartz-IV-Empfänger: "Inflation bedeutet eine Zerstörung von Transfereinkommen. Schon fünf oder zehn Euro weniger Kaufkraft im Monat machen sich bei diesem Personenkreis schnell bemerkbar." Darüber hinaus komme es zu einer Umverteilung von Gläubigern zu Schuldnern.

Verantwortlich für die deutlich steigenden Großhandelspreise seien offensichtlich nicht zuletzt "Anleger, die sonst in andere Vermögensklassen investieren, sich nun aber für Rohstoffe interessieren und hier für zusätzliche Nachfrage sorgen", meint der HWWI-Direktor. "Angesichts der wachsenden Weltbevölkerung ist das auf längere Sicht auch eine durchaus kluge Strategie." Auch Walk beobachtet eine zunehmende spekulative Nachfrage. So gebe es seit wenigen Wochen börsengehandelte Kupferfonds nach dem Muster der bereits etablierten Goldfonds. Doch mindestens so bedeutend seien fundamentale Faktoren: "In den vergangenen 30 Jahren hat man viel zu wenig Geld in die Erschließung neuer Ölquellen investiert." Bei den Nahrungsmitteln sehe es nicht besser aus: "In China stagniert die Produktion von Lebensmitteln seit drei Jahren, obwohl die Nachfrage mit dem steigenden Wohlstand zunimmt."