4500 Arbeitsplätze hat die Hamburger Versicherungsbranche schon gestrichen, Tendenz steigend. Die Politik ist mitverantwortlich.

Hamburg. Nach schwierigen Jahren kann die deutsche Versicherungswirtschaft wieder beachtliche Wachstumsraten präsentieren. Für 2010 erwartet sie eine Zunahme der Beitragseinnahmen um 4,7 Prozent - vor allem getrieben durch die starke Nachfrage nach Policen mit Einmalbeiträgen, die vor dem Hintergrund der Finanzkrise als sichere Geldanlage galten. Gestern ernteten die Versicherer sogar ein Lob von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): Die Assekuranz sei sehr gut durch die Krise gekommen und habe eine stabilisierende Wirkung auf die Finanzmärkte gehabt.

Doch dies kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Versicherungsstandort Hamburg leidet. Im Vergleich zum Jahr 1997 sind mehr als 4500 Arbeitsplätze verloren gegangen, allein in den zurückliegenden drei Jahren verschwanden mehr als 1500 Jobs. Und die Tendenz setzt sich offenbar fort: Bei dem Kreditversicherer Euler Hermes steht ein radikaler Umbau der Strukturen bevor, Planungen sehen den Abbau von bis zu 300 der rund 1520 Stellen in Hamburg vor, wie ein Firmensprecher dem Abendblatt sagte.

"Die Versicherer vollziehen das nach, was die Banken vorgemacht haben", sagt Berthold. Bose, Leiter des Fachbereichs Finanzdienstleistungen der Gewerkschaft Ver.di in Hamburg. So würden nicht nur Jobs abgebaut, sondern komplette Bereiche in Tochtergesellschaften ausgelagert, die nicht mehr dem Branchentarif unterliegen, sondern ihre Mitarbeiter zu schlechteren Konditionen beschäftigen.

München und Köln sind die Gewinner, Hamburg ist der Verlierer

Die Hansestadt hat aber nicht nur Arbeitsplätze verloren, sondern auch Leitungskompetenzen: Die frühere Hamburg-Mannheimer ist inzwischen vollständig im Düsseldorfer Ergo-Konzern aufgegangen und in diesem Zuge musste die legendäre Werbefigur "Herr Kaiser" weichen. Unter dem traditionsreichen Namen Volksfürsorge gibt es nur noch eine Vertriebsgesellschaft innerhalb der Münchner Generali-Gruppe, ihrerseits eine Tochter der italienischen Assicurazioni Generali.

"Die Zentralisierung hat in Hamburg heftige Spuren hinterlassen", sagt Bose. "Hamburg hat verloren, München und Köln haben gewonnen." Generell werde allerdings die Geschäftspolitik der großen Anbieter häufig nicht mehr in Deutschland festgelegt. Das gilt sogar für die Euler Hermes, die zwar zum Branchenriesen Allianz gehört, aber über dessen Frankreich-Tochter gesteuert wird.

Für den Bedeutungsverlust Hamburgs ist auch die Politik verantwortlich

Aus der zunehmenden Zentralisierung resultieren "unternehmerische Entscheidungen, die im Zusammenspiel mit dem technologiegetriebenen Strukturwandel in der Branche dazu führen, dass Standorte jenseits der Konzernzentralen eher nachteilig betroffen sind - und damit unter anderem auch Hamburg", räumt auch Susanne Meinecke, Sprecherin der Wirtschaftsbehörde, ein.

Auffällig ist zudem, dass gerade die börsennotierten Unternehmen in den vergangenen Jahren Stellen in Hamburg abgebaut haben, während die Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit ihre Belegschaft ausweiteten. Das gilt für die HanseMerkur ebenso wie für die Signal-Iduna, die sich mit der Krankenversicherungssparte des Deutschen Rings, einer Tochter des Schweizer Baloise-Konzerns, zusammengeschlossen hat. Die HanseMerkur ist heute der einzige bedeutende Versicherer, der aus Hamburg heraus geleitet wird, die Signal-Iduna hat einen Doppelsitz in Dortmund und Hamburg.

Für den Bedeutungsverlust des Versicherungsstandorts Hamburg sei aber auch die Politik mitverantwortlich, meint Bose: "Es ist zu wenig getan worden, um die Stadt für die Branche attraktiv zu machen." Unter anderem habe man nicht genug darauf geachtet, für eine effektive Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und der Branche zu sorgen. "Dass Hamburg nach Anzahl der Mitarbeiter nur noch der drittgrößte Versicherungsstandort in Deutschland ist, beruht auf Fehlern, die vor 20 bis 25 Jahren gemacht wurden", sagt auch Fritz Horst Melsheimer, Chef der HanseMerkur. "Es wurde versäumt, eine unternehmensfreundliche Standortpolitik zu betreiben."

Eine Wende zum Besseren erhofft man sich von dem vor drei Jahren gegründeten Verein Finanzplatz Hamburg, der unter dem Dach der Handelskammer eine bessere Vernetzung zwischen dem Senat, den Unternehmen und der Wissenschaft bewirken soll. Vor wenigen Tagen ist Melsheimer als Nachfolger des früheren Handelskammer-Präses und Ex-Haspa-Chefs Karl-Joachim Dreyer zum Vorstandsvorsitzenden des Vereins gewählt worden. "Gerade die Ausbildung steht im Fokus der Initiative", sagt Walter Dening, Referent in der Abteilung Finanzwirtschaft der Handelskammer. "Wir haben Ideen für ganz neue Handlungsfelder."

Bei den Versicherungsmaklern ist Hamburg noch Spitze

Darüber hinaus will man eine der Stärken Hamburgs weiter ausbauen: Hamburg ist nach den Worten von Melsheimer Deutschlands bedeutendster Standort für Versicherungsmakler. 4277 Vermittler sind nach Angaben der Handelskammer in der Stadt registriert. So hat die Aon-Gruppe ihre Deutschland-Zentrale mit rund 680 Beschäftigten in Hamburg, ein weiterer großer Arbeitgeber aus diesem Bereich ist die Hamburger Funk-Gruppe mit etwa 300 Mitarbeitern in der Stadt.

"Auch wenn das Ziel, Unternehmenszentralen von Versicherungen nach Hamburg zu holen, unrealistisch ist, so bleibt es doch vordringliche Aufgabe, die vielen Arbeitsplätze in der Versicherungsbranche zu erhalten", sagt Melsheimer. Als Beispiel dafür, dass dies gelingen kann, führt Behördensprecherin Meinecke die Allianz an: Der Konzern wollte seine Hamburger Niederlassung nach Oststeinbek verlagern, konnte aber gerade noch umgestimmt werden. "Mir wäre dennoch wohler gewesen, die Frage hätte sich gar nicht gestellt", sagt Ver.di-Mann Bose.