Technische Probleme wie bei Airbus, Boeing oder Toyota nehmen zu. Ingenieure müssen verstärkt die Kostenvorgaben einhalten.

Hamburg. Der neue Prestigeflieger von Airbus, der Riesenjet A380, muss nach einem spektakulären Triebwerksschaden notlanden, in Boeings neuem Hoffnungsträger 787 "Dreamliner" bricht ausgerechnet während eines Testflugs mit Beamten der zuständigen Zulassungsbehörde an Bord ein Feuer aus. Beide Flugzeugprogramme liegen zudem um mehrere Jahre hinter dem Zeitplan. Nicht besser sieht es beim weltgrößten Autohersteller aus: Wegen klemmender Gaspedale, mangelhafter Bremsen und diverser anderer Fehler musste Toyota gut zehn Millionen Autos zurückrufen , mehr als eine gesamte Jahresproduktion.

Nachrichten wie diese werfen die Frage auf, ob führende Industriefirmen die Technik, die sie anwenden und anbieten, noch im Griff haben. Zumindest hinsichtlich der Ursachen für die Pannen und Verzögerungen erkennen Fachleute ein verbindendes Muster: Die Ingenieure haben in den Konzernen an Macht verloren. "Unternehmen werden immer stärker mit dem Blick auf Finanzergebnisse gesteuert", sagt der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt dem Abendblatt. Die "extreme Fixierung" auf die Anforderungen der Börse im zurückliegenden Jahrzehnt sei der Treiber dieser Entwicklung gewesen.

Viele Hersteller fühlen sich unter Druck durch die Börse

Ganz gleich, ob Flugzeug- oder Autohersteller, das Führungsprinzip laute meist: "Die Finanzmanager setzen die Vorgaben, alle anderen müssen sie einhalten." Auf diese Weise sei der Rahmen für Termine und Kosten immer enger gesteckt worden. Dabei spielen auch Mentalitätsunterschiede eine Rolle, meint Großbongardt: "Viele Betriebswirte können die Komplexität und die Risiken eines Flugzeugentwicklungsprojekts nicht begreifen. Dagegen weiß ein Entwicklungsingenieur sehr gut, wie viele Stolpersteine es geben kann - und dass sich Rückschläge nicht ausschließen lassen."

Auch für Branchenkenner Cord Schellenberg ist es kein Zufall, dass die betroffenen Konzerne - im Fall von Airbus über die Mutter EADS - an der Börse notiert sind. "Die Hersteller nehmen sich zu viel vor", meint er. Die Einführung neuer Technologien wie etwa der Kunststoffbauweise beim "Dreamliner" zeitgleich mit der Umstellung auf eine weltweit verteilte Produktion, die ursprünglich die eigenen Kosten und Entwicklungsrisiken senken sollte, überfordere die Unternehmen nun.

Im Hinblick auf die immensen Schwierigkeiten von Boeing und Airbus mit ihren neuesten Produkten sieht der Experte jedoch eine Mitverantwortung bei den Kunden, den Fluggesellschaften: "Jeder spürt Druck und gibt ihn weiter. Früher war man bei den Airlines glücklich über jeden Fortschritt, heute diktiert man ihn" - und legt die Messlatte extrem hoch. Von einer neuen Jet-Generation wird mittlerweile verlangt, dass sie die Betriebskosten um mindestens 15 bis 30 Prozent herunterschraubt.

"Solche Verbesserungen sind in den knappen, zunächst angepeilten Entwicklungszeiträumen offenbar kaum zu schaffen", sagt Schellenberg. Doch er geht noch weiter: "Die Fluggesellschaften haben Airbus und Boeing gegeneinander ausgespielt." Dies führe zu einem unheilvollen Kampf um immer höhere Rabatte: "Es will keiner mehr den Listenpreis zahlen." Zwar haben Flugzeugbauer und Autokonzerne, getrieben durch den extern gefühlten wie auch intern verordneten Kostendruck, in den vergangenen Jahren erhebliche Effizienzgewinne erreicht. "Aber irgendwann nimmt man nicht mehr nur Speck weg, sondern schneidet ins Fleisch", sagt Großbongardt. Diese schmerzhafte Erkenntnis habe in Seattle, dem Sitz der Boeing-Verkehrsflugzeugsparte, bereits zu einem deutlichen Umschwung geführt: "Boeing versucht, ein neues Gleichgewicht im Unternehmen herzustellen, indem man ältere, erfahrene Führungskräfte wieder zurückholt und sich auf die alte Ingenieurskultur besinnt."

Nach Ansicht von Experten gibt es auch positive Seiten der Pannen

Auch wenn Vorfälle wie die Brände im Triebwerk des Qantas-A380 und in der Kabine der Boeing 787 großes Aufsehen in der Öffentlichkeit erregen, dürften solche Pannen nicht den Eindruck erwecken, die Jet-Hersteller nähmen Sicherheitsmängel in Kauf, sagt Frank Thielecke, Leiter des Instituts für Flugzeug-Systemtechnik an der TU Harburg: "Die Programme bei Airbus und Boeing verzögern sich gerade deshalb, weil man die neuen Jets eben nicht leichtfertig in die Luft bringt."

Für Thielecke sind die jüngsten Zwischenfälle "Kinderkrankheiten, wie sie sich zum Beispiel bei jeder neuen Version des Windows-Computerbetriebssystems zeigen." Man werde die Schwierigkeiten aber in den Griff bekommen. Und nach Einschätzung von Schellenberg können die Pannen deshalb auch eine positive Seite haben: "Jedes technische Problem hat immer dazu geführt, dass die Luftfahrt ein Stück sicherer geworden ist."

Qantas nimmt sich nun jedenfalls Zeit und lässt die sechs Großraumflugzeuge vom Typ Airbus A380 wegen möglicher Probleme mit den Rolls-Royce-Triebwerken weiter am Boden. Qantas-Chef Alan Joyce erklärte am Wochenende, niemand werde zur Eile gedrängt, es gebe keine Zeitvorgaben.