Regierungen setzen Regulierungen nur halbherzig durch. Problemkredite von mehr als 200 Milliarden Euro bei deutschen Banken.

Hamburg. Was haben die Spitzenpolitiker auf beiden Seiten des Atlantiks nicht alles versprochen, um ihren Bürgern die Angst vor einer neuen Bankenkrise zu nehmen: "Jedes Finanzprodukt, jeder Finanzplatz und jede Finanzinstitution" werde man einer Regulierung oder Aufsicht unterwerfen, beteuerte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). "Wir müssen unsere Lehren aus der Krise ziehen", sagte US-Präsident Barack Obama. Es dürfe nicht noch einmal dazu kommen, dass der Staat den Banken mit Milliardenhilfen unter die Arme greifen müsse. Darum habe er das größte Finanzmarktreformpaket seit den 1930er-Jahren auf den Weg gebracht und er werde es gegen den Widerstand betroffener Banker verteidigen: "Wenn die Typen kämpfen wollen, dann bin ich bereit, den Kampf auszutragen."

Nur ein sehr kleiner Teil der diskutierten Reformen wurde umgesetzt

Doch von all diesen Versprechungen ist nicht viel geblieben. "Die Gefahr einer Finanzkrise hat sich nicht wirklich verringert", sagt Konrad Becker, Branchenexperte beim Bankhaus Merck Finck & Co. "Die dringend notwendigen Reformen des Finanzsystems, über die so viel diskutiert wird, sind bisher nur zum allergeringsten Teil in die Praxis umgesetzt worden." Insgesamt seien die Risiken derzeit "fast wieder so hoch wie vor der Lehman-Pleite", sagt Martin Faust, Professor für Bankbetriebslehre an der Frankfurt School of Finance and Management.

Selbst eine der Panikmache absolut unverdächtige Institution wie die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel, die Hausbank von 55 Zentralbanken weltweit, schlägt alarmierende Töne an: "Was wir Ende 2008 und Anfang 2009 erlebt haben, könnte sich durch einen Schock beliebiger Größenordnung wiederholen", heißt es in dem gerade veröffentlichten BIZ-Jahresbericht: "Verbleibende Schwächen des Finanzsystems zusammen mit den Nebenwirkungen der anhaltenden Intensivbehandlung drohen einen Rückfall des Patienten zu verursachen und die Reformbestrebungen zu untergraben." Sollte es zu einem solchen Rückfall kommen, wären aber die Spielräume für neuerliche Staatshilfen weitgehend ausgereizt.

Tatsächlich sehen sich die Banken derzeit einer ganzen Reihe von Gefahren gegenüber. "Noch immer ist nicht klar, wie hoch die Altlasten an faulen Wertpapieren in den Bilanzen eigentlich sind", sagt der Hamburger Wirtschaftsprofessor Karl-Werner Hansmann. Nach Berechnungen der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers hatten allein die deutschen Banken Ende 2009 Problemkredite von knapp 213 Milliarden Euro in den Büchern, 50 Prozent mehr als Ende 2008.

"Außerdem drohen in diesem Jahr mehr konjunkturell bedingte Kreditausfälle wegen der voraussichtlich steigenden Zahl von Firmenpleiten", erklärt Martin Faust. Aber das ist noch nicht alles. "Zusätzlich steht für die Banken die Gefahr auf der Tagesordnung, dass die von ihnen gehaltenen Staatsanleihen hoch verschuldeter Euro-Länder stark an Wert verlieren", sagt Analyst Becker. "Das ist ein ganz neues Risiko, an das vor zwei Jahren noch niemand gedacht hat."

Neue Bankpleiten wurden durch die lockere Geldpolitik verhindert

Wenn schon seit etlichen Monaten kein bedeutender Finanzkonzern mehr zusammengebrochen sei, liege dies nur daran, "dass die Notenbanken den Geschäftsbanken alles Geld geben, dass sie brauchen", so Hansmann. Hinzu kommt nach Einschätzung von Becker noch ein weiterer wichtiger Faktor: "Die Erinnerung daran, dass man im September 2008 nach der Lehman-Insolvenz kurz vor dem Abgrund stand, ist noch nicht völlig verblasst. Aus diesem Grund sind die Geschäftsmodelle mancher Banken nicht mehr so risikoanfällig wie damals. Aber das kann sich wieder ändern."

Nur in Ansätzen ist die Regulierung des Finanzsektors verschärft worden. So müssen sich die Bonussysteme für Bankmanager in verschiedenen Staaten, auch in Deutschland, nun stärker an längerfristigen Zielen orientieren. Den Ratingagenturen schaut man genauer auf die Finger als früher. Unter dem Dach der BIZ werden außerdem Regeln für höhere Eigenkapitalanforderungen an die Banken ausgearbeitet. Doch selbst dies - nach Auffassung vieler Experten die vordringlichste Maßnahme zur Absicherung gegen Risiken - wird sehr viel später greifen, als es zunächst schien.

Höhere Eigenkapitalanforderungen kommen nicht vor 2013

Wohl erst beim nächsten Gipfel der 20 führenden Wirtschaftsnationen (G-20) im koreanischen Seoul Mitte November, dem fünften G-20-Spitzentreffen seit Ausbruch der Finanzkrise, wird es dazu Beschlüsse geben. In Kraft treten werden die neuen Regeln nicht vor dem Jahr 2013.

Auf dem jüngsten G-20-Gipfel in Toronto am vergangenen Wochenende waren internationale Regulierungsfortschritte abermals am Widerstand einzelner Staaten gescheitert. "Länder wie Kanada und Brasilien argumentieren: 'Wir haben doch kein Bankenproblem.' Aber wir leben in einer globalisierten Welt", kritisiert Hansmann.

"Auf längere Sicht kommt es darauf an, den Finanzsektor, der viel stärker gewachsen ist als die reale Wirtschaft, zu beschneiden", sagt Becker. "Nicht alles im Investmentbanking ist Casino, aber vieles davon - und das kann verschwinden." Obama wollte mit seinem Reformpaket genau dies erreichen. Doch letztlich hat er sich der Lobby der Banken gebeugt: Auch in den USA bleiben sie weitgehend ungeschoren.