350 Arbeitsplätze fallen weg. Betroffene sollen an andere Arbeitgeber vermittelt werden. Schiffbauer hofft nun auf neue Aufträge.

Hamburg. Marco Melzer, 30, hat sein bisheriges Berufsleben bei Sietas in Neuenfelde verbracht. Er lernte dort Industriemechaniker und kehrte nach einer Weiterbildung zum Maschinenbautechniker 2007 auf die Werft zurück. Spätestens seit gestern aber muss der Familienvater, der sich auf sein zweites Kind freut, um seinen Arbeitsplatz fürchten. Deutschlands älteste Werft, die seit November insolvent ist, streicht bis zum Mai in zwei Schritten 350 von insgesamt rund 1000 Stellen innerhalb der Unternehmensgruppe.

Melzers Kollegen bei der Neuenfelder Maschinenfabrik (NMF) wissen bereits, wen es trifft. Dort werden Schwerlastkräne für Schiffe gefertigt. Für die Stammwerft muss der Sozialplan zwischen dem Unternehmen und den Arbeitnehmervertretern noch ausgehandelt werden. "Ich schlafe schon manchmal nicht mehr ruhig", sagte Melzer nach der Betriebsversammlung in der Rohrbiegerei gestern Nachmittag. Wie die meisten meiner Kollegen schwankt er zwischen Hoffen und Bangen.

Anfang 2009 hatte sich der Firmeninhaber Hinrich Sietas überraschend aus der Führung des Unternehmens zurückgezogen. Mit der beginnenden Wirtschaftskrise war eine Reihe von Neubauaufträgen storniert worden, die Werft stand vor dem Aus. Auf Initiative der federführenden HSH Nordbank übernahm der frühere Airbus-Manager Rüdiger Fuchs die Führung bei Sietas, als erster familienfremder Manager seit Gründung der Werft im 17. Jahrhundert. Er modernisierte die Abläufe, holte Fachkräfte und akquirierte Aufträge.

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Vor allem die Ausrichtung auf den Bau technologisch komplexer Spezialschiffe sollte Sietas eine Perspektive bieten. Ende 2011 aber zeigte sich, dass die finanziellen Grundlagen des Unternehmens dafür nicht mehr ausreichen. Im November stellte das Unternehmen Insolvenzantrag für den Schiffsneubau. Seither ist der vorläufige Insolvenzverwalter Berthold Brinkmann für Sietas zuständig. Das Insolvenzverfahren beginnt voraussichtlich im Februar.

Neue Aufträge sind für die Existenz der Werft entscheidend, aber auch Investoren, die das Unternehmen kaufen. Bei Verhandlungen mit möglichen Geldgebern war Sietas im vergangenen Jahr nicht erfolgreich. Die Suche nach einem neuen Investor sei "nicht ganz einfach", sagte Brinkmann gestern. Er habe aber potenzielle Interessenten.

Nach dem unfreiwilligen Abschied von Hinrich Sietas gehörte die verschuldete Werft seit 2009 faktisch der HSH Nordbank. Die aber will in den Schiffbau nicht mehr investieren. Allerdings sicherte die Landesbank von Hamburg und Schleswig-Holstein im Dezember durch einen sogenannten Massekredit von 23,2 Millionen Euro zunächst den Fortgang der laufenden Bauarbeiten auf der Werft.

Ein Großauftrag des niederländischen Unternehmens Van Oord soll noch im Januar neu ausgehandelt und finanziell abgesichert werden. Dabei geht es um ein Errichterschiff für Windkraftanlagen auf See. Der Auftrag muss wegen der Insolvenz der Werft neu verhandelt werden. Der Kiel für das Schiff ist bereits gelegt. Gemeinsam mit den beiden anderen Neubauten hätte Sietas mit einem Offshore-Schiff Arbeit bis Anfang 2013. "Wenn wir den Auftrag abschließen, steigen unsere Chancen, dass Van Oord bei uns auch ein zweites Errichterschiff bestellt", sagte Werftchef Fuchs gestern. Ein solcher Auftrag war ursprünglich bereits für den vergangenen Herbst erwartet worden.

In jedem Fall muss ein Drittel der Stammbelegschaft bis zum Mai gehen. Zwei Transfergesellschaften sollen die Betroffenen von der Werft und der Neuenfelder Maschinenfabrik zunächst auffangen. Der Insolvenzverwalter und die IG Metall wollen bei der Vermittlung zu neuen Arbeitgebern helfen. "Am Freitag können sich 15 fertig ausgebildete Lehrlinge im Mercedes-Werk vorstellen und sich um einen Job bewerben", sagte Betriebsratschef Peter Bökler. "Wir unterstützen den Wechsel von Mitarbeitern, die künftig keine Arbeit mehr in der Gruppe finden, durch Qualifizierung und aktive Vermittlung", sagte auch Brinkmann. Allerdings stehen Insolvenzverwalter und Management auch vor dem Problem, dass zahlreiche hoch qualifizierte Mitarbeiter die Werft angesichts der unsicheren Lage von sich aus verlassen könnten: "Wir wollen den Mitarbeitern, für die wir auch künftig Arbeit in der Sietas-Gruppe haben, ein deutliches Signal geben", sagte Brinkmann. "Wir benötigen gut ausgebildete Ingenieure, Techniker, Facharbeiter, Projektleiter, Einkäufer und Kaufleute, um die komplexen Spezialschiffe in Hamburg zu entwerfen und zu bauen."

Werftchef Fuchs will nach einer gelungenen Sanierung der Werft künftig zwei solcher Spezialschiffe im Jahr bauen. Die hauseigene Konstruktionsabteilung soll dazu jährlich zwei Typen neu entwerfen - eines für den Eigenbau, ein weiteres für externe Auftraggeber.