Der Mittelstand muss stärker um Finanzierung kämpfen. Haspa-Chef Harald Vogelsang spricht im Interview über Aktien, Euro und Finanzkrise.

Hamburg. Statistisch gesehen ist jeder zweite Hamburger ein Kunde der Haspa. Trotz scharfen Wettbewerbs ist es Deutschlands größter Sparkasse in den vergangenen Jahren gelungen, weiter zu wachsen. 2011 musste sich die Hamburger Sparkasse allerdings nicht nur mit Sorgen der Kunden über die Schuldenkrise auseinandersetzen. Computerausfälle plagten das Geldinstitut besonders zur Jahresmitte, zudem landeten Ende September zwei Schadenersatzklagen von Anlegern, die mit Lehman-Zertifikaten Geld verloren hatten, vor dem Bundesgerichtshof. Das Abendblatt sprach darüber mit dem Haspa-Chef Harald Vogelsang.

Hamburger Abendblatt: Die Haspa hat in den vergangenen Monaten immer wieder mit Computerpannen zu tun gehabt. Auch die Kunden waren davon mehrfach betroffen. Haben Sie die Probleme mittlerweile im Griff?

Harald Vogelsang: In keinem technischen Bereich läuft immer alles 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr ohne Probleme, und daher können wir sie nie ausschließen. Aber im vorigen Jahr hatten wir im Zusammenhang mit einer umfangreichen Systemumstellung deutlich mehr Störungen. Für 2012 gehen wir von einem stabilisierten Normalbetrieb aus. Man muss aber auch sagen: Vor 20 Jahren wäre manche Unterbrechung etwa wegen Wartungsarbeiten mitten in der Nacht niemandem aufgefallen. Durch das Onlinebanking ist das heute anders.

Haben sich die Computerprobleme auf das Ergebnis des vergangenen Jahres ausgewirkt?

Vogelsang: Nein, darauf hatten sie keinen Einfluss. Das Ergebnis liegt abermals auf einem zufriedenstellenden Niveau, und die Haspa ist wieder spürbar gewachsen. Bis Ende Oktober haben wir 65 000 Neukunden gewonnen, auch nach Abzug von Abgängen ist der Saldo deutlich positiv. Allein 10 000 Mäusekonten für Kinder sind hinzugekommen. Bei den Baufinanzierungen hatten wir - wie schon 2010 - ein sehr starkes Jahr. Auch bei den Firmenkunden haben wir noch einmal kräftig hinzugewonnen. Und wir haben 100 zusätzliche Mitarbeiter eingestellt.

Welche Rolle spielt die Euro-Krise in den Beratungsgesprächen?

Vogelsang: Es gibt wohl kein Gespräch, in dem es nicht um die Frage ging, wie man sein Geld jetzt sicher anlegt. Ich habe aber das Gefühl, dass man nicht mehr ganz so sorgenvoll damit umgeht wie noch vor wenigen Monaten.

Was empfehlen die Haspa-Berater? Soll man Immobilien oder Gold kaufen?

Vogelsang: Wir empfehlen vor allem eine breite Streuung bei der Geldanlage. Es wäre sicher nicht ratsam, jetzt noch eine überteuerte Penthousewohnung zu kaufen, nur um das Geld unterzubringen. Auf dem Immobilienmarkt werden teilweise schon äußerst ambitionierte Preise gefordert. Aber die Immobilie gehört in jedem Fall zu einer breiten Vermögensanlage. Wir haben auch nie dazu geraten, in großem Stil Gold zu kaufen. Hier hat es teilweise irrationales Verhalten gegeben. Dagegen meinen wir, dass man nicht an den Aktien vorbeigehen sollte, weil Aktien langfristig immer noch die beste Anlage sind und vor Inflation schützen. Die Kursschwankungen sind nicht größer als die des Goldpreises, und man erhält außerdem Dividenden. Zudem schützt auch die Geldanlage in Aktien vor Inflation. Leider aber ist die Aktienkultur in Deutschland immer noch sehr schwach ausgeprägt.

Erwarten Sie deutlich anziehende Preissteigerungsraten?

Vogelsang: Ich gehe davon aus, dass es in den nächsten Jahren dazu kommen wird, schon weil die Staatsschulden gar nicht anders abzutragen sind. Ob die Inflationsrate bei fünf Prozent haltmachen wird oder ob sie zeitweise bis auf sieben oder acht Prozent steigt, kann man heute nicht absehen. Ich schließe das jedenfalls nicht aus.

Wie wird es in der Schuldenkrise weitergehen? Werden alle aktuellen Mitglieder der Währungsunion auch in zwei Jahren noch dabei sein?

Vogelsang: Persönlich bin ich viel optimistischer gestimmt als noch vor zwölf Monaten. Ich denke, dass wir im Hinblick auf den europäischen Gedanken vorankommen. Außerdem hat man im Dezember erstmals ein wirksames Mittel gefunden, der Spekulation gegen Euro-Länder zu begegnen: Die Europäische Zentralbank hat allen Banken angeboten, sich für drei Jahre zu einem Zinssatz von einem Prozent so viel Geld zu leihen, wie sie brauchen. Seitdem ist relative Ruhe am Markt. Natürlich wäre es allen Euro-Ländern zu wünschen, dass sie die Krise als Mitglied der Währungsunion überwinden können. Und es wäre gut, wenn in den nächsten Jahren noch weitere Länder wie Polen oder Schweden hinzukämen. Ich hoffe, dass die Griechen es schaffen, denke aber, dass niemand mehr wirklich erschüttert wäre, wenn Griechenland doch ausscheiden sollte.

Auch Deutschland ist hoch verschuldet. Spart der Staat genug?

Vogelsang: Ich halte viel vom Sparen, nicht nur bei der privaten Bevölkerung. Aber der Staat muss die richtige Balance finden, er darf nicht die Konjunktur belasten. Natürlich sollte man in guten Zeiten etwas zurücklegen, aber man darf nicht vergessen, dass wir immer noch im zeitlichen Umfeld einer Krise leben. Auch der Hamburger Senat stellt ja die Weichen für eine Konsolidierung des Haushalts. Wenn er Spielräume findet, auf manchen Gebieten dennoch mutig in die Zukunft zu investieren, ist das eine kluge Politik.

Die Konjunkturaussichten für 2012 sind mäßig. Wie wird Hamburg abschneiden?

Vogelsang: Deutlich besser als prognostiziert. Die deutsche Wirtschaft kann uns in diesem Jahr positiv überraschen. Die Unternehmen sind hervorragend positioniert, die Arbeitslosenquote ist so niedrig wie seit 20 Jahren nicht mehr. Und in den USA steht die Präsidentschaftswahl bevor - man wird darauf aus sein, bei der Konjunktur ein positives Bild abzugeben, was wiederum die chinesische Regierung antreiben wird mitzuhalten. Davon kann Deutschland nur profitieren. Hamburg dürfte sich wegen der engen Verbindung zum Welthandel besser entwickeln als die Bundesrepublik insgesamt.

Wird es nicht aber wegen der neuen Eigenkapitalauflagen für Großbanken eine Kreditknappheit geben - und wird die Haspa davon profitieren können?

Vogelsang: Kredite für den Mittelstand werden knapper und teurer. Gemäß der sogenannten Basel-III-Richtlinie müssen Banken künftig im Schnitt 30 Prozent mehr Eigenkapital für einen Kredit vorhalten. Die Haspa wird kein Problem damit haben, das zusätzliche Kapital aufzubringen, aber für viele andere Banken bedeutet dies, dass sie die Kreditvergabe so weit kürzen, bis sie auf diese Weise die Quote erfüllen. Isoliert ist nichts dagegen einzuwenden, dass Banken ein höheres Eigenkapital vorhalten. In der Summe führen die Regelungen aber zu einer vehementen Fehlsteuerung, die die Kreditversorgung für den deutschen Mittelstand erschweren wird. Ich halte das für kontraproduktiv, zumal es auch anders geht: Die USA wollen die neue Regelung nur auf sieben "systemrelevante" Banken anwenden, die Europäer aber auf alle 12 000 Banken - man muss sich fragen, ob das richtig sein kann. Kein Land hätte ein größeres Interesse daran als Deutschland, die flächendeckende Anwendung von Basel III noch abzuwenden.

Der juristische Streit um die insolvente US-Bank Lehman, deren Zertifikate auch die Haspa verkaufte, nimmt kein Ende. Nun ziehen zwei Hamburger Geschädigte vor das Bundesverfassungsgericht. Befürchten Sie, dass der Fall noch einmal neu aufgerollt wird?

Vogelsang: Ich gehe im Moment davon aus, dass sich an der Rechtslage nichts mehr ändert und die Urteile des Bundesgerichtshofs, der zu unseren Gunsten entschieden hat, bestehen bleiben.

3700 Haspa-Kunden haben Lehman-Zertifikate gekauft. Wie viele wurden entschädigt, wie viel hat die Haspa insgesamt dafür ausgegeben - und auf wie viel Geld können die Geschädigten aus der Lehman-Insolvenzquote hoffen?

Vogelsang: Wir haben an über 1000 Kunden insgesamt mehr als zehn Millionen Euro ausgezahlt. Noch sind die Lehman-Insolvenzverfahren nicht abgeschlossen, aber es zeichnet sich ab, dass es eine Quote von etwa 20 Prozent des verlorenen Anlagebetrages geben könnte.

Verkauft die Haspa ihren Kunden auch heute noch Zertifikate?

Vogelsang: Ja, aber nur in sehr geringem Umfang und in speziellen Kundensegmenten wie im Private Banking. Die Nachfrage hat deutlich nachgelassen.

Zum Schluss bitten wir noch um eine Prognose für den deutschen Aktienmarkt in diesem Jahr.

Vogelsang: Ich erwarte eine Aufwärtstendenz, wenn auch unter starken Schwankungen. Der DAX dürfte sich im Jahr 2012 zwischen 6000 und 6500 Punkten bewegen.