Für den Senat hat der Bau von Häusern Vorrang. Dafür müssen Politik, Wirtschaft und Bürger an einem Strang ziehen. Ortstermin bei Otto Wulff.

Hamburg. Das Gefühl ist sofort wieder da. Die Eingangshalle, die breite Treppe, der Handlauf am Geländer, auch der Geruch des Linoleums am Boden. So fühlte sich morgens der Gang in die Schule an, Jahr um Jahr. Schräg gegenüber dem Eingang geht links eine Tür ab. Dahinter liegen mehrere Zimmer, dunkles neues Holzparkett, frisch verputzte Wände, ein Vollbad und ein Gästebad, eine offene Küche neben dem Wohnzimmer mit tiefen Fenstern. "Früher war das ein Klassenzimmer", sagt Bauunternehmer Stefan Wulff, "jetzt ist es eine gehobene Loftwohnung mit drei Zimmern und rund 80 Quadratmeter Fläche. Die Kaltmiete liegt bei 14 Euro je Quadratmeter."

Die ehemalige Dänische Schule an der Thedestraße in Altona ist Teil eines neuen Wohnviertels. Das denkmalgeschützte Gebäude wurde entkernt und grundsaniert. Treppenhaus und Fassade aber sollten dem Original möglichst nahe bleiben. Das alte Flair von Pauken und Pausen ist im Flur noch immer zu spüren. Fehlt nur die Schulglocke.

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Gleich nach dem Amtsantritt im Frühjahr startete der neue Hamburger Senat unter Leitung von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) eine Kampagne für den Neubau von Wohnungen in der Stadt. Bezahlbarer Wohnraum in der Nähe des Zentrums auch für Menschen mit geringeren Einkommen ist eines der zentralen Ziele der neuen Stadtregierung, die über die absolute Mehrheit in der Bürgerschaft verfügt. 6000 Wohnungen sollen nun jährlich neu gebaut werden, um einen Rückstand von schätzungsweise 30.000 bis 40.000 Wohneinheiten aufzuholen. Zwischen 3000 und knapp 4300 Neubauten jährlich waren es in jüngerer Zeit. "Wir dürfen nie wieder aufhören mit dem Wohnungsbau" , sagte Scholz zu den Versäumnissen früherer Jahre.

Doch das ehrgeizige Projekt birgt Widersprüche. Die Stadt muss Investoren anlocken, aber auch dafür sorgen, dass genügend bezahlbarer Wohnraum für Menschen mit kleineren Einkommen entsteht. Der Senat ist politischer Treiber, in Gestalt der Finanzbehörde aber auch Verkäufer öffentlicher Grundstücke. Die dürfen nicht zu teuer sein, denn günstige Flächen sind unverzichtbar, um die geplanten Neubauten im sozialen Wohnungsbau zu erreichen.

"Es muss ein fairer Wettbewerb zwischen der sozial orientierten Hamburger Wohnungswirtschaft und der rein privatwirtschaftlich orientierten Wohnungsbaubranche herrschen", sagt Joachim Wege, Direktor des Verbandes norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW). Er vertritt die Interessen der genossenschaftlichen und sozialen Wohnungsbauträger in der Stadt, die 2012 mit dem Neubau von 2000 Wohnungen beginnen wollen. "Beim Verkauf öffentlicher Grundstücke muss transparent sein, inwieweit neben dem Preis auch soziale und ökologische Belange ins Gewicht fallen."

Stefan Wulff, 46, wiederum sieht den Markt aus der Arbeit seiner Firma heraus von allen Seiten. Er ist Geschäftsführender Gesellschafter des Bauunternehmens Otto Wulff und mit bis zu 500 Einheiten im Jahr Marktführer beim Neubau von Wohnungen in der Stadt. In jedem Bezirk findet man die Werbetafeln, Baucontainer und Maschinen mit dem grün-weißen Logo. Prestigeträchtige Sanierungen wie etwa die Kuppel des Alten Elbtunnels und des Kaispeichers B zählen zum Programm des Unternehmens wie auch die Entwicklung, der Bau und die Verwaltung von Geschäftsgebäuden. "Aber der Wohnungsbau ist mit rund 50 Prozent Anteil am Umsatz unser Schwerpunkt", sagt Wulff. Gut 160 Millionen Euro Jahresumsatz machte die Baufirma zuletzt.

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^Seit der Gründung in den 1930er-Jahren hat sich das Unternehmen auf den Hamburger Markt konzentriert und enge Kontakte zu öffentlichen wie auch zu privatwirtschaftlichen Wohnungsbaugesellschaften geknüpft. Die lange Erfahrung kommt Wulff und seinen 280 Mitarbeitern bei der Modernisierung des städtischen Wohnungsbestandes zugute. "Die Zahl der Anfragen für den Neubau von Wohnungen ist seit dem Wechsel zum neuen Senat deutlich gestiegen", sagt der Unternehmer. Rund 1000 Wohneinheiten hat Otto Wulff derzeit in der Entwicklung.

Die Planungen für das Quartier an der Thedestraße allerdings stammen noch aus der Zeit vor dem Regierungswechsel. "Drei Jahre Entwicklung und eineinhalb Jahre Bauzeit, das ist ganz schön sportlich", sagt Wulff. Das Areal ist nun mit einer weitläufigen Tiefgarage unterkellert. Auf dem Hof der fast fertigen Wohnanlage dröhnen Baumaschinen. Paletten mit Farbe und Zement stehen auf frisch gestampftem Sand, Radlader fahren umher. Arbeiter verlegen Fußwege und Terrassen. Maler, Klempner, Fliesenleger nehmen in den Wohnungen letzte Arbeiten vor der Abnahme durch den Bauherrn vor. Auf dem früheren, aufgegebenen Schulgelände ist eine Wohnsiedlung neuen Stils entstanden. Einer der Neubaublöcke wird demnächst von Senioren in betreuten Wohnverhältnissen bezogen. Ein anderes Gebäude zählt zum sozialen Wohnungsbau, das nächste besteht aus mehrgeschossigen Stadthäusern.

Alles fügt sich mit den alten Schulhäusern zu einem Ensemble aus Stadtgeschichte und architektonischer Moderne. Eigentümer der Gebäude sind einerseits das Bauunternehmen Otto Wulff selbst, aber auch die der Stadt nahe stehende Lawaetz-Stiftung und der Bauverein der Elbgemeinden. In direkter Nachbarschaft stehen öffentlich geförderte Wohnungen mit Mieten von sieben bis elf Euro je Quadratmeter, Eigentumswohnungen und solche ohne öffentliche Mietpreisbindung. "Die Zeit, in der soziale Milieus oder auch Menschen mit sehr unterschiedlichen Einkommen voneinander isoliert lebten, ist aus unserer Sicht vorbei", sagt Wulff. "Der Neubau von Retortenstädten wie Steilshoop wäre heute nicht mehr zeitgemäß." Zugleich zeige das Quartier an der Thedestraße, wie der öffentlich geförderte und der privatwirtschaftliche Wohnungsbau ein solches Projekt in relativ kurzer Zeit gemeinsam verwirklichen können.

Die Stadt hegt große Ambitionen beim Wohnungsbau. Doch der Senat allein hat es nicht in der Hand. Für neue Wohnhäuser werden Grundstücke gebraucht, Kapital und die Freigabe beim Baurecht. "Die nötigen Flächen können die Bezirke zur Verfügung stellen oder private Eigentümer. Bei den Bezirken gibt es aber mitunter Zurückhaltung, Flächen aus anderen Nutzungen herauszunehmen und sie dem Wohnungsbau zu widmen", sagt Wulff.

Schwierig könnte es aus Sicht des Unternehmers auch sein, ausreichend Investoren für den öffentlich geförderten Neubau zu finden. 2000 der geplanten jährlich insgesamt 6000 neuen Wohnungen werden von der Stadt subventioniert. Einen großen Teil davon soll die städtische Saga GWG bauen, die übrigen brauchen Kapital von Genossenschaften oder anderen privatwirtschaftlichen Bauträgern: "Die Mieten sind im geförderten Wohnungsbau für 15 Jahre gedeckelt und damit auch die Renditen. Privatwirtschaftliche Investoren bräuchten deshalb wohl bessere Abschreibungsmöglichkeiten, als sie derzeit herrschen", sagt Wulff.

Die größten Hürden aber sieht er bei den Hamburgern selbst. Bürgerinitiativen gegen Neubauprojekte oder gegen Umbauten bestehender Siedlungen könnten die Pläne des Senats empfindlich stören. Erst kürzlich verhinderte ein Bürgerentscheid im nördlichen Stadtteil Langenhorn eine Renovierung und Erweiterung der Wulffschen Wohnsiedlung, die mit dem Bauunternehmen nichts zu tun hat. In vielen Teilen der Stadt stemmen sich Bürgerinitiativen gegen aktuelle Bebauungspläne. "Das könnte der politischen Initiative beim Wohnungsbau einiges an Schwung nehmen", sagt Wulff. "Wir müssen aufpassen, dass Einzelinteressen in der Stadt nicht die Oberhand über das Gemeinwohl bekommen."