Hohe Kosten und Risiken lähmen Ausbau der Technologie im deutschen Teil von Nord- und Ostsee. Branche schraubt Erwartungen zurück.

Hamburg. Windparks auf See, das war lange Zeit eine Art Chiffre für eine saubere, ergiebige Stromversorgung, die niemanden stört, abgesehen vielleicht von Schweinswalen und Seevögeln. Nach der abrupten Wende in der deutschen Energiepolitik weg von der Atomkraft könnte die Energiebranche beherzt liefern - aber der Weg der Windmüller hinaus aufs Meer ist weit beschwerlicher als gedacht. Unter der Hand rechnet die Windkraft-Wirtschaft mit einem Aufbau von rund 7000 Megawatt Leistung aus Windturbinen vor der deutschen Nord- und Ostseeküste bis zum Jahr 2020, erfuhr das Abendblatt. In offiziellen Prognosen waren in jüngerer Zeit rund 10 000 Megawatt in Aussicht gestellt worden.

Offshore-Windparks vor allem in der deutschen Nordsee sind besonders schwierig zu errichten. Die beteiligten Unternehmen stehen vor der Herausforderung, in Wassertiefen von teils mehr als 40 Metern und Dutzende Kilometer vor den Küsten Fundamente zu stellen und Anlagen von Hunderten Tonnen Gewicht präzise zu montieren.

In der deutschen Nordsee ging 2010 zunächst der Windpark Alpha Ventus 45 Kilometer nördlich von Borkum in Betrieb. Die zwölf Windturbinen dort liefern zwar Strom an Land, vor allem aber sammelt das Testfeld Erkenntnisse über Offshore-Windparks in einer solchen Umgebung. Als erster kommerzieller Windpark hat das Projekt Bard Offshore 1 gut 90 Kilometer nordwestlich von Borkum kürzlich den Betrieb aufgenommen. "Wichtig ist, dass weiter gebaut wird und dass die Unternehmen möglichst viele Erkenntnisse sammeln können", sagte ein Branchenvertreter dem Abendblatt.

Auffällig rückt die Windkraft-Wirtschaft neuerdings ihre Stärken an Land in den Vordergrund. Rund 23 000 Anlagen drehen ihre Rotoren derzeit in Deutschland - vor allem in den Bundesländern an der Küste - und liefern eine Leistung von 27 000 Megawatt. Bis zum Jahr 2020 könnte diese Kapazität auf 45 000 Megawatt steigen.

"Offshore-Windenergie ist eine der Säulen für eine verstärkte Versorgung Deutschlands mit Strom aus erneuerbaren Energien. Sie ist aber nicht die entscheidende Quelle", sagt Björn Klusmann, Geschäftsführer des Bundesverbandes Erneuerbare Energie. Die Debatte um einen schnellen Atomausstieg liefere Anlass, auch die Zukunft der Windkraft neu zu diskutieren: Viele "sehr gute Standorte in West- und Süddeutschland" würden bislang "kaum oder gar nicht genutzt".

Für die deutsche Nordsee sind zurzeit 75 Windpark-Projekte genehmigt oder im Genehmigungsverfahren beim zuständigen Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie in Hamburg. In der deutschen Ostsee sind es insgesamt 14. Die Zahl der realisierten Vorhaben sieht dagegen bescheiden aus. Wird ein Windpark tatsächlich gebaut, wirkt das nach den vielen Ankündigungen der vergangenen Jahre mittlerweile fast so spektakulär wie ein tanzender Elefant. Als voraussichtlich nächster Windpark geht nördlich von Rügen das Projekt Baltic 2 des baden-württembergischen Atomkonzerns EnBW ans Netz. Ende 2012 sollen die ersten Fundamente für den Windpark Dan Tysk rund 70 Kilometer von Sylt ins Meer gestellt werden, kündigten die beteiligten Unternehmen diese Woche an. Die Stadtwerke München und Vattenfall wollen in die Errichtung der 80 Windturbinen mehr als eine Milliarde Euro investieren.

Hinderlich für den Ausbau der Offshore-Windkraft in Deutschland wirken aber nicht nur die komplexen Bedingungen vor den heimischen Küsten, sondern auch der Sog des britischen Marktes. Großbritannien mit seinem Mammutprogramm zum Ausbau von Windparks auf dem Meer ist derzeit für die Branche weltweit die wichtigste Region. "Die Musik spielt in Großbritannien, weil die effektive Förderung für Offshore-Windparks dort viel höher ist als in Deutschland", sagt Jan Rispens, Leiter der Branchenvereinigung Erneuerbare Energien Hamburg. Bundesumweltminister Norbert Röttgen kündigte am Freitag an, dass die bundeseigene KfW-Bank zusätzliche fünf Milliarden Euro an Krediten für den Ausbau der Windkraft zur Verfügung stellen werde. Dieses Geld dürfte vorwiegend in Richtung Meer fließen. Vermutlich wird die Windkraftbranche aber darüber hinaus auch den Druck bei der Bundesregierung steigern und eine erhöhte Vergütung für die Einspeisung von Strom aus Offshore-Windparks fordern. Sie war bereits einmal erhöht worden und liegt jetzt bei 13 Cent je Kilowattstunde.

"Zur Diskussion steht, für die Offshore-Windkraft zeitlich befristete Anreize über die heute gültigen Einspeisevergütungen hinaus anzubieten", sagt Björn Klusmann vom Bundesverband Erneuerbare Energie. "Das ist eine Möglichkeit, wenn man den Aufbau von Offshore-Windparks vor den deutschen Küsten deutlich beschleunigen will."