Die Bundeskanzlerin gab den Startschuss für Baltic 1, der 50.000 Haushalte mit Strom versorgt. Küstennahe Unternehmen wollen profitieren.

Hamburg. Für eine Überfahrt per Schiff zu "Baltic 1" war der Wind gestern zu rau. In Zingst auf dem Darß startete Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) deshalb den ersten kommerziellen Offshore-Windpark in der deutschen Ostsee symbolisch gemeinsam mit Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) und Hans Peter Villis, Chef des Betreibers Energie Baden-Württemberg (EnBW). Merkel hatte sich das Großprojekt mit 21 Windturbinen bei der Anreise schon mal aus dem Helikopter angesehen.

Rein rechnerisch soll "Baltic 1", 16 Kilometer nördlich der Halbinsel gelegen, künftig 50 000 Haushalte mit Strom versorgen. Das Projekt hat in mehrfacher Hinsicht Symbolkraft. Nach Verzögerungen startet nun auch in der Ostsee die Nutzung der Windkraft im kommerziellen Maßstab. Für EnBW ist es das erste neue Großprojekt nach den Wahlen in Baden-Württemberg, das ans Netz geht. Die neue grün-rote Landesregierung von Baden-Württemberg will den Energiekonzern neu ausrichten, das Land ist Großaktionär bei dem Unternehmen. Zu einem höheren Anteil als die anderen führenden Stromunternehmen in Deutschland verkauft EnBW Strom bislang aus Atomkraftwerken. Das Unternehmen arbeitet bereits am Offshore-Windpark "Baltic 2" nördlich von Rügen.

Angesichts der neuen Debatte um den Atomausstieg sind die Erwartungen vor allem in die künftige Rolle der Windkraft für die deutsche Stromversorgung hochgesteckt. Wann der letzte Reaktor in Deutschland vom Netz gehen wird, steht noch nicht fest. Merkel warnte gestern aber vor überzogenen Hoffnungen. "Wir wollen eine Energiewende mit Augenmaß und eine, die klappt", sagte die Kanzlerin. "Der gesellschaftliche Konsens ist eine ganz wichtige Angelegenheit."

Allerdings hatte die Bundesregierung die relative Ruhe bei diesem Thema im vergangenen Herbst selbst gebrochen. Damals verlängerte die schwarz-gelbe Koalition die Laufzeiten für die deutschen Atomkraftwerke und kündigte damit den von der rot-grünen Regierung im Jahr 2000 vereinbarten Atomausstieg auf. Nach dem Reaktorunglück im japanischen Fukushima vom März wird die Regierung die Laufzeiten vermutlich wieder auf einen Zeitrahmen verkürzen, der um die Wende zum kommenden Jahrzehnt herum und damit in etwa beim rot-grünen Ausstiegsplan liegt.

Die Windkraftbranche begrüßte gestern den offiziellen Start von "Baltic 1". Die Bundesregierung müsse aber Genehmigungsverfahren für Windparks beschleunigen und das versprochene Sonderprogramm von fünf Milliarden Euro Kreditvolumen der staatlichen KfW-Bank tatsächlich umsetzen. Hermann Albers, Präsident des Bundesverbandes WindEnergie, betonte dabei auch die Bedeutung der Windkraft an Land: "Nur Windenergie an Land und auf See gemeinsam können die Energiewende in Deutschland voranbringen. Das stärkste Zugpferd dafür ist nach wie vor die Windenergie an Land", sagte Albers. Mehr Offenheit für den Ausbau der Windkraft mahnte Kanzlerin Merkel gestern vor allem mit Blick nach Süddeutschland an. Dort stehen relativ viele Atomreaktoren, bislang aber kaum Windturbinen: "Wir sind zwar froh, dass bei uns der Wind besonders gut hier oben im Norden weht, aber es soll auch im Süden ab und zu windig sein."

Der Aufbau zahlreicher Offshore-Windparks in der Nord- und Ostsee bringt allerdings kurzfristig vor allem küstennahen Unternehmen einen willkommenen Schub. Bei Nordic Yards in Rostock-Warnemünde begannen gestern die Stahlarbeiten für eine Umspannplattform. Sie soll künftig zwei Offshore-Windparks in der deutschen Bucht mit dem Landstromnetz verbinden. Nordic Yards mit Standorten in Wismar und in Warnemünde setzt auf die seeseitige Nutzung der Windkraft und den Bau der dafür nötigen Großanlagen. Wie anderen deutsche Werften mangelt es auch Nordic an Aufträgen im klassischen Schiffbau. "Nordic Yards hat sich im Bereich der Offshore-Windenergie etabliert", sagte Werfteigner Witali Jussufow gestern beim Festakt zum Beginn des Stahlzuschnitts in Warnemünde. "Das ist ein Kernelement unserer Unternehmensstrategie."

Auch der Elektronikkonzern Siemens ist stark am Bau von Windparks beteiligt. Das Werk im süddänischen Brande liefert Windturbinen vor allem für den Einsatz auf See. Der Konzern bietet aber auch Umspannanlagen an wie jene, die nun bei Nordic gebaut wird. Von Hamburg aus betreut Siemens das Offshore-Geschäft in Europa.