Der neue Chef der IG Metall Küste, Meinhard Geiken, spricht über Schiffbau, Windkraft, Atomkraft und die begrenzte Macht seiner Gewerkschaft.

Hamburg. Führungswechsel bei der IG Metall im Norden: Zum 1. Mai übernimmt Meinhard Geiken, 53, die Leitung des Bezirks Küste bei der Industriegewerkschaft, der rund 176 000 Mitglieder hat. Damit steigt Geiken zu einem der einflussreichsten Vertreter der Arbeitnehmer in Norddeutschland auf. Seine Vorgängerin Jutta Blankau ist seit März neue Senatorin für Umwelt und Stadtentwicklung in Hamburg.

Geiken leitete bislang die Verwaltungsstelle Flensburg der IG Metall. Seit seiner Ausbildung zum Betriebsschlosser bei VW in Emden Anfang der 70er-Jahre ist er Mitglied der Gewerkschaft. Nach seiner handwerklichen Ausbildung studierte er an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg und schloss als Diplom-Volkswirt ab. Geiken ist verheiratet und hat zwei Töchter im Alter von 17 und 24 Jahren.

Hamburger Abendblatt:

Herr Geiken, die deutsche Wirtschaft brummt wieder, auch im Norden. Ist das ein guter oder schlechter Zeitpunkt, die Führung des IG-Metall-Bezirks Küste anzutreten?

Meinhard Geiken: Den Zusammenhang kann ich so einfach nicht sehen. Ich habe bislang die Verwaltungsstelle Flensburg der IG Metall geleitet. In deren Einzugsgebiet haben wir in den vergangenen sechs Jahren fast 7000 Arbeitsplätze verloren. Vor allem durch die Schließung von Standorten beim Mobilfunktelefon-Hersteller Motorola und beim Kompressoren-Hersteller Danfoss. Das relativiert die gute wirtschaftliche Lage für mich ganz erheblich.

Was kann die IG Metall als immerhin größte Einzelgewerkschaft der Welt dagegen tun?

Geiken: Als Gewerkschaft haben wir keinerlei Mitspracherechte, wenn multinationale Unternehmen ihre Standorte nach Belieben - und vor allem nach Rendite - verlagern. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass der wirtschaftliche Aufschwung bei den Arbeitnehmern am wenigsten ankommt. Denn wenn Arbeitsplätze neu aufgebaut werden, dann viel intensiver als früher mit befristeten Verträgen und durch Beschäftigungsverhältnisse bei Leiharbeitsfirmen.

In der norddeutschen Metallindustrie hat während der vergangenen Jahrzehnte vor allem der Schiffbau gelitten. Wie lange wird es noch Werften für Seeschiffe an den deutschen Küsten geben?

Geiken: Sehr lange. Die Spezialisierung von Schiffstypen und die wachsenden Anforderungen des Umweltschutzes bieten den deutschen Werften und Zulieferern reichhaltige Möglichkeiten ...

... machen Sie sich da nicht etwas vor? Eine Reihe deutscher Werften für Seeschiffe findet keine ausreichenden Anschlussaufträge mehr. Und der Konkurrenzdruck aus Asien wächst weiter.

Geiken: Die deutschen Werften haben große Chancen und müssen sie ergreifen. Weit oben steht hier die Offshore-Energiewirtschaft, der Aufbau von Windparks auf See, die Errichtung neuer Stromnetze durch Nord- und Ostsee, auch die Öl- und Erdgasförderung. Hier werden in den kommenden Jahrzehnten etliche Schiffe neuen Typs gebaut. Ein ideales Feld für deutsche Werften.

Wie wird es bei Blohm + Voss weitergehen nach dem geplanten Verkauf der Werft von ThyssenKrupp an Abu Dhabi Mar aus den Vereinigten Arabischen Emiraten? Der Verkaufsprozess läuft bereits seit Oktober 2009.

Geiken: Derzeit wissen wir über den Verkaufsprozess auch nicht mehr als die Öffentlichkeit. Wir müssen abwarten, bis das Geschäft endgültig besiegelt wird und der neue Investor dann seine Pläne präzisiert.

Wird die boomende Flugzeugindustrie in Hamburg und der Region neue Arbeitsplätze schaffen?

Geiken: Ich kenne mich in dieser Branche noch zu wenig aus. Gleich Anfang Mai werde ich zu einem ersten Besuch den Gesamtbetriebsrat von Airbus treffen, um mir einen Überblick zu verschaffen. Klar ist aber: Wir haben in der Metallindustrie im Norden drei Branchen, die Produkte mit einer sehr hohen Identifikation bei den Belegschaften wie auch in der Öffentlichkeit fertigen: Automobilzulieferer, Schiffe und eben die Flugzeugindustrie.

Welche Auswirkungen wird die neue Debatte um die Atomwirtschaft auf die - sehr stromintensiv produzierende - Metallindustrie haben?

Geiken: Eine Technologie wie die Atomkraft, die bei einem Unfall nicht mehr gesteuert werden kann, ist nicht zukunftsfähig. Der Atomausstieg muss zügig umgesetzt werden. Die erneuerbaren Energien bieten ja gerade in Norddeutschland eine gute Alternative.

Welche Themen stehen für die kommende Tarifrunde in Norddeutschland an?

Geiken: Neben den vielen Haustarifverträgen bei Unternehmen, die aktuell verhandelt werden, läuft der Tarifvertrag für die Metall-Elektroindustrie im Frühjahr 2012 aus. Einerseits werden wir in den kommenden Monaten bei den Kollegen in den Betrieben in Erfahrung bringen, welche Vorstellungen sie mit Blick auf Löhne und Gehälter haben. Andererseits geht es hier im Norden sehr darum, dass für die vielen Leih- und Zeitarbeiter bessere tarifliche Regelungen getroffen werden. Und schließlich ist auch die Übernahme von Auszubildenden in feste Arbeitsverhältnisse für uns ein wichtiges Thema.

Sie leben nach wie vor in Flensburg. Wie werden Sie als Bezirksleiter arbeiten?

Geiken: Ich habe eine kleine Wohnung in Hamburg gemietet und werde vom 1. Mai an zwischen Hamburg und Flensburg pendeln.

Was sagt Ihre Familie zu Ihrer neuen Tätigkeit?

Geiken: Mit meiner Frau bin ich seit 30 Jahren verheiratet. Sie kennt meine Arbeit für die Gewerkschaft sehr gut. Zu der Entscheidung für die neue Aufgabe hat sie mir zugeraten. Sie sagte: "Wenn du es nicht tust, wirst du dich ständig fragen, warum du es nicht getan hast."