Schmidtl mag es gar nicht, wenn der Sand im Riesenaquarium zu sehr aufgewirbelt wird. Plankton ist jedoch herzlich willkommen.

Hamburg. Schmidtl macht ab und zu dicht. Das liegt weniger an seinem miesen Ruf (seine ganze Sippe wird unverhohlen als Mörder bezeichnet, doch dazu später) als an allzu viel Sand im Getriebe. Dieses passiert immer dann, wenn ihm und den anderen Bewohnern des Korallenriffs in Hagenbecks Tropen-Aquarium jemand aufs Dach steigt, also ein Pfleger zur Reinigung des Beckens in selbigem (auf)taucht. Schmidtl ist eine Riesenmuschel - und mag es gar nicht, wenn der Sand im Riesenaquarium zu sehr aufgewirbelt wird.

Verstehen kann das Weichtier jeder, der beim Verzehr von einer Portion seiner kleineren Verwandten (Miesmuscheln, zum Beispiel) schon einmal den Mund voll Sand hatte. Als sogenannte Filtrierer strudeln die Muscheln mehrere Liter Seewasser in der Stunde durch ihre Körper hindurch. "Die Riesenmuschel schafft mehrere Hundert Liter am Tag", sagt Uwe Richter, der pensionierte, langjährige Leiter des alten Tropariums bei Hagenbeck. Dabei kann man die Einstrom- und die Ausstromöffnung bei den Riesenmuscheln gut unterscheiden: "Der Eingang sieht aus wie ein Kamm, um größere Treibstücke abzuhalten", sagt Richter. Eingesaugtes Plankton ist jedoch herzlich willkommen: Besonders kleine Algen dienen den Muscheln als Nahrung.

Schmidtl war sechs oder sieben Jahre alt, schätzt Richter, und gerade einmal zwei Kilogramm schwer, als er 1989 nach Hamburg kam. "Herr Schmidt war ein Händler in Lünen, Westfalen, ein begnadeter Aquarianer - von ihm haben wir die Muschel. Und sie von ihm den Namen", verrät Uwe Richter mit einem Augenzwinkern. Als das Tier vor fünf Jahren vermessen wurde, hatte es sein Gewicht auf zwanzig Kilogramm verzehnfacht, bei einer Länge der Schalen von mittlerweile 47 Zentimetern. "Schmidtl ist eine Schuppige Riesenmuschel, bei der die dickwandigen Schalen außen mit auffallenden Schuppen besetzt sind", erklärt Richter. Er hat ein besonderes Verhältnis zu der Muschel - sind die beiden doch schon zusammen umgezogen. Zwischen Abriss des alten Tropariums und Neubau des heutigen Tropen-Aquariums wurden viele Tiere, zum Beispiel alle Bewohner des Korallenriffs, in Becken auf dem Wirtschaftshof des Tierparks zwischengelagert.

Ein Transport in riesigen Wannen? "Bei den Riesenmuscheln war das gar kein Problem", sagt Richter. "Die können auch schon einmal eine Stunde trocken liegen." Immerhin sind sie Tiere des indopazifischen Riffs, und an diesem werden sie durch Ebbezeiten ab und zu auch an die Luft befördert. Überhaupt: Wie ist das denn jetzt mit der Behauptung, Riesenmuscheln schnappten blitzschnell nach Tauchern und hielten diese für immer am Meeresgrund? "Blödsinn", sagt Uwe Richter. "Die Schließbewegung der Muskeln ist recht langsam." Die Muscheln schlössen sich außerdem schon, wenn ein Schatten auf sie falle, um sich vor Feinden zu schützen.

Nur ein einziges Mal wurde Richter Zeuge eines Muscheldramas: Ein Fuchsgesicht, ein giftiger, neugieriger Korallenfisch, pickte ständig an den Mantellippen einer Riesenmuschel herum. Als Richter eines Morgens ins Becken schaute, steckte der Fisch mit dem Kopf zwischen den geschlossenen Schalen. "Ich habe noch versucht, die Muschel aufzudrücken, aber sie machte immer doller zu." Fatal für beide Tiere: Das Gift des Fisches geriet in die Muschel - am Abend waren beide tot.

Schmidtl ist diesbezüglich bisher friedlich geblieben. Seine changierenden Hautlappen aus der Nähe sehen zu können ist für viele Besucher ein Erlebnis. In den Mantellippen leben übrigens Symbiosealgen, die die Muschel mit organischer Substanz und Sauerstoff versorgen. Wie praktisch - und auf eine Frau Schmidt muss Schmidtl übrigens auch nicht warten: Wie andere Weichtiere sind Riesenmuscheln Hermaphroditen, das heißt, sie bilden sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsorgane aus und geben Eier und Spermien ins Wasser ab. Zeitversetzt, damit sie sich nicht selbst befruchten. Da sage noch einer, Muscheln seien langweilig.

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