Menschen, die im Ungehorsam Tapferkeit beweisen, sind mir die liebsten. Und dabei ist es gar nicht von Bedeutung, ob die Helden berühmt sind oder nicht.

Persönlich kann ich wenig mit dem Begriff "Helden" anfangen. Er klingt zu dramatisch, und ich muss dabei sofort an griechische Götter- und Heldensagen denken. Lieber spreche ich von "Vorbildern". Ich mag Bücher im Programm, die zeigen, wie Kinder und Jugendliche sich in Konfliktsituationen behaupten. Harry Potter beispielsweise ist in meinen Augen immer dann ein Vorbild, wenn er seine Bedürfnisse hintenan stellt, um sich für andere einzusetzen. Am ehesten Vorbild scheint mir aus Joanne K. Rowlings Figurenarsenal aber Dumbledore zu sein. Er tut alles in seiner Macht stehende, um die ihm Anvertrauten zu schützen. Und er erzieht sie zu einer wagemutigen Haltung, will das Selbstvertrauen der Kinder stärken und sie zum Widerspruch animieren. Er macht also genau das, was der Job eines jeden Lehrers sein müsste. Aber wir wissen ja aus dem Schulalltag, dass genau dies oft nicht stattfindet.

Wenn ich an meine eigene Kindheit zurückdenke, so haben "Helden" für mich nie eine Rolle gespielt. In der Generation meiner Eltern war noch die Vorstellung verbreitet, dass ein Held ein Soldat sein könnte, der unerschrocken Befehle ausführt. Mir haben schon damals eher Menschen wie Mahatma Gandhi imponiert, die im Ungehorsam Tapferkeit bewiesen haben. Ich glaube, dass das bei Kindern von heute nicht viel anders ist: Sie bewundern eher die Menschen, die sich nicht anpassen, die unbeirrt ihre Meinung vertreten und ihren Stil leben, als jene, die innerhalb eines Systems gut funktionieren. Die Frage ist, wie stark Idole, also beispielsweise Sportler, Popstars oder Filmschauspieler, als Vorbilder wirken - nachhaltig vermutlich nur, wenn sie mehr zu bieten haben als Weltrekorde, Hits oder Oscars.

Ich habe früher zum Beispiel für John F. Kennedy geschwärmt und als Jugendlicher begeistert sein Buch über "Zivilcourage" gelesen, in dem er Menschen porträtiert, die heldenhaft ihre Meinung gegen den Mainstream verteidigt haben, wenn sie davon überzeugt waren, dass die Masse falsch handelte. Und ich habe Menschen wie Martin Luther King und Robert Kennedy bewundert, die gegen die Rassendiskriminierung oder das Organisierte Verbrechen gekämpft haben. Heute könnten bei jungen Menschen Umweltschützer oder Menschenrechtler eine ähnliche Vorbildfunktion haben: weil sie die Utopie einer freundlicheren Welt verfolgen, auch indem sie oft nicht nur auf ein behagliches eigenes Leben verzichten, sondern sogar ihr Leben riskieren. Aber wir brauchen solche Vorbilder, um uns daran zu erinnern, dass wir als Menschen eine besondere Verantwortung haben: dass wir nicht hinterherlaufen, sondern vorangehen.

Kinder brauchen Vorbilder. Das müssen nicht berühmte Menschen sein, die Spektakuläres vollbringen. Es kann ebenso gut der eigene Vater, ein Jugendgruppenleiter oder die Oma sein, die es im Chaos einer kaputten Familie schafft, den Kindern Momente von Geborgenheit und Wärme zu geben.


Der Autor leitet den Carlsen-Verlag in Hamburg. Vor zehn Jahren erschien hier der erste Harry-Potter-Band in deutscher Sprache. Humann hatte 1997 die Rechte erworben, als andere Verlage kein Risiko mit dem noch unbekannten Zauberlehrling eingehen wollten.