In Deutschland arbeiten 17 000 Hebammen. Sie umsorgen Schwangere, nehmen die Angst vor der Geburt, beraten im Wochenbett. Zwei dieser Heldinnen haben wir begleitet.

Mit einem hölzernen Höhrrohr lauscht Anne Baumert den gleichmäßigen Herzschlägen des ungeborenen Lebens. Die junge Hebamme ertastet die Lage des Babys. Dann legt sie das Maßband vom Schambein über den kugelrunden Bauch bis unter den Rippenbogen: 33 Zentimeter. Das entspricht der Schwangerschaftswoche, in der sich Valeska Szalla befindet. Die 27-Jährige ist zur Vorsorgeuntersuchung hier. Sie hat sich entschlossen, ihr erstes Kind im Geburtshaus Hamburg in Altona zur Welt bringen. Es ist das einzige in der Hansestadt.

Hier bieten acht Hebammen ganzheitliche Betreuung rund um Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett an. Yoga und Bauchtanz für Schwangere, Geburtsvorbereitung in allen Variationen - mit und ohne Männer, für Geschwister oder Großeltern, Rückbildungsgymnastik, Still- und Ernährungsberatung, Wochenbettbetreuung, Babymassagekurs - das Angebot ist vielfältig. So auch die Anforderungen an die Geburtshelferinnen. "Wie beraten während der Schwangerschaft, begleiten die Geburt und unterstützen Mutter und Kind in der ersten Zeit", sagt Anne Baumert. Die 29-Jährige arbeitet seit fünf Jahren als Hebamme. Dabei wollte sie zunächst in die Entwicklungshilfe. Doch als sie einen Artikel über eine Hebamme las, die in Afrika arbeitete, wusste sie, dass sie das auch machen wollte. Ein Praktikum bestärkte die gebürtige Baden-Württembergerin in ihrem Wunsch.

Unvergesslich das erste Baby: "Ich durfte bei einer Geburt zusehen und stand nur im Weg rum", erinnert sich Anne Baumert. Nach drei Jahren Ausbildung folgten zwei Jahre im Kreißsaal in einer Stuttgarter Klinik. "Doch ich hätte gern mehr Zeit mit der Vor- und Nachbetreuung der Frauen gehabt", sagt Anne Baumert. Und so kam sie nach einem zweimonatigen Praktikum als Geburtshelferin in Kamerun nach Hamburg.

Hier im Geburtshaus bietet sie den Frauen eine ganzheitliche Betreuung an. Denn die Frauen lernen ihre Hebammen in der Regel schon vor der Geburt kennen - bei regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen und in Geburtsvorbereitungskursen. Anders als bei einer Hausgeburtshebamme, die sich 24 Stunden am Tag für den Ernstfall bereithalten muss, teilen sich hier die Hebammen, die in einem Team arbeiten, die Rufbereitschaft. So ist drei Wochen vor der Geburt immer jemand erreichbar. So kann es an einigen Tagen für die Heldinnen des Alltags schon mal hektisch werden. Und zwar dann, wenn die Wehen einsetzen. Dann können sich die Schwangeren in einem der beiden freundlich gestalteten Geburtszimmer auf das große Ereignis vorbereiten. Je nach Geschmack können sich die Mütter und Paare Musik, Beleuchtung und Düfte auswählen. Ein Bad in der Gebärwanne kann beim Entspannen helfen, ebenso sanfte Methoden wie Akupunktur, Massage oder Homöopathie. Technische Hilfsmittel und Medikamente werden eher zurückhaltend eingesetzt.

Geburten wieder mehr als natürlichen Vorgang zu verstehen, das wünschen sich auch die Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe (QUAG) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Sie kritisieren die Vielzahl unnötiger Eingriffe zur Beschleunigung des Geburtsverlaufs. Demnach erleben nur noch sieben Prozent der Gebärenden eine interventionsfreie Geburt, ein Wert, der sich laut QUAG aus einem Betreuungsnotstand im Kreißsaal ergibt.

Im Geburtshaus können die Frauen in intimer Atmosphäre gebären. Dazu stehen ihnen alle Möglichkeiten offen. Sie können ihr Kind stehend, sitzend auf dem Gebärhocker oder im Bett oder der Wanne liegend auf die Welt bringen - in ihrem Tempo, ohne Beschleuniger.

"Nach der Geburt gehen wir dann erst einmal aus dem Raum, um den Eltern und dem Baby die Chance zu geben, sich in aller Ruhe kennenzulernen", sagt Anne Baumert. Bonding nennt sie es, was bedeutet, dass Mutter und Kind eine Bindung aufbauen. Nach etwa vier Stunden kann die junge Familie nach Hause, wo sie zunächst täglich, dann in längeren Abständen von einer Hebamme im Wochenbett betreut wird. Seit der Gründung 1992 kamen im Geburtshaus fast 2000 Babys zur Welt. Anders als in einer Klinik sind hier keine Ärzte bei der Geburt dabei. Hebammen sind gesetzlich berechtigt, Geburtshilfe zu leisten und Ärzte sind verpflichtet, eine Hebamme zur Geburt hinzuzuziehen. Schließlich ist eine Geburt keine Krankheit. Doch damit alles glattgeht, werden Risikofälle an Fachärzte überwiesen.

So enden einige Geburten, die im Geburtshaus beginnen, im Krankenhaus - unter anderem im Kreißsaal der Asklepios-Klinik in Wandsbek. Hier finden jährlich mehr als 1100 Geburten statt. Viele dieser Geburten hat Lisi Hecher miterlebt.

Die Hebamme hat heute die Frühschicht übernommen. Sie lässt sich von der Nachtschicht den aktuellen Stand mitteilen, stellt sich kurz ihren Patientinnen vor und sieht auf der Wochenstation nach dem Rechten.

Behutsam nimmt die 43-Jährige ein schreiendes Neugeborenes aus seinem Bettchen. Der noch namenlose Junge ist erst einen Tag alt. Sein dichtes Haar ist genauso pechschwarz wie ihres. Sie legt ihre Hand beruhigend auf das rote, zerknautschtes Gesicht des Säuglings und wiegt ihn sanft hin und her. Das Kind wird ruhiger, hört aber erst auf zu quäken, als sie mit dem kleinen Finger seinen Gaumen berührt. Hier sitzt nicht der Schalter zum Ausschalten. Das Kind hält den Finger für eine Brustwarze. "Und wo die ist, kann die Mutter nicht weit sein", sagt sie. Schon fühlt es sich geborgen. Kleine Tricks, die sie sich in 22 Jahren Berufserfahrung angeeignet hat.

"Es hat sich einiges im Laufe der Jahre verändert", sagt Hecher. "Frauen bestimmen viel mehr selbst, wie sie ihr Kind bekommen möchten." Früher boten Hebammen und Ärzte nur an, in Rückenlage zu gebären. Heute gehen sie viel mehr auf die Wünsche der werdenden Mütter ein.

Und die sind zum Teil schon sehr gut informiert, wenn sie zu ihr kommen. Die Frauen kennen ihre Rechte, wenn es beispielsweise um den Wunschkaiserschnitt geht. "Vor zwanzig Jahren wäre der undenkbar gewesen", sagt Hecher. Da gab es medizinische Indikatoren für einen Kaiserschnitt. "Heute schauen die werdenden Mütter in ihrem Terminkalender nach, wann ihnen die Geburt am besten passt." Laut QUAG erreichte die Kaiserschnittrate im vergangenen Jahr einen Rekord von 30 Prozent.

Trotz dieser für sie bedenklichen Entwicklung empfindet sie ihre Arbeit auch nach all den Jahren immer noch als Traumjob. "Es ist einfach toll, Menschen in einer so emotionalen Situation zu erleben", sagt Lisi Hecher. Neben der Arbeit im Kreißsaal steht sie Müttern in den ersten acht Wochen nach der Geburt zur Seite. Gerade betreut sie eine Mutter, die ihr siebtes Kind erwartet. "Es ist toll. Die Frau nimmt sich die Zeit für mich, obwohl sie sich bestens auskennt", sagt sie. Auch erfahrene Mütter möchten eben von einer Heldin umsorgt werden.


www.geburtshaus-hamburg.de