Von Anfang an hatten sie die treuesten Fans, die rund um den Globus, in schwarze Popperklamotten gezwängt, ihre Helden wie Erlöser verehrten. Depeche Mode begannen vor einem Vierteljahrhundert als peinliche Teenieband mit blechernem Synthietrash, später wurden sie zu den erfolgreichsten Pionieren des düster- romantischen Elektropops. Sie lebten ausschweifend. Überlebt hätten sie das beinahe nicht.

Sänger Dave Gahan hatte schon 1995 zehn Jahre Alkohol- und Heroinsucht und zwei Selbstmordversuche hinter sich. Nach einer Überdosis war er zwei Minuten klinisch tot. Keyboarder Andrew Fletcher erlitt einen Nervenzusammenbruch. Songschreiber Martin Gore sah die Band am Ende. Es kam anders.

Mit "Exciter" gelang der Band 2001 ein grandioses Comeback. Jetzt legen Depeche Mode mit "Playing The Angel" (Mute/EMI) ihr elftes Studioalbum vor. Die Konzerte am 15. und 16. Januar 2006 in der Hamburger Color- Line-Arena sind seit Monaten restlos ausverkauft.

Wir treffen Sänger Dave Gahan (43) an einem sonnigen Spätsommertag in Berlin. Er trägt ein Muskelshirt unter dem tadellos sitzenden Nadelstreifenanzug. Am gebräunten Hals blitzt eine Goldkette mit Jesusbild. Er trinkt Kaffee und raucht Zigarillos. Eine bizarre Mischung aus ewiger Jugend, britischem Gentleman und Überlebendem aus dem Jenseits.

JOURNAL: Das neue Depeche-Mode-Album nach vier Jahren Pause klingt ganz schön düster. Hängen wieder dunkle Wolken über Ihnen?

DAVE GAHAN: Sicher, da steckt Melancholie drin. Wie in allen unseren Platten. Aber auch ganz viel Hoffnung. Das Leiden an Beziehungen war immer unser Thema.

JOURNAL: Sie selbst haben einige Jahre hinter einem finsteren Vorhang verbracht. Woraus ziehen Sie Ihre Hoffnung?

GAHAN: Ich sehe sie überall um mich herum. In dem, was ich tue. In meinen Kindern. Mein ältester Sohn macht Musik, der andere will Filme drehen, meine Tochter will Ballerina werden. Das ist das Wunder des Lebens.

JOURNAL: Es hieß, Sie und Ihre Kollegen wohnten im gleichen Hotel auf drei Stockwerken, um sich nicht zu begegnen. Wie schwer war die Krise?

GAHAN: Es gab keine Krise. Wir arbeiten im Studio gut zusammen. Wir haben definitiv noch viel zu erzählen, also machen wir weiter. Jetzt gibt es dieses Album, wir gehen auf Tournee und danach getrennte Wege. Viele Jahre haben wir in zu engen Grenzen gelebt. Das ist auf Dauer erdrückend.

JOURNAL: Auf dem neuen Album haben Sie drei eigene Songs beigesteuert. Ist das ein neues Gefühl?

GAHAN: Ja, ich bin der Neue. Ich habe immer schon Songs geschrieben, war aber nicht in der Lage, meine Ideen zu Ende zu führen. Seit zehn Jahren geht es mir besser mit meinem Leben. Wenn du in eine Band eingebunden bist, sind die Rollen allerdings sehr klar definiert.

JOURNAL: Wie hat Martin Gore, der ja alle anderen Songs schreibt, reagiert?

GAHAN: Er hat es offensichtlich akzeptiert - ich hätte sonst kein neues Depeche-Mode-Album mehr gemacht.

JOURNAL: Martin Gore schreibt weiterhin autobiographische Songs über Sie - zum Beispiel "Suffer Well".

GAHAN: Das stimmt. Da kommt "Engel" häufig als Metapher vor. Ich habe immer gefühlt, daß mich jemand anruft. Vor zehn Jahren sprach ich mit einem Freund über meine Unfähigkeit, weiter am Leben teilzunehmen. Er sagte: "Leide gut und lächle." Später begriff ich, was er meinte. Erst wenn du genug hast, kannst du weitergehen.

JOURNAL: Depeche Mode ist 25 Jahre alt. Sind Gore und Gahan die Jagger und Richards des Elektropops?

GAHAN: Wir sitzen nicht zusammen und schreiben gemeinsam. Aber er hat sicherlich viel zu meinen Songs beigetragen. Das meiste überlassen wir unserem Produzenten Mark Bell. Wir sind faul geworden. Ich sehe unser größtes Verdienst darin, daß es uns überhaupt noch gibt.

JOURNAL: Viele 80er-Jahre-Bands sind längst verschwunden. Warum wollen die Leute Sie immer noch sehen?

GAHAN: Live-Shows waren uns immer wichtig. Alle Bands, die überlebt haben, sind gute Live-Bands: The Who, die Stones, U2 oder R.E.M.

JOURNAL: Sie haben großen musikalischen Einfluß. Sogar auf die Countrymusik. Johnny Cash hat zum Beispiel "Personal Jesus" gecovert . . .

GAHAN: Ich fand es großartig. Er hat die Seele des Songs erkannt. Denn da geht es um Blues und Gospel. Bis auf "Kraftwerk" interessiert mich sowieso eher Rockmusik. Jede Band verwendet heutzutage Keyboards.

JOURNAL: Das neue Album beschreibt "The Sinner In Me". Welche Sünden bereuen Sie?

GAHAN: Naja, der Song sagt, vielleicht hast du dir dieses Loch selbst gegraben. Dafür kannst du nicht die Umgebung verantwortlich machen.

JOURNAL: Wie erinnern Sie sich heute an die Mitte der 90er Jahre?

GAHAN: Da gab es spaßige, aber auch ziemlich harte Zeiten. Die meisten Erinnerungen sind gut. Einige Jahre lebte ich sehr selbstzerstörerisch. Ich trug das nach außen und wollte die Welt ausschließen. Das funktioniert nicht.

JOURNAL: Wie hat sich Ihr persönliches Leben im Vergleich zu früher verändert?

GAHAN: Ich jogge regelmäßig, morgens, wenn die Sonne aufgeht. Da spürst du, daß du lebst. Es passiert ja immer etwas. Mein Sohn hat die Schule verlassen. Er spielt Gitarre und ist in seine erste WG in London gezogen. Ich bin heute froh, hier zu sein.

JOURNAL: Vermissen Sie manchmal das ausschweifende Partyleben?

GAHAN: Nein, überhaupt nicht. Ich genieße es, Zeit mit meiner Familie zu verbringen, ins Kino zu gehen oder auf Dinnerpartys. Es ist furchtbar langweilig, wenn die Bar das wichtigste ist. Mir gibt das nichts mehr. Ich spaziere lieber durch die Museen und Galerien in New York.

JOURNAL: Auf der letzten Tournee war ein Kerl namens Ed Ihr ständiger Begleiter, der auf Sie aufpassen sollte. Reist er noch mit?

GAHAN: Nein, heute ist mein alter Freund Jeff dabei. Wir passen aufeinander auf.

JOURNAL: Was sagen Sie Ihrem Sohn, wenn er ins Musikbusiness will?

GAHAN: Ich sagte ihm: Du mußt hart arbeiten, du sollst Spaß haben, aber nimm um Gottes Willen nicht alles zu ernst.