Innenansichten einer Mörderin: Michael Kumpfmüller hat einen echten Kriminalfall zum Roman verarbeitet.

Conny schließt an einem heißen Sommertag des Jahres 1999 die Wohnungstür hinter ihren beiden Kindern. Die junge Mutter übernachtet bei ihrem Liebhaber, macht mit einer Freundin einen Einkaufsbummel, säuft, befriedigt die sexuellen Wünsche diverser Männer und streift alleine durch die Stadt. Nach zwölf Tagen kehrt sie in ihre Wohnung zurück. Da sind die drei und vier Jahre alten Jungen längst tot - qualvoll verdurstet. Michael Kumpfmüller erzählt die Geschichte nach einem authentischen Kriminalfall aus Frankfurt/Oder, wo eine 23-Jährige im Juni 1999 tatsächlich zwei ihrer vier Kinder in ihrer Wohnung verdursten ließ. Als Erzähler versucht der Autor, durch die erfundene Innenansicht der mordenden Mutter eine Erklärung für die Tat oder wenigstens Ansätze dafür zu finden. Der 42-Jährige, vor drei Jahren mit dem Schelmenroman "Hampels Fluchten" als Debütant sehr erfolgreich, hat sich hier für eine Kombination aus strengem chronologischen Ablaufprotokoll und ausschließlich subjektiver Sicht der Mutter entschieden. Das Leiden der beiden Kinder bis zu ihrem Tod taucht mit keinem Wort direkt auf. Wie aber denkt die Mutter daran? Könnte vielleicht die aberwitzige Verdrängung dieser Qualen Aufschlüsse über den Antrieb für ihr Handeln geben? Conny ist in Kumpfmüllers Roman eine entwurzelte, antriebsschwache Frau, die die Leere in ihrem Leben vorzugsweise durch Erfüllung sexueller Männerwünsche zu füllen versucht. Bei der Lektüre dieser Sex-Passagen fühlt man sich in das grausig kalte Universum des Franzosen Michel Houellebecq ("Ausweitung der Kampfzone") versetzt. In anderer Tonlage lässt der Berliner Autor seine Hauptfigur über das eigene Handeln und ihre Gefühle gegenüber den Kindern reflektieren: "Jemanden vergessen, nicht an ihn denken, obwohl man könnte: Das wäre böse." Wenn Conny an die im Buch namenlosen Söhne denkt, sind sie oft "hässliche Bälger" oder eine "verdammte Brut", die sie auch vor dem Mord durch Verlassen schon erstechen oder in einen Fluss werfen wollte. Kurz bevor sie nach zwölf Tagen die Tür zur eigenen Wohnung mit den darin liegenden Leichen wieder aufschließt, geht ihr anderes durch den Kopf: "Auf einmal dachte sie wieder an die Kinder, aber mit einer stillen Freude, warm und pulsierend, wie nach einer langen Krankheit, wenn man sich endlich wieder spürt, die guten Geister, wenn sie allmählich zurückkommen, die unverwüstliche Kraft des gesunden Lebens." Ist sie vielleicht "einfach" nur eine Wahnsinnige? Die Antwort ist am Ende so offen wie am Anfang. Das spricht nicht gegen das Buch. Kumpfmüller wagt sich weit vor beim Fragen nach tieferen Antriebsmotiven für böses Handeln und nimmt den Leser ohne falsches Pathos mit auf seine beklemmende Entdeckungsreise. Dabei stören jedoch allzu häufige nichtssagende Reflexionen der Hauptfigur wie "Im Grunde wusste sie selbst nicht, wer sie war". Etwas sparsamer hätte Michael Kumpfmüller auch das Wassermotiv als Symbol für Leben und den Durst danach verwenden können. Irgendwann wirkt es zu durchsichtig. (Thomas Borchert/dpa)

  • Michael Kumpfmüller: Durst. Kiepenheuer & Witsch, 208 Seiten; 16,90 Euro. Michael Kumpfmüller liest am 21.11. um 20 Uhr im Literaturhaus, Schwanenwik 38, Eintritt: 6/3 Euro.