Dirk Wittenborn beschreibt in seinem Roman die seltsamen Bräuche von US-Millionärskindern. Die findet er exotischer als einen Stamm am Amazonas.

Das Problem der wirklich Reichen ist, dass sie an nichts glauben, was sie kaufen können. Und an das, was sie nicht kaufen können, glauben sie sowieso nicht", sagt der amerikanische Autor Dirk Wittenborn, der eine abenteuerliche Biografie zwischen Millionärskindern und Drogensüchtigen vorweisen kann. In seinem Roman "Unter Wilden" beschreibt Wittenborn durch die Augen des 16 Jahre alten Finn Earl nun die schönen, jungen Erben, die alles haben und kaum etwas daraus machen, wie die Bewohner eines seltenen Reservates. Finn ist der Sohn einer drogensüchtigen 33 Jahre alten Mutter, die als Masseurin arbeitet. Er wird Ende der 70er-Jahre aus einem schmuddeligen Apartment in Manhattan in eine Millionärskolonie nach Vlyvalle in New Jersey verfrachtet und gerät damit in eine bizarre Welt. Sein Vater, den der Junge leider nie kennen gelernt hat, ist ein berühmter Ethnologe, der die Welt der Wilden erforscht. Vlyvalle ist eine Oase der weißen amerikanischen Ostküstenaristokratie, ein goldener Spielplatz für die Superreichen: Hier lernt Finn ein Volk kennen, das fremder, wilder und geheimnisvoller ist als irgendein exotischer Stamm am Amazonas. Finn beobachtet nun die seltsamen Bräuche und Rituale der Rich kids, der Millionärserben, wie ein Ethnologe auf Erkundungsfahrt. Mal ist er befremdet, mal abgestoßen, mal will er unbedingt dazugehören. Drogenkonsum und Inzest, Brandstiftung, Vergewaltigung, Schrulligkeiten, Alkoholmissbrauch gehören ebenso zum Alltag dieser Jugendlichen und ihrer Eltern wie das Ausreiten, Golfspielen, der "country club" und schnelle Autos. Finn gerät unter die Fittiche des greisen Milliardärs Osborne. Dort entdeckt er ein neues Leben unter neuen Freunden, findet Zugang zu den Familienclans in Osbornes Reich und verliebt sich leidenschaftlich in Osbornes Enkelin Maya. Der amerikanische Traum scheint wahr zu werden - bis Finn auf die Verlogenheiten, die Lügen und Laster hinter den Fassaden stößt. Die schwierige Liebesgeschichte lässt Finn schneller erwachsen werden, als ihm lieb ist. Wittenborn schreibt als Insider. Wo er zur Schule ging, gab es nur wenige Namen auf den Briefkästen, die man nicht als Firmenlogos kannte. Seine Eltern waren Professoren und ständig in der Welt unterwegs. Als junger Mann schrieb er zwei Glamour-Romane, war Gagschreiber für die US-Comedy-Fernsehshow "Saturday Night Live". Seine Schwester hat einen der milliardenschweren Erben von Johnson & Johnson geheiratet. Mit seinem Schwager drehte er den ausgezeichneten Dokumentarfilm "Born Rich", in dem die Erben der amerikanischen Geldaristokratie ungeschminkt Auskunft über ihr sinnentleertes, bizarres Leben geben. Genau den richtigen Ton dieser uns unbekannten Spezies trifft er auch in seinem Roman, etwa wenn die Erbin Maya Finn erklärt: "Den Reichen gehts wahrscheinlich beschissener. Sie müssen für ihren Lebensunterhalt nicht arbeiten und haben deshalb mehr Zeit, sie selbst zu sein." Wittenborn erzählt von einer Welt, von der wir alle nur träumen können. Von der wir aber alle nur träumen sollten. Diese Welt ist gefährlich und ganz und gar moralfrei. Die Superreichen, so viel ist klar, leben nach eigenen, wilden Gesetzen. Wittenborn verschafft uns einen wunderbar unterhaltsamen Einblick in diesen Dschungel.

  • Dirk Wittenborn: Unter Wilden. Dumont, 414 Seiten, 22,90 Euro.