Valeska von Roques über den wahren Fall eines Schweizer Gardisten, der angeblich seinen Chef ermordet haben soll.

Lenins klassische Frage: "Wie viele Divisionen hat der Papst?" ist schnell beantwortet. Es sind zwei: die Schweizergarde und der päpstliche Sicherheitsdienst. Seit 500 Jahren schwören handverlesene junge Schweizer, mit ihrem Leben für den Papst einzutreten. Sie sind Bestandteil der päpstlichen Folklore, nicht von allen Fraktionen im Vatikan geliebt. In den Abendstunden des 4. Mai 1998 wird der gerade ernannte Kommandant der päpstlichen Schweizergarde, Alois Estermann, in seiner Wohnung erschossen aufgefunden. Neben ihm liegen seine venezolanische Ehefrau und der 23 Jahre alte Gardist Cedric Tornay. Alle drei weisen Schusswunden auf. Wenige Stunden später verbreitete der Pressesprecher des Heiligen Stuhls die offizielle Version des Tathergangs: Der junge Gardist habe in einem "Anfall von Wahnsinn" seinen Vorgesetzten und dessen Frau umgebracht und danach seinem eigenen Leben mit einem Schuss in den Mund ein Ende bereitet. Er sei wegen der Verweigerung einer päpstlichen Treuemedaille frustriert gewesen. An dieser Stelle schreckt Valeska von Roques, damals Korrespondentin für den "Spiegel" in Rom, empor. Sie kennt in Rom Gott und die Welt, ist als studierte evangelische Theologin auch mit dem blutigen Teil der bald zweitausendjährigen Kirchengeschichte vertraut. Als investigative Journalistin wittert sie den Skandal und will an die Quellen. Der Vatikan mauert, allerdings schlecht. Man kommt ihm auf die Schliche. Ein Abschiedsbrief des angeblichen Täters entpuppt sich als Fälschung. Der Autopsiebericht - nicht etwa von Gerichtsmedizinern des weltlichen Italien, sondern von zwei greisen Medizinalchargen des Vatikans erstellt - kann nicht stimmen und wird später von einem der besten forensischen Ärzte der Welt in Lausanne widerlegt. Die Mutter des angeblichen Selbstmörders hat das in hartnäckiger Wahrheitssuche veranlasst. Die Autorin rollt den Fall minutiös neu auf. Die ihr zur Verfügung stehenden Quellen sind lückenhaft. Aber sehr schnell wird klar: Die offizielle Version ist ein Lüge. Damit steht noch nicht fest, was tatsächlich geschah. Die Wahrheit ist schwerer zu ermitteln, als die Irreführung zu widerlegen. Aber wir haben es nicht mit einem ausgedachten Kriminalroman zu tun, in dem der Autor die Schlüssigkeit der Geschichte selbst verantwortet. Kriminalistische Kleinarbeit ist ohne die staatlichen Machtmittel für die Ermittlungen praktisch nicht möglich. So füllt sich das Buch "Mord im Vatikan" mit kirchengeschichtlichen Rückblicken, mit der Abwehr einer infamen Schwulengeschichte, die den Fall auf die Ebene eines Strichjungen-Falls herabziehen sollte, mit gut gezeichneten Persönlichkeitsprofilen der Ermordeten und deren Familien. Dadurch gewinnt das Buch eine Dimension, die der Fall für sich genommen nicht hergäbe. Wir lesen eine Generalabrechnung mit der gegen die europäische Aufklärung kämpfenden, in Geldaffären und andere Unappetitlichkeiten verstrickten katholischen Kirche in ihrer Machtzentrale. Wie die Autorin Valeska von Roques die Vatikan-Version der Morde demontiert, ist schlüssig. Ihre eigene Verschwörungs-Version behauptet sie vorsichtig und greift den anwaltlichen Ermittlungen der französischen Staranwälte Vergès und Brosselet nicht vor. Vergès war der Verteidiger des "Schlächters von Lyon", Klaus Barbie. Die Mutter von Cedric Tornay hat ihn beauftragt, das vatikanische Lügengewebe zu zerreißen. Wir werden von diesem "Mord im Vatikan" nicht zum letzten Mal gehört haben. (Harald Loch)

  • Valeska von Roques: Mord im Vatikan. Ermittlungen gegen die katholische Kirche. Hoffmann und Campe, 271 Seiten, 17,90 Euro.