Berlin. Magersucht endet oft tödlich. Medikamente gibt bisher es nicht. Nun wird ein Wirkstoff erprobt der vor allem als Droge bekannt ist.

Magersucht kann tödlich sein. Vor allem junge Mädchen und Frauen sind von der psychischen Krankheit betroffen, die nur schwer zu behandeln ist. Gängige Therapien wirken oft nicht. Ein großes Problem: Es gibt keine eigens zugelassenen Medikamente. Nun erregt eine neue Therapie mit Psilocybin Aufsehen.

Bei Psilocybin handelt es sich um die wichtigste psychoaktive Komponente halluzinogener Pilze. Sie sind auch als sogenannten Zauberpilze und Partydroge bekannt.

Magersucht: Zauberpilze gegen psychische Erkrankungen?

Noch sei die Substanz nicht Standard und nicht beim Hausarzt auf Rezept zu bekommen. Aber Psilocybin habe Potenzial: Tobias Buchborn, Diplom-Psychologe und Neurobiologie, sagte im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk, dass die Substanz Bemerkenswertes leisten könne: Mithilfe der Droge könnten eingefahrene psychologische Muster überwunden werden – ein wichtiger Schritt, um aus dem Teufelskreis von falschem Körperbild, Sportfanatismus und Diäten herauszukommen.

Die Studie mit den Magic Mushrooms gilt als klein, aber durchaus aussagekräftig. Die Substanz wurde an zehn junge Frauen mit Essstörungen verabreicht. Sie nahmen nur eine einzige Dosis mittels einer Kapsel von 25 Milligramm Psilocin zu sich, berichtet das Team um die Wissenschaftlerin Stephanie Knatz Peck von der University of California in San Diego (USA).

Zauberpilze gegen Magersucht: Das berichten Patientinnen

Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Nature Medicine veröffentlicht: Die meisten Patientinnen berichteten von positiven Erfahrungen. Bei vier Teilnehmerinnen waren die Symptome nach drei Monaten verschwunden, so die Autoren der Studie.

Das falsche Schönheitsideal lässt sich schwer bekämpfen. Oft wirkt es wie ein Zwang auf die Betroffenen.
Das falsche Schönheitsideal lässt sich schwer bekämpfen. Oft wirkt es wie ein Zwang auf die Betroffenen. © dpa | Jens Kalaene

Stefan Ehrlich, Professor für Psychosoziale Medizin und Entwicklungsneurowissenschaften der Medizinischen Fakultät an der TU-Dresden, der die Studie wissenschaftlich kommentierte, sprach gegenüber dieser Redaktion von einem „Erfolg versprechenden ersten Schritt“. Überrascht habe ihn, dass es kaum Nebenwirkungen für das Herz-Kreislaufsystem gab. Fast klingt es so, als hätte man das erwartet. „Nun ja, es war ja besonders brisant.“ Der Allgemeinzustand der Frauen sei durchaus problematisch gewesen.

Droge zeigt Erfolg in der Behandlung von Depressionen

„Die Frauen hatten starkes Untergewicht“, so Stefan Ehrlich. Auch die Herzfrequenz sei aufgrund der Krankheit sehr niedrig gewesen. Hinzu kam, dass die Elektrolyt-Werte, etwa Kalium, bedingt durch die Magersucht ebenfalls nicht im optimalen Bereich lagen. Aber die Droge habe den Teilnehmerinnen nicht geschadet.

Das Ergebnis, zur Zeit in Phase 1 der klinischen Testung, in der es vor allem um die Nebenwirkungen geht, habe alle gefreut, so Ehrlich. Jetzt hoffe man auf weitere Schritte. „Es gibt bereits positive Erfahrungen mit Psilocybin bei der Therapie von Depressionen, was die Wirksamkeit angeht.“ Ehrlich geht davon aus, dass Psilocybin auch für die Behandlung von Magersucht bald in Phase 2 auf die Wirkung getestet wird.

Magersucht: Bisher gibt es keine zugelassenen Medikamente

„Dass es weitergeht, ist von großer Bedeutung“, so Ehrlich. „Denn es gibt zur Zeit keine Medikamente, die extra für die Behandlung der Magersucht zugelassen sind.“ Das aber sei äußerst wichtig. „Magersucht hat die höchste Sterblichkeit unter den psychologischen Erkrankungen.“

Was die Substanz bewirkt, wird von den Forschern so beschrieben: Das aus den Pilzen stammende Psilocybin gelange ins Gehirn und binde sich an die Andockstelle des Neurotransmitters Serotonin. Dies verursache Veränderungen des Bewusstseins ähnlich wie bei LSD und öffne eine Tür zu neuen Erfahrungen. Zudem könne Psilocybin auch noch die Bildung neuer Verknüpfungen im Gehirn fördern.

Die Substanz aus den Zauberpilzen zeigt bereits Wirkung in der Therapie von Depressionen.
Die Substanz aus den Zauberpilzen zeigt bereits Wirkung in der Therapie von Depressionen. © iStock | istock

Nach einer Woche zeigte sich bei den Frauen im Detail folgendes Bild, so die Studien-Autoren: „90 Prozent hatten den Herausforderungen des Lebens gegenüber ein positiveres Gefühl, 80 Prozent bezeichneten die Erfahrung sogar als eine der fünf wichtigsten ihres bisherigen Lebens“, berichten Knatz Peck und ihr Team. 70 Prozent der Frauen verspürte eine allgemeine Besserung ihrer Lebensqualität. Die Hoffnung, dass sie sich gesund ernährten, steige.

Pilze gegen Magersucht: So wirkt die Droge

Laut Stefan Ehrlich hat die Droge großes Potenzial, weil sie den Teufelskreis der blockierenden Gedanken durchbrechen kann. Auch der Psychotherapeut Tobias Buchborn sieht die Substanz als Chance, aus dem mentalen Hamsterrad auszubrechen und sich wieder auf den Weg zur Gesundheit zu begeben.

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Durch die Droge würden die verfestigten Prozesse im Gehirn gestört – und damit Platz geschaffen für Neues, so die Experten. Zwanghafte Routinen würden unterbrochen. Und ließen so endlich den Blick frei auf das, was diese Routinen zu verbergen suchen: traumatische Erlebnisse.

Daran könnte man dann zum Beispiel mit Psychotherapie ansetzen. Die Droge bewirke die Erkenntnis, dass das Gehirn das falsche Schönheitsideal als falsch brandmarkt. Diese Wahrnehmung sei Magersüchtigen sonst meist nicht möglich. Doch genau das ist von großer Bedeutung für den richtigen Therapieansatz und der Bereitschaft zur richtigen Ernährung.