Berlin. In der Türkei und in Syrien hat es in der Nacht zu Montag zwei Erdbeben gegeben. Die Zahl der Toten steigt in beiden Ländern rapide an.

Es beginnt mit einem unheimlichen Geräusch. Die meisten Menschen schlafen, als am Montagmorgen um 4.17 Uhr im Südosten der Türkei die Erde bebt. Die wenigen, die zu dieser Zeit schon wach sind, berichten später von einem dumpfen Grollen aus der Tiefe, mit dem sich die Katastrophe ankündigt.

Sekundenbruchteile später setzt das Beben ein und rüttelt eineinhalb Minuten lang an Fundamenten und Wänden. Menschen schaffen es irgendwie, aus ihren knirschenden und schwankenden Gebäuden nach draußen zu fliehen, in die kalte, dunkle Winternacht. Andere werden unter einstürzenden Decken und Mauern begraben.

Erdbeben in der Türkei und Syrien

Auch im benachbarten Syrien spielen sich panische Szenen ab. Apokalyptische Videos aus dem Norden des Bürgerkriegslandes zeugen von unvorstellbarem Horror: Menschen schreien und laufen vor herabfallenden Trümmern davon, während im Hintergrund Gebäude wie Kartenhäuser in sich zusammenfallen. Die Schockwellen dieses Megabebens sind sogar Hunderte Kilometer entfernt in Israel, im Libanon, in Ägypten und auf der Insel Zypern zu spüren.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei einer Pressekonferenz im Nato-Hauptquartier in Brüssel.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei einer Pressekonferenz im Nato-Hauptquartier in Brüssel. © Markus Schreiber/AP/dpa

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Der Erdstoß – laut geologischen Instituten hat er eine Stärke von 7,8 auf der Richterskala und ist eines der schwersten jemals in der Türkei registrierten Beben – ist nur der Anfang. Auf das Erdbeben von 4.17 Uhr folgen zehn Minuten später vier weitere heftige Stöße mit Stärken von 5,5 bis 6,7. Sie lassen zahlreiche Gebäude einstürzen, die bereits beim ersten Beben beschädigt worden waren. In den folgenden Stunden kommt es zu Dutzenden mittelschweren Nachbeben. Am Nachmittag um 13.24 Uhr ereignet sich bei Kahramanmaras ein weiterer schwerer Erdstoß der Stärke 7,5.

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Im Morgengrauen, als Regen, Schnee und kalter Wind über die Region ziehen, wird das Ausmaß der Zerstörung sichtbar. Es beginnt ein Kampf ums Überleben, denn es ist bitterkalt. In den ersten Stunden bergen Retter nach offiziellen Angaben mehr als 2000 Überlebende aus dem Schutt. Einzelschicksale erzählen von einem unfassbaren Inferno.

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Erdbeben erschüttert die Türkei und Syrien: Diese Regionen sind betroffen

Etwa das von Ussama Abdelhamid aus dem syrischen Grenzdorf Asmarin. Er hat eine Stirnverletzung, weil er unter den Trümmern seines Hauses verschüttet wurde. Abdelhamid und seine Familie haben die Katastrophe überlebt, dennoch kann er seine Tränen nicht zurückhalten. „Ich bin mit meiner Frau und meinen Kindern zur Tür unserer Wohnung im dritten Stock gerannt“, berichtet Abdelhamid vom traumatischen Moment des ersten Bebens.

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„Gerade als wir sie aufgemacht haben, ist das ganze Gebäude eingestürzt.“ Abdelhamids Sohn konnte sich selbst aus den Überresten des vierstöckigen Gebäudes befreien und Hilfe herbeirufen. Die ganze Familie wurde gerettet. Doch keiner der Nachbarn im Haus hat überlebt. Ussama Abdelhamid kann nicht fassen, dass er und seine Angehörigen es geschafft haben.

Ausgerechnet Syrien: Die schwer getroffene Provinz Idlib wird von den syrischen Rebellen kontrolliert, sie ist ohnehin besonders schwer vom Bürgerkrieg betroffen und wurde immer wieder von der syrischen und russischen Luftwaffe bombardiert. Dort leben fast drei Millionen syrische Binnenflüchtlinge – gerade im Winter unter ohnehin schon katastrophalen Verhältnissen.

Ein Video zeigt einen verzweifelten Mann. Er sitzt vor der Ruine seines Hauses, unter Trümmern ist seine Familie begraben, ruft er. „Da liegen Menschen drunter. Keiner kommt, um uns zu helfen. Wir haben nicht das Gerät, um sie zu retten. Sie sind immer noch am Leben, aber wir können sie nicht rausholen. Möge Gott uns gnädig sein. Die Kinder liegen unter den Trümmern.“ Immer wieder wird er von einem Schluchzen unterbrochen, als er fleht: „Kommt und rettet uns.“

Ersten Schätzungen zufolge sind allein in der Türkei mindestens 2800 Gebäude eingestürzt, darunter ein Krankenhaus in der Mittelmeerhafenstadt Iskenderun. Die Behörden warnen Menschen trotz der Temperaturen und des Schnees davor, in ihre Häuser zurückzugehen. Eine Augenzeugin in Hatay schildert am Montagnachmittag, seit dem Beben sitze sie im Auto.

„Es ist kalt. Und wir wissen nicht, wie wir das durchstehen sollen.“ Gefühlt die Hälfte der Stadt liege in Trümmern, das Krankenhaus sei voller Verletzter. Die Rettungs- und Aufräumarbeiten dürften in den nächsten Tagen durch Schäden an der Infrastruktur erschwert werden. So zeigen Bilder vom Flughafen von Hatay Zerstörungen an einer Landebahn – sie dürfte damit für Hilfsflüge nicht nutzbar sein.

Eine, die das Beben direkt erlebt hat, ist Linke-Chefin Janine Wissler. Die Politikerin hielt sich in der Großstadt Diyarbakir im Osten der Türkei auf, wo sie mit Vertretern der prokurdischen HDP-Opposition zusammengetroffen war. „Ich bin aus dem Schlaf gerissen worden, es war ein sehr, sehr heftiges und langes Beben“, sagt sie der Nachrichtenagentur AFP telefonisch. Es seien „ganze Wohnblöcke zusammengestürzt“.

Wissler blieb glücklicherweise unverletzt. Sie berichtet, dass auch die Einheimischen ein Beben einer solchen Stärke noch nie erlebt hätten. „Wir müssen raus“, hätten ihre Begleiter ihr in der Nacht im Hotel zugerufen. Alle seien auf die Straße gerannt, „überall Menschen, teils nur in Sandalen, bei Minusgraden“. Auf der Straße hätten dann alle abgewartet, auch wegen der vielen Nachbeben, die den Ort danach noch erschütterten. Die Lage war nach Wisslers Worten am Morgen „chaotisch“.

Klassische Urlaubsziele weit entfernt

Auch ein deutscher Fußballprofi ist unter den Verletzten. Der in Köln geborene Baris Basdas, früher bei Hannover 96 am Ball, spielt seit Februar 2022 für den türkischen Zweitligisten Yeni Malatyaspor. Nach Angaben seines Beraters sprang der 33-Jährige am frühen Montagmorgen nach den ersten Beben aus dem Fenster seines Zimmers, das im zweiten Stock des Trainingsgeländes seines Clubs liegt. „Er hat sich den Fuß gebrochen und Probleme mit der Schulter“, erklärt sein Berater, der nach eigenen Angaben telefonisch Kontakt zu seinem Klienten hält.

Wie viele Menschen ums Leben gekommen sind, ist noch unklar. Mit fortschreitenden Bergungsarbeiten werden die Opferzahlen rasant ansteigen, befürchten Fachleute. Vom Erdbeben waren in der Türkei zehn dicht besiedelte Städte betroffen. Nur 30 Kilometer vom Epizentrum entfernt liegt Gaziantep mit 2,1 Millionen Einwohnern. Allein hier stürzten rund 560 Gebäude ein. Klassische Ziele für Pauschalurlauber sind indes nicht betroffen: Deutsche zieht es vor allem in Badeorte an der türkischen Riviera – mehrere Hundert Kilometer von Gaziantep entfernt.

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