Berlin. Was tun, wenn das Heizen für Streit sorgt? Experten erklären, wie gute Lösungen aussehen können und was man dabei falsch machen kann.

Es wird draußen schneller dunkel, die Blätter fallen von den Bäumen, es ist windig, manchmal regnet es stark. Alles Zeichen für kältere Temperaturen und den Herbst – und damit der Frage: Heizen – oder lieber noch ein bisschen aushalten, bis es gar nicht mehr geht?

Die Frage lässt sich einfach entscheiden, wenn man allein lebt. Dann muss man mit niemandem diskutieren – und ist allein für die kommende Heizrechnung verantwortlich. Doch lebt man in einer Partnerschaft oder in einer Familie, kann sich aus der Frage ein regelrechter Beziehungs- oder Familienkonflikt entwickeln. Das Kind findet es morgens vor der Schule zu kalt, die Mutter hatte schon am Abend kalte Hände und Füße – und der Vater hält die Temperaturen von 17, 18, 19 Grad in der Wohnung noch ganz gut aus.

Ein Argument trifft das andere, es wird noch vor dem Frühstück gestritten. Das Kind fühlt sich nicht gehört, die Mutter ihre Bedürfnisse nicht berücksichtigt, der Vater fühlt sich und seine Sorgen um die nächste Heizkostenrechnung ignoriert – allein nur wenn die Frage nach dem Heizen gestellt wird, regt er sich auf.

Heizen und streiten: Die Biologie ist schuld

Dabei ist es biologisch erklärbar, dass Frauen schneller frieren als Männer. Sinken die Außentemperaturen, verengen sich die Blutgefäße in Armen und Beinen, um die lebenswichtigen Organe in der Körpermitte besser mit Blut zu versorgen. Bei Frauen ist dieses Phänomen bereits ab etwa 15 Grad Celsius zu beobachten, bei Männern erst bei niedrigeren Temperaturen.

Erklären lässt sich das unterschiedliche Empfinden zudem mit dem höheren Muskelanteil bei Männern. Muskeln produzieren Wärme, die sich im Körper ausbreitet. Ihr Muskel-Anteil im Körper macht etwa 40 Prozent aus, bei Frauen nur 25 Prozent. Auch ist die Haut von Frauen dünner, sprichwörtlich sind sie „dünnhäutiger“ und geben mehr Wärme ab. Lesen Sie dazu auch Studienergebnisse Wissenschafts-Magazin „The Conversation“.

Streiten gehört dazu, aber danach muss man einander zuhören

Gabriela Martens, Familien und Konfliktberaterin aus Berlin, hat Jahrzehnte Führungskräfte in Dax-Unternehmen gecoacht.
Gabriela Martens, Familien und Konfliktberaterin aus Berlin, hat Jahrzehnte Führungskräfte in Dax-Unternehmen gecoacht. © Privat | Privat

Dass ein solcher Streit in der Familie, wenn es sich um unterschiedliche Bedürfnisse handelt, nicht zu unterschätzen ist, weiß Familien- und Konfliktberaterin Gabriela Martens aus ihrer jahrzehntelangen Praxis. Lange hat sie in DAX-Unternehmen mit Führungskräften Konfliktkommunikation trainiert und in der eigenen Praxis in München Familien beraten.

In ihrem Buch Streiten gehört dazu – Wie wir Konflikte in der Familie verstehen und lösen“ beschreibt sie, dass das bewährteste Mittel zur Lösung eines Konflikts eine verständnisvolle Kommunikation ist. Was so einfach klingt, wird aber oft nicht umgesetzt. Streit ist zwar auch eine Art der Kommunikation, aber keine, bei der man aufeinander zugeht und sich versteht.

„Schon Kinder lernen von ihren Eltern, wie man mit Konflikten umgeht. Können Erwachsene nicht gut über ihre Gefühle reden oder unterdrücken sie, lernen das die Kinder erst recht nicht“, erklärt Martens. An so einem aktuellen Streitthema wie „Heizen oder nicht?“ offenbaren sich unterschiedliche Interessen und Gefühle. Erklärt am Beispiel von eben: Der Vater will unbedingt Heizkosten sparen, um die Familie vor zusätzlichen finanziellen Belastungen zu schützen, die Mutter hat das elementare Bedürfnis nach Wärme, das Kind ebenfalls und wundert sich nur, warum die Heizung nicht einfach angestellt wird, es versteht die Handlungsweise der Eltern nicht. Und wenn keiner sich erklärt, bleiben die Konflikte ungelöst.

Der erste Schritt einen Kompromiss zu finden, ist Bedürfnisse anzuerkennen

Der erste Schritt sei, anzuerkennen, dass es unterschiedliche Bedürfnisse gebe. Oft werte man sich im Streit gegenseitig ab: „Sei doch noch so empfindlich und zieh dir einen Pullover an“ oder „Ich bin der Einzige, der auf das Geld achtet“ oder „Du bist so ein Geizhals“. „Solche Sätze sind verletzend, weil man dem Partner abspricht, Bedürfnisse zu haben“, erklärt Martens. Und eine Abwertung werde vom Gegenüber meist als Nichtwertschätzung empfunden. Beide Parteien müssten sich gegenseitig anhören.

Für Kinder kann sich ein „abwertendes“ Streitverhalten als fatal herausstellen. Kinder brauchen zwar Klarheit von Eltern, was sie dürfen und was nicht, sagt Martens, aber man müsse auch auf die Kinder eingehen und auf sie hören. „Kann man den Wunsch nicht erfüllen, muss man erklären, warum etwas nicht geht. Das sind Lebenserfahrungen, an denen Kinder lernen, mit Entscheidungen fertig zu werden.“ Reagierten Eltern auf den Kinderwunsch hingegen abfällig, könne sich das Gefühl beim Kind einstellen: „Was ich will, ist schlecht, diesen Wunsch darf ich gar nicht haben.“ Denn Kinder seien abhängig von ihren Eltern und übernehmen deren Einstellungen.

Der „innere Kritiker“ kann immer lauter werden

„So entsteht der innere Kritiker im Kind, und wenn häufig eine Abwertung passiert, dann taucht der oft auf. Im Erwachsenenalter führt das zu einem schwachen Selbstwertgefühl und einer Verurteilung von eigenen Bedürfnissen“, so Martens. Laut der Expertin leiden sehr viele der Erwachsenen unter einem geringen Selbstwertgefühl. Es sei daher kein Wunder, dass die Nachfrage nach Therapeuten in einer leistungsorientierten Gesellschaft groß sei. Laut Martens ist die Verknüpfung des Verhaltens mit dem Wert der Person schuld daran, dass der Kritiker in uns einen so großen Schaden im Leben anrichten kann.

Ihr ist kalt, er will Heizkosten sparen. Schnell wird gestritten, wie findet man einen Kompromiss?
Ihr ist kalt, er will Heizkosten sparen. Schnell wird gestritten, wie findet man einen Kompromiss? © imago images/Panthermedia | imago stock

Wenn das gegenseitige Anhören der erste Schritt in Richtung Lösung ist, dann ist die gemeinsame Suche nach einem Kompromiss der zweite. Andreas Niggestich hilft Familien und Paaren als systemischer Therapeut bei der Familienberatung der Caritas in Berlin. „Ohne Kompromiss wird man sich immer wieder streiten. Eine Lösung ohne Kompromiss ist daher nicht möglich. Wenn der eine dem anderen recht gibt, aber an dessen Bedürfnissen vorbeilebt, wird es immer zu Konflikten kommen“, so Niggestich.

So schlimm können sich unaufgelöste Streits auf Kinder auswirken

Der Therapeut empfiehlt Paaren und Familien zu üben, miteinander zu reden und Gefühle zu äußern. „Eltern sollten aufmerksam sein, und gucken was hinter den Gefühlen ihrer Kinder steckt, meist sind es Ängste, die so einen Streit auslösen.“ Nach einem Streit soll man etwas Zeit vergehen lassen und später in Ruhe miteinander reden, sich fragen, wie der Streit für jeden einzelnen war. „Eltern können nicht immer alles richtig machen. Und wenn etwas schief geht, kann man sich als Elternteil auch ruhig mal entschuldigen“, rät Niggestich, das gelte generell natürlich für alle Arten von Beziehungen.

Das Thema „Heizen“ steht stellvertretend für finanzielle Sorgen. Bei der Familienberatung komme es inzwischen immer häufiger vor, dass Familien sich existenzielle Sorgen machen. „Wir haben in der Caritas auch eine Schuldnerberatung, wenn es wirklich um die reinen Zahlen geht, gibt es auch Leute, die einem dabei helfen können.“

Kompromiss finden: Wo kann man stattdessen Geld sparen?

Für einen Kompromiss beim Heiz-Streit, sei es wichtig, zu schauen, ob man an anderen Stellen sparen könne, wie beispielsweise beim Auto oder beim Urlaub. Ein Kompromiss muss nicht zwangsläufig bedeuten, die Heizkosten zu senken. Außerdem könne man sich auch auf Heizzeiten einigen, wie morgens eine Stunde oder nur in einem bestimmten Raum. So eine konkrete Rechnung oder Analyse sei für alle wichtig, so nehmen Paare, Eltern und Kinder wahr, dass man Probleme bespricht und – sie berücksichtigt.

Denn nichts sei so Niggestich schlimmer, als einen Konflikt unter den Teppich zu kehren. „Solche Konflikte zeigen sich an anderer Stelle und dann doppelt so stark. Der Teppich wird immer größer, kriegt immer größere Beulen, alles quillt darunter hervor.“

Grundsätzlich zeichnen gute Beziehungen aus, dass man miteinander über seine Bedürfnisse spricht. Auch wenn es vordergründig so etwas einfaches wie das Heizen ist. Dahinter kann viel mehr stecken.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.