Paris. Frankreich lockert seine Corona-Regeln, obwohl sich jeden Tag mehr als 300.000 Menschen mit Omikron infizieren. Was dahinter steckt.

Von einer Überraschung zu sprechen, wäre eine krasse Untertreibung. Viele Franzosen mochten Ende der vergangenen Woche ihren Ohren nicht trauen. Da trat Regierungschef Jean Castex auf dem Höhepunkt der Omikron-Welle doch tatsächlich vor die Kameras, um den Bürgerinnen und Bürgern frohe Botschaften zu verkünden.

Ab dem 2. Februar, so der Premier, entfalle nicht nur die Maskenpflicht im Freien. Auch die erst zu Beginn des Jahres eingeführte und für Arbeitgeber verbindliche Regel, ihre Beschäftigten mindestens drei Tage pro Woche ins Homeoffice zu schicken, werde wieder aufgehoben.

Die strenge Maskenpflicht wird in Frankreich schon bald gelockert.
Die strenge Maskenpflicht wird in Frankreich schon bald gelockert. © dpa | Gao Jing

Beinahe ungläubige Nachfragen, ob man angesichts einer der weltweit höchsten Inzidenzen (Stand 25.1.: 3749) tatsächlich Lockerungen ins Auge fassen könne, konterte Castex mit dem Verweis auf die hohe Impfquote, den eingeführten Impfpass und den Umstand, dass die Krankenhäuser trotz der täglichen Masseninfektionen nicht überlastet seien.

Frankreichs hohe Impfquote – 93 Prozent der Einwohner über 12 Jahren sind vollständige geimpft und mehr als die Hälfte haben bereits einen Booster erhalten – sorgt dafür, dass kaum einer der derzeit täglich 360.000 infizierten Menschen, schwer erkranken. Rund 29.000 Corona-Patienten müssen derzeit im Krankenhaus behandelt werden, davon liegen „nur“ 3700 auf den Intensivstationen. So bleibe die Situation unter Kontrolle.

Auch Diskotheken öffnen wieder

Zahlreiche Virologen halten die Lockerungen trotzdem für zu verfrüht. Zumal ab Mitte Februar auch die Diskotheken wieder öffnen sollen, Konzertveranstalter erneut Stehplätze verkaufen dürfen, in den Sportstadien die Begrenzung der Zuschauerzahlen entfällt und die für großen Unmut sorgende Masken- sowie Testregeln an den Schulen entschärft werden.

Aber, so erklärt ein Berater von Präsident Emmanuel Macron gegenüber unserer Zeitung, „wir mussten den Menschen, die nach zwei Jahren Corona-Pandemie am Anschlag sind, endlich die Perspektive auf die Rückkehr zu einem annähernd normalen Leben eröffnen.“

Die Rückkehr zu einem annähernd normalen Leben wird allerdings nur für vollständig Geimpfte möglich sein. Gestern Am 24. Januar ist der neue Impfpass in Kraft getreten, der den bisherigen Gesundheitspass ersetzt.

Konkret bedeutet das, dass sich Ungeimpfte, die älter als 16 Jahre sind, nicht mehr „frei testen“ können, wenn sie ein Restaurant, ein Café, ein Kino, ein Theater, ein Museum oder Sport- und Freizeiteinrichtungen besuchen wollen. Auch für Reisen mit Bahn, Fernbus oder Flugzeug reicht ein negatives Testergebnis nicht mehr aus. Ausnahmen gelten allein für diejenigen, die kürzlich von einer Corona-Infektion genesen sind.

Macron droht den Ungeimpften

Unumwunden gab Gesundheitsminister Olivier Véran zu, dass dieser Impfpass „im Prinzip“ auf eine Impflicht hinauslaufe. Er wurde eingeführt, um auch die letzten Unbelehrbaren zur Spritze zu treiben. Deren Zahl ist im Laufe des letzten Monats übrigens von 5,7 auf 4,7 Millionen zurückgegangen.

Das dürfte zum einen der vor vier Wochen erfolgten Ankündigung des Impfpasses geschuldet sein, zum anderen der Drohung des Präsidenten, dass er Ungeimpften „richtig in die Scheiße“ zu reiten gedenke. Sein Kraftausdruck, trug dem Präsidenten zwar heftige Kritik in den Medien und von der Opposition ein. Aber 70 Prozent der Franzosen hielt das laut einer jüngsten Umfrage nicht davon ab, die Einführung des Impfpasses zu begrüßen.