Berlin. Mit ihrem Debütroman „Das Leben keiner Frau“ erfindet Caroline Rosales das Pendent zum alten weißen Mann. Welch eine tragische Figur!

Die alte weiße Frau hat einen Prototypen namens Melanie. Sie ist erfolgreich, anerkannt, attraktiv. Und doch: zutiefst verunsichert, zermürbt von der jahrzehntelangen Rolle der Zweitbesten (die erste hat der alte weiße Mann besetzt); einsam, obwohl zu jedem Sexabenteuer bereit, stets benebelt von alkoholischen Drinks.

Was für eine unsympathische Hauptperson hat sich Autorin Caroline Rosales für ihren ersten Roman ausgedacht! Soll die 50-jährige Melanie etwa die moderne emanzipierte Frau repräsentieren? Wenn so Emanzipation geht, dann bleibt der frauenbewegten Leserin nur das Urteil: Nein danke. Das ist kein Leben für eine Frau.

Melanie selbst erkennt: Sie ist in keiner Rolle gut. „Mein Leben ist das Leben keiner Frau“, sagt sie kurz vor ihrem Zusammenbruch.

Diese Erkenntnis wird zum Titel der rasanten Erzählung, die zutiefst konsequent bis gnadenlos die Abgründe der oberen Mittelschicht im intellektuellen Milieu offenlegt. Es ist eine Mischung aus Abscheu und Faszination, mit der die Autorin ihre Leserschaft fesselt.

Melanie steht auf dem Gipfel, von dem es nur noch bergab geht

Darum geht es: Melanie arbeitet als stellvertretende Chefredakteurin bei einer Münchner Zeitung. Als Buchautorin und Kolumnistin genießt sie einen gewissen Ruhm, wenngleich Werner der Boss ist, der Prototyp eines alten weißen Mannes. Sie ist abgestoßen vom Familienglück ihrer Tochter, sie verachtet ihren Schwiegersohn, der ein Start-up für trüben Apfelwein gegründet hat, der Verfall ihrer Mutter widert sie an.

Coroline Rosales, Das Leben keiner Frau. Ullstein, 22 € .
Coroline Rosales, Das Leben keiner Frau. Ullstein, 22 € . © Verlag | Verlag

Als sie an ihrem 50. Geburtstag die Champagnerflaschen öffnet, ist sie im Prinzip auf ihrem Zenit angekommen. Ein Gipfel, von dem es von nun an nur noch bergab geht: Melanie beginnt eine verzweifelt-schmuddelige Affäre mit August, dem neuen Kollegen aus dem Politikressort, während Chef Werner ihr Eilika vor die Nase setzt, die blutjunge und schöne Nachwuchskraft.

Eilika ist voller Lebens- und Karrierehunger, und weil deren Gnadenlosigkeit Melanie durchaus an sie selbst erinnert, empfindet sie die junge Frau als echte Bedrohung – und zwar nicht nur für ihre berufliche Position, sondern auch in ihrer Rolle als begehrenswerte Frau.

Männer sind entweder sexhungrig und aufregend oder totale Langweiler

In der Welt, die Caroline Rosales in ihrem Roman zeichnet, gibt es keine Grautöne. Männer teilt sie ein in sexhungrige, untreue wie machthungrige Typen oder Sprudelwasser trinkende, aber treue Langweiler wie ihren Schwiegersohn. Ganz schön holzschnittartig auch die Frauen: Sie sind entweder erfolgreiche, aber kaputte Singles nach Mels Vorbild – oder biedere und übergewichtige Quälgeister.

Gute Beziehungen zwischen Mann und Frau fußen vor allem auf gutem Sex, den Hauptperson Mel trotz klimakteriumsbedingter Scheidentrockenheit für sich gepachtet zu haben scheint.

Damit setzt die Autorin fort, was sie mit ihren persönlichen Essays im Buch „Sexuell verfügbar“ begonnen hat: Die schonungslose Darstellung von Sex, zu dem sich Frauen irgendwie immer noch genötigt fühlen, von Selbstbetrug und falschen Hoffnungen. Wieder entlarvt sie in dieser von Männern dominierten Welt, woran emanzipierte Frauen scheitern: An sich selbst.

Zwischen Avocado und Abtreibung – das Weltverbesserer-Bild der Teenies

Bemerkenswert ist das Tempo der Erzählung, die durchaus literarische Kraft, die Assoziationen, Gefühle, Erfahrungen und auch Meinungen wütend durch den Text knallen.

So lässt die Autorin zwei Teenager von der wütenden Protagonistin Mel bewerten, die ihr im Wartezimmer eines Gynäkologen gegenübersitzen: „Sie schwänzen jetzt die Schule für das neue Pillenrezept, weil sie da einen Zusammenhang mit Pro Choice sehen.

Sie sind angezogen für das Neunziger Revival (…). Avocados sind lecker und das Koks-Taxi unterstützt die marginalisierte Gruppe der Dealer. Jedenfalls stirbt der Planet. Und daran sind die Maskulinisten, die Neokonservativen, die Autobaukonzerne, TönniesFleischbarone oder Royals im Privatjets schuld. Die Generation dieser Mädchen tanzt auf dem Vulkan der Bigotterie.“

Werner, der Chefredaktuer, genießt Artenschutz

Genauso atemlos, im Stakkato, beschreibt Caroline Rosales all ihre Figuren, etwa Werner, den Chefredakteur, der im Zeitalter der Digitalisierung gegen den Verfall des Print-Journalismus kämpft: Er „zählt zu den wenigen Überlebenden unter den Wolfgangs, Jürgens und Rüdigers, die aus Artenschutzgründen noch in ihrer eigenen untergehenden Sonne herumstehen“.

Krasser lässt sich die Verzweiflung der erfolgreichen Babyboomer-Generation und die Verachtung des digital tickenden Nachwuchses, zu dem ja auch die 39-jährige Autorin gerade noch gehört, kaum darstellen. Dieser Werner „schlingt seinen braun gebrannten Arm, der mit der Patek Philippe seines Großvaters dekoriert ist, um meinen Hals, hält mich in einer Art Schwitzkasten. … Ich knicke feminin-vornehm ein“, lässt die Autorin ihre Protagonistin Melanie erzählen.

Auch Melanie knickt vornehm-feminin ein

Warum bloß knickt sie ein, statt ihn mit seinem „säuerlichen Atem“ wegzustoßen? Es entspricht nicht ihrem Selbstverständnis als Frau, die sich dekoriert mit dem Schmuck, den ihr die Liebhaber hinterlassen, die sich aufrüstet mit einer erhungerten Figur und einem Panzer aus kosmetischen Tricks – bis hin zur Gleitcreme für den unbeschwerten Sex.

Dieses Unvermögen einer eigenen Haltung ist die Tragik, an der Melanie zugrunde geht. Mit der Figur Melanie legt die Autorin offen, woran all die mit Talent und Ehrgeiz gesegneten Frauen scheitern: Sie machen sich gefällig, so wie es von ihnen erwartet wird, sie knicken ein wie Mel unter Werners Achsel.

Rosales reißt die Fassade der Knallerfrauen herunter

„Das Leben keiner Frau“ ist kein schöner Roman, auch wenn er äußerst unterhaltsam ist. Am Ende wird alles: nicht gut. Und das macht Lust darauf, die Fassade all der Knallerfrauen herunterzureißen und zur Erkenntnis zu kommen: Ich bin nicht wie Melanie. Und das ist gut so.

Kolumnen von Birgitta Stauber