Berlin. Caroline Rosales schreibt in „Single Mom“ über ihr Leben als Alleinerziehende. Wir veröffentlichen an dieser Stelle einen Auszug.

Mit 34 Jahren trennt sich Journalistin und Autorin Caroline Rosales vom Vater ihrer zwei Kinder – und ist alleinerziehend.

In ihrem neuen Buch „Single Mom“ schreibt Caroline Rosales, die als Redakteurin für die Funke Mediengruppe arbeitet, zu der auch diese Redaktion gehört, über das Leben als Single Mom und berichtete von den Schwierigkeiten, die sie anfangs hatte – von den finanziellen und beruflichen Problemen, Tinder-Dates, aber auch von neu gewonnenen Freiheiten und ungeahnten Kräften.

Wir veröffentlichen einen Auszug aus ihrem Buch „Single Mom“.

Epilog

Da sind immer überall Menschen in meiner Wohnung und ich suche meinen Freund. Ich bin gerade von der Arbeit gekommen, ziehe meinen Mantel langsam aus und hänge die Wohnungsschlüssel ans Brett neben der Tür. Ich habe mir in der Bahn extra noch Lippenstift aufgetragen. Aber mein Freund ist anscheinend nicht da. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

„Haaalloo“, rufe ich laut. Natürlich kommt MAL WIEDER keine Antwort. Mama ist abgemeldet. Ganz generell. Einzig die Tatsache, dass alle Lichter im Flur an sind, gibt mir einen zarten Hinweis darauf, dass meine Wohnung offenbar bevölkert ist.

Dann entdecke ich noch die Handtasche meiner Mutter auf der Bank neben der Tür. Aus dieser ragt ein Stück meines Cashmere-Lieblingsschals heraus. Das heißt, dass ich mir ZWEI WOCHEN SUCHEREI hätte sparen können, weil SIE ihn die ganze Zeit hatte. ICH HABE JA SONST NICHTS ZU TUN. Zwei Minuten zu Hause und schon auf 180.

Egal, ich habe mich so gefreut, dass er da ist, dass Wochenende ist, dass alle frei haben – Schal egal! Ich tippele durch die Wohnung, als mir plötzlich Lila entgegenläuft.

„Maaama“, ruft mein kleines Mädchen, das vergangene Woche vier Jahre alt geworden ist. Es wird eine Mega-Happy-Umarmung. Wir rennen aufeinander zu wie im Film, im letzten Moment knie ich nieder, hebe sie kurz hoch wie in „Dirty Dancing“ bei der Hebelfigur und lasse sie dann in meine Arme hinuntergleiten, bis wir uns ineinander verschmiegt haben.

Ah, immerhin, auf die Tochter ist Verlass. Ich drücke meine Wange gegen ihre, umarme sie fest und küsse ihre Stirn. Sie hat immer noch weiche Haut wie ein Baby, bei meinem Sohn ist das schon anders. Er ist sechs Jahre alt, bald sieben, das Weiche verschwindet mit jedem Tag mehr aus seinem Gesicht.

Lila trägt ein Sommerkleid. Ihre Minnie-Maus-Ohren und ein Dutzend Spangen stecken in ihren blonden, noch nicht sehr dicken Haaren. Nach dem Kindergarten will Lila sich immer umziehen. Dass ihre Mutter sich über den hohen Verbrauch an Strumpfhosen, Söckchen, Kleidern, die nach einem Tag wieder in der Wäsche landen, beschwert, lässt die heutige Mädchenrechtlerin völlig unbeeindruckt.

„Wenn ich mich selbst anziehe, bestimme ich auch was“, sagt sie. Und zwar mit einer solchen Überzeugung, dass mir kein Argument mehr einfällt. Was brauchen wir da ökologisch korrekte Ernährung und Montessori-Möbel, Streitkultur, die großen Linien, wenn eine Vierjährige schon genau weiß, was sie will. Dann bin ich argumentativ ausgehebelt, sprachlos, weil bezaubert.

Lila huscht in ihr Zimmer. Ich ziehe meine Haus-Ballerinas an und gehe ihr nach. Im Kinderzimmer sitzt Max, tief gebeugt im Licht seiner Schreibtischlampe. Er bastelt kleine Lego-Teile zusammen. Ich küsse seinen blonden Kopf, aber er beachtet mich nicht weiter.

„Wie geht’s?“, frage ich. „Gut“, sagt er gelangweilt. „Wir hatten einen ganz angenehmen Tag und ein ausgiebiges Abendessen.“ Max redet wirklich so. Er schnappt jeden Schnipsel aus Erwachsenen-Gesprächen auf und verarbeitet sie in seiner Alltagssprache. Das klingt dann manchmal etwas geschwollen.

Er ist kein Streber, mit seinen sechs Jahren kann er anders als viele seiner Altersgenossen noch nicht schreiben, lesen oder rechnen, aber er ist aufgeweckt, lernt Klavier und malt gerne Dinge aus Büchern ab.

„Was willst du mal beruflich machen?“, habe ich ihn neulich gefragt. „Ach, Mama, ich glaube, ich mache mal das, was du machst. Das mit dem Schreiben.“ Ich platzte natürlich vor Stolz.

Das Buch „Single Mom“ ist am 24. Juli erschienen.
Das Buch „Single Mom“ ist am 24. Juli erschienen. © Rowohlt | Rowohlt

„Weißt du, wo mein Liebster ist?“, frage ich Max jetzt. „Keine Ahnung, ich glaube, er wollte einkaufen.“ Ich seufze. Also muss ich warten. Ich kann mir gut vorstellen, dass er einkaufen gegangen ist. Er schenkt mir Blumen und Parfüm, er bringt aber auch immer Küchenrolle und grüne Plastiksäcke vom Rewe mit und sortiert sie in meinen Küchenschrank über der Dunstabzugshaube. Sollte ich jemals nachts aufwachen und Zweifel an seiner Liebe haben, bilde ich mir ein, müsste ich nur zum Küchenschrank gehen, die grünen Plastiktütenrollen zählen, und ich könnte beruhigt wieder schlafen gehen.

Ich gehe ins Wohnzimmer, da sitzt meine Mutter und telefoniert mit meiner Schwester. Sie sagt, sie würde jetzt fahren. Sie ist seit heute Nachmittag da, aber jetzt müsse sie los, morgen arbeite sie.

Ich bin stolz auf sie, weil sie so unabhängig lebt. Auf der anderen Seite wünsche ich mir manchmal, sie wäre eine dieser strickenden, kuchenbackenden, alle umsorgenden Omas und Mütter. Dann fällt mir aber auf, dass ich keine Mutter wollen darf, die mehr antiquiertes Rollenbild ist, als ich es mir für meine Tochter und mich wünsche.

Also verabschiede ich meine viel beschäftigte Mutter, die in einer Kunstgalerie arbeitet. Courage für morgen. Für die Ausstellung. Ich bringe sie noch zur Tür, auch um sicherzugehen, dass sie meinen Schal nicht aus Versehen wieder mitnimmt.

Das Verschwinden und Wiederkommen von Dingen, die sich nicht selbstständig bewegen können, weil ohne elektrischen Antrieb oder Ähnliches, ist einer der Sachverhalte, an die ich mich in meinem Single-Haushalt mit Kindern am meisten gewöhnen musste. Eltern, Babysitter, Bekannte begreifen dein Zuhause offenbar als großen kollektiven Besitz. Nach dem Motto: Ist eh alles Chaos, merkt ja keiner, oder ist doch so entspannt hier, bringe ich es halt irgendwann zurück.

Wie eine 16-Jährige aus Angst vor ihren Schwestern verstecke ich seitdem Handtaschen, Sonnenbrillen und Kleidungsstücke an geheimen Plätzen, die bestenfalls nicht entdeckt werden.

Seit das Aupair-Mädchen aus Mexiko da ist, ist die ganze Klamottensituation endgültig unübersichtlich geworden, alles ist überall verteilt wie in einem besetzten Haus. Zwar hat sie ein angemietetes Studentenzimmer ums Eck, was sie aber nicht davon abhält, abends bei mir in der Küche zu sitzen.

Das WLAN sei hier deutlich besser als bei ihr an der Bezirksgrenze, in der Pampa von Pankow, sagt sie. Auch hier wieder meine Achilles-Ferse: Was will man gegen eine willensstarke Frau machen. Wenigstens bringt sie an diesem Abend die Kinder ins Bett, das heißt, ich kann noch einmal kurz duschen, bevor der Freund mit den Einkäufen heimkehrt.

Wenn ich heute auf mein erstes Jahr als Single-Mama zurückblicke, entsteht da ein unzusammenhängendes Bild: Ich renne viel, ich mache hektisch Ansagen – bei der Arbeit, vor den Babysittern, vor meiner Mutter. Ich esse viele Sandwiches aus Plastikverpackungen, Suppen aus Pappbechern und unmöglich viele dieser Proteinriegel aus dem Supermarkt. Ich koche wenig. Ich vergesse, mir Fahrscheine zu kaufen, muss wegen Schwarzfahrens über 800 Euro zahlen und kassiere eine Strafanzeige. Ich lasse die Jacken der Kinder im Bus liegen und spiele abends im Kinderzimmer oft Hörspiele ab, anstatt aus „Grüffelo“ vorzulesen.

Das war die Realität. Nach acht Stunden in der Redaktion war mir einfach ein Teil meiner Ruhe und Konzentration abhandengekommen – und ausgerechnet an meinen Kindern sparte ich Energie. Manchmal weinte ich aus heiterem Himmel, schimpfe mit den Kindern oder schlief an meinem freien Vormittag in der Woche fünf Stunden tief und fest auf der Couch.

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    Ich hatte sogar meine Freizeit komplett optimiert. Ich ging nicht mehr zu dem Yoga-Studio, wo ich seit meiner Studentenzeit Mitglied war, sondern kündigte meine Dauerkarte und ging im Park joggen – nach dem Absetzen der Kinder in der Kita und vor dem Spätdienst, versteht sich.

    Ich übte Buchstaben malen mit meinem Sohn in den öffentlichen Verkehrsmitteln und flocht meiner Tochter an der Bushaltestelle ihren Zopf. Ich schmierte meine Brote ohne Butter nur mit Marmelade oder aß Nudeln kalt, weil ich so schneller wieder vor dem Bildschirm sitzen konnte. Ich ging zum Friseur um die Ecke, obwohl der mies war, bestellte jede Glühbirne, jedes Buch im Internet. Ich schämte mich, als ich die Weihnachtsgeschenke für Maxime und Lila nicht nur komplett bei Amazon Prime bestellte, sondern den Einpackservice gleich mit nutzte, aber es ging einfach nicht anders.

    Was nichts mit der Arbeit und den Kindern zu tun hatte, durfte in diesem ersten Jahr als Single Mom weder Raum einnehmen noch gar kostbare Zeit verschwenden. Tagsüber sowieso nicht, abends ungerne. Denn sobald die Kinder im Be t waren, sank ich wie ein Stein in die Couch und brachte nur noch die Kraft auf, in mein Schlafzimmer zu laufen, um nicht direkt auf dem Sofa einzuschlafen.

    Ich erinnere mich daran, dass ich vor lauter Arbeits- und Alltagsrotation mich selbst kaum noch wahrnahm. Ich rannte an Maxime und Lila vorbei, packte Rucksäcke für den Waldtag, den Turnbeutel für den Yogaraum, die Instrumente für den Musikunterricht. Wenn ich mich vor dem Spiegel schminkte, blickte ich durch mich hindurch und fand gar nichts.

    Weder dass ich gut, noch dass ich schlecht aussah. Vielleicht ein bisschen müde. Auch Kopfschmerzen, Schnupfen oder eine verspannte Schulter bemerkte ich kaum. Die Verbindung zu meinem Körper war aus Zeitgründen komplett gekappt. Zum Arzt zu gehen, hätte auch nur Umstände bereitet. Einmal tat ich es doch wegen eines eingeklemmten Nervs. Der Arzt schrieb danach einen langen Befund, er steckte ihn in einen Umschlag, den ich nie öffnete.

    Erst lange Zeit später, als ich im Zuge meiner Steuererklärung Unterlagen abheften musste, entdeckte ich den Umschlag wieder und las den Befund: Frau Caroline Rosales leidet an akutem Burnout, war darin zu lesen. Ich war geschockt. Erst in dem Augenblick wurde mir bewusst, wie weit ich es, wie weit ich mich in dieser ersten Zeit als Alleinerziehende getrieben hatte.

    Ich war besessen davon, keinen Fehler zu machen. Wir drei, Maxime, Lila und ich, mussten wie Spielfiguren in meinen Wochenplan passen. Keiner durfte krank werden, nicht gleich nach der Trennung – zu groß war meine Angst zu scheitern.

    Ich konnte und wollte mir nicht eingestehen, dass ich meinen Beruf in dieser Form auf Dauer nicht würde weiterführen können. Nur ein Drittel aller Journalistinnen haben Kinder – und ich wollte um jeden Preis dazugehören. Probleme mit der Vereinbarkeit? Nein, ich wollte um keinen Preis noch mehr Unglück erfahren.

    Kurzum: Schon einmaliges Fehlen im Büro war für mich zunächst keine Option. Als Maxime einen entzündeten Wespenstich am Fuß hatte, nahm ich ihn einfach mit zur Arbeit und parkte ihn neben mir auf einem Schreibtischstuhl mit Kühlpack, hochgelegtem Bein und iPad. Meine Vorgesetzten und Kollegen grüßten ihn freundlich und sagten nichts weiter. Sie spendierten sogar Süßigkeiten aus den Schubladen ihrer Rollcontainer. Ich war erleichtert. Was für ein Glück. Aber mehr als einen Tag hätte ich so etwas niemals gewagt.

    Als Lilas Fingerkuppe einmal blau angeschwollen war, rannte ich noch vor der Arbeit mit ihr auf dem Arm zum Kinderarzt, holte antibiotisches Gel aus der Apotheke und schaffte es dank Rekord-Sprint zurück zum Kindergarten, wo ich zwei Stunden vorher schon ihren Bruder abgesetzt hatte. Dann flog ich mit Überschallgeschwindigkeit zur Arbeit.

    So lebt man immer auf dem Sprung. Immer in der Panik, ein Kind könnte krank sein. Und wenn es krank ist, dann ist es die Angst, ein Babysitter könnte um sieben Uhr morgens wegen Fieber oder Liebeskummer absagen. Und wenn das passiert – und das tut es – , schnellt der Puls kurz noch höher und kocht dann aus Pragmatismus wieder runter auf Telefoniertemperatur. Dann laufen die Mobilfunkleitungen heiß. Wer könnte einspringen und beide Kinder um 16 Uhr abholen? Nicht später, dann schließt der Kindergarten. Wenn einer der Ersatzbabysitter um zehn nach acht Uhr zurückruft, kann der Arbeitstag seinen gewohnten Lauf nehmen. Und die drei, vier neuen grauen Haare mehr reißt man sich einfach schnell vor dem Spiegel aus.

    Meine und viele andere Kinder müssen sich in unserer heutigen Gesellschaft der Arbeitswelt der Erwachsenen anpassen. Wie es ihnen dabei geht, wenn am Krankenbett die Oma oder der Babysitter verweilt, weil Mama nicht mehr so viele Kinderkrankentage übrig hatte, fragen sich die Lenker der freien Wirtschaft oder der Politik selten.

    Das ganze erste Jahr nach meinem beruflichen Wiedereinstieg habe ich nur einen Tag gefehlt, zu groß war die Angst, durch zu viele Fehltage als unzuverlässig oder nicht belastbar zu gelten und damit womöglich bei den spannenden Geschichten nicht mehr berücksichtigt zu werden.

    Das alles war und ist überhaupt nur mit der eisernsten Disziplin zu bewerkstelligen, mit einem Wecker, der um sechs Uhr morgens klingelt, mit Dauererschöpfung. Und dann muss man sich trotzdem ständig von seinem inneren Kind fragen lassen, ob man eigentlich jemals so leben wollte. Alleinerziehende könnten ganz sicher problemlos große Logistikkonzerne führen.

    Schon ein normaler Morgen ist ein Gerenne, Gezerre und Gerufe. Mit Kindergartenkindern sieht er typischerweise so aus: Um sechs Uhr klingelt der Wecker, um halb acht ist das Anzieh- und Frühstücksritual im Bestfall abgeschlossen. Ich versuche, meine Bluse nicht zu versauen, während ich die Tassen und Teller vom Frühstück ins Spülbecken stelle. Schnell putze ich danach insgesamt 40 kleine Zähne, packe zwei Butterbrotdosen, motze rum, weil die Jacken und die Regenhosen nicht aufzufinden sind, entdecke sie dann doch noch, rufe meinem Sohn zu, er solle jetzt seine Schuhe anziehen.

    Nichts passiert, einmal, zweimal, dreimal. Dann drohe ich, er kommt angeschlurft. Die Schwester heult, weil sie Puppe Annabell nicht findet. Hektisch renne ich durch die Wohnung, in der Hoffnung ihren Schatz zu finden. In meiner guten Anzughose bücke ich mich unter Lilas Bett, um Annabell herauszuziehen. Ihr monströser Plastikkopf hatte sich zwischen Wand und Bettpfosten verkeilt.

    Während ich im Kinderzimmer mit der Puppen-Rettungsaktion beschäftigt bin, schlägt Maxime aus ungeklärten Gründen seine Schwester in den Bauch. Diese heult sofort los. Ist ganz Powerfrau und haut zurück. Ich renne aus dem Kinderzimmer und gehe dazwischen. Fünf Minuten später renne ich mit einem Kind an jeder Hand, zwei Rucksäcken, meiner Tasche, Annabell unter den Arm geklemmt zur Bushaltestelle. Muss kurz anhalten, weil Lila sich losgemacht hat, um eine Schnecke am Wegrand zu beobachten. Ich ermahne sie, sie solle sich beeilen, denn da kommt der Bus.

    Schon etwas verschwitzt steige ich mit den Kindern vorne in den Bus ein. Die beiden rennen ohne mich nach hinten durch. Ich rufe, sie sollen warten. Der Busfahrer schaut mich mit toten Augen an. „Äh, einmal für 2,80 Euro bitte.“ Er nickt. Er hält mich für eine Verrückte, ganz bestimmt. Für eine gehetzte neurotische berufstätige Mutter, gut, das kommt hin. Resigniert nehme ich das Ticket und gehe zu meinen Kindern, die auf der Rückbank Platz genommen haben.

    Die Stellung der berufstätigen alleinerziehenden Mutter ist in der Gesellschaft nicht besonders glamourös. Sich trotz der wiederkehrenden Überforderung auf die Menschenfreundlichkeit in meiner Umgebung zu verlassen, wäre deshalb einfach fatal.

    Lorne Malvo sagt in der Serie „Fargo“ einmal zu Lester Nygaard: „Dein ganzes Leben dachtest du, es gibt Regeln. Aber die gelten nicht.“ Nach zwei Jahren als Alleinerziehende habe ich genau das gelernt. Ich habe auch gelernt, alles zu überhören, was gedankenlos und verletzend ist. Ich lasse es nicht mehr an mich ran, nur die wenigen sehr persönlichen Kommentare tun nach wie vor weh.

    Das Gefühl, allem nicht gerecht werden zu können, schmerzt noch immer. Kommentare und Klugscheißereien von Miss Perfects, die gut gelaunt morgens in der Kita ankündigen, dass Anton schon mittags abgeholt wird, man wolle ja bei dem schönen Wetter noch ein Mutter-Kind-Picknick machen, heizen das schlechte Gewissen an, aber ich sage mir mittlerweile: Das ist der Lebensentwurf der anderen, das hier ist meiner.

    Ute Frevert, Historikerin und Direktorin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, sagt, das deutsche Mutterbild in den Köpfen vieler Menschen sei seit 100 Jahren dasselbe und an der Vereinbarkeitslüge werde sich zu unseren Lebzeiten wohl nichts mehr ändern. Aber unsere Töchter werden davon profitieren, deshalb gilt es konsequent zu sein.

    Was für mich persönlich bedeutet hat, zu verstehen, dass ich im Organisationschaos zwischen Kids und Job klare Kante zeigen muss. Auch muss nicht mehr jeder alles über mich wissen.

    Meine rheinländische Offenheit ist nicht an jedem Ort der Welt angebracht. Und sobald man weniger auskunftsfreudig ist, reduziert sich unangebrachte Kritik automatisch. Das habe ich gelernt.

    Was ich auch nicht mehr mache: mich ständig entschuldigen und rechtfertigen. Wenn ich los muss, sage ich „Tschüss“ und gehe. Wenn ein Kind krank ist, teile ich das dem Arbeitgeber mit. Warum sollte ich mich dafür entschuldigen? Es ist ja niemand schuld, außer die Viren und Bakterien.

    Wenn ich das Kindergartenfest wegen der Arbeit absagen muss, dann setze ich die Erzieher darüber in Kenntnis. Ich versuche mir in solchen Situationen vorzustellen, ich wäre Warren Buffet in seinen besten Karrierezeiten oder der Vorstand eines börsennotierten Unternehmens, der seine Sekretärin anruft und sagt: „Canceln Sie bitte heute alle meine Termine.“ Das sagt er ganz emotionslos und trocken. Und natürlich entschuldigt er sich nicht.

    Das Nicht-Entschuldigen ist der gute Freund des „Nein“. Was mich zu meinem nächsten Grundsatz bringt: Klare Ansagen machen. Ich sage „Nein“, wenn ich nach dem Dienst keinen Kuchen mehr für den Gemeinde-Basar backen möchte, „Nein“, wenn mich die Verabredung mit meiner Freundin, ihren und meinen Kindern heute zu viel Kraft kostet.

    Wenn der Sankt-Martins-Umzug vom Kindergarten stattfindet, sage ich bei der Arbeit, dass ich früher gehen muss – auch wenn alle schmunzeln. Das hätte ich anfangs nicht für möglich gehalten.

    Als Alleinerziehende zwischen Arbeit und Kindern halbwegs entspannt zu sein, bedeutet vor allem, last but not least, jede Perfektion über Bord zu werfen. Die Perfektion ist als Multitasking-Superwoman sowieso nicht zu erreichen, also warum auch nicht gleich lassen.

    Gerade was meine Wohnung angeht, ist mir das anfangs sehr schwer gefallen. Wenn ich arbeiten muss, holt entweder die Babysitterin oder meine Mutter die Kinder vom Kindergarten ab. Anfangs hätte ich ausflippen können, wie nach dem Kochen, Essen, Spielen, Baden abends die Bude aussah. Ich hasse es, Tassen und Teller wegzuräumen, die nicht meine sind, noch mehr hasse ich es aber, wenn meine Sachen nicht an ihrem Platz zu finden oder verschwunden sind. Mein iPhone-Lade kabel – weg. Dachte wohl jemand, es ist seins. Mein weicher Cashmere-Schal. Hat sich wohl jemand geliehen, weil ihm kalt war.

    Alles fließt und Gegenstände bekommen Flügel, das kommt durch die Fluktuation von Menschen in der Wohnung während meiner Abwesenheit. Auch hier hilft nur: Durchatmen. Daran denken, dass Perfektion nicht möglich ist. Auch die perfekte Kindergeburtstagseisbombe kommt ohne Streuseln aus. Mein Büro-Outfit ohne gebügeltes Hemd. Das Vorschulkind ohne Hobby am Nachmittag. Der lustigste Nachmittag ohne Zusatzkäufe aus dem Supermarkt. Die schönste kleine Freude, ohne viel Geld auszugeben. Weil kleine und auch etwas größere Kinder kein hochwertiges Spielzeuggeschäft von einem China-Import-Laden unterscheiden können.

    Einmal kamen die Kinder und ich kurz nach unserem Umzug nachmittags an einem offenen Ein-Euro-Shop vorbei. Ich war völlig pleite und witterte die Chance, den beiden eine Portemonnaie-verträgliche Freude zu machen.

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      „Okay, Kinder“, sagte ich und ließ die Spannung steigen. „Jeder darf sich genau eine Sache aussuchen. Nur eine.“ Maxime und Lila überdrehten fast vor Aufregung. Sie stürmten in den Laden auf die Regale zu. „Ich nehme die Wäscheklammern, ähh, nein, die Schlange, nein, die Taschenlampe …“ Eine Viertelstunde später stapfen die beiden mit einem Plastikflamingo-Flaschenhalter für den theoretischen Pool im fiktiven Garten – Lila – und einem Matchbox-Auto – Max – zur Kasse.

      Eltern, sagt man ja, gerade die berufstätigen, kompensieren ihr schlechtes Gewissen über die nicht gemeinsam verbrachte Zeit mit teuren Geschenken. Mein schlechtes Gewissen – es kostete mich an diesem Nachmittag gerade mal schlappe zwei Euro.

      Meinen Freund habe ich nach etwa einem Jahr als Single kennengelernt. Wir haben uns zum Abendessen in einem Restaurant verabredet. Er saß mit Blick auf die Eingangstür und stand sofort auf, als ich das Restaurant betrat – das hat mir gefallen. Es war so galant. Außerdem sah er gut aus, trug ein gebügeltes Hemd. Er hat blaue Augen, obwohl seine Haare dunkelbraun sind. Für mich war alles sofort klar. Was er in diesem Moment dachte, ist nicht lupenrein überliefert, was soll der arme Mann auch heute anderes sagen, als dass es ihm genauso ging.

      Ich darf mich außerordentlich glücklich schätzen, dass wir seitdem ein Paar sind – da sind sich meine Freundinnen und meine Familie völlig einig. Ich sage dann immer, DASS ER SICH ABER AUCH extrem glücklich schätzen kann, doch das lässt niemand so stehen.

      Kowalski sagt, ich sei ein Spezialfall, ein bisschen crazy – was auch immer er damit meint. Juli und Maria sagen, ich sei high-maintanance und solle ihn einfach in Ruhe lassen mit meinen Ansprüchen – aber da weiß ich auch nicht, was sie meinen. Meine Mutter sagt, ich hätte nur noch die eine Chance und solle es nicht vermasseln.

      Ich finde das wahnsinnig unfair, weil ich nicht einsehe, dass er die Trophäe und ich nur der Kompromiss sein soll. Ich rege mich dann auf, weil es im Gesellschaftskontext immer den Mann aufwertet, wenn ER sich eine Frau mit Kindern aussucht. Sie hat im Gegenzug immer nur wahnsinnig Glück gehabt, dass ER sich gerade SIE ausgesucht hat. Während ich mich über so etwas wahnsinnig exaltieren kann, ist mein Freund die Ruhe selbst, küsst mich und ich bekomme Schmetterlinge im Bauch. Mit ihm musste ich nie etwas werden, wir mussten nie etwas sein, es war perfekt, schon seit dem ersten Abend.

      Doch auch Liebe ohne Zweifel, selbstverständliche, zwingende, innige Liebe ist eine Herausforderung. Für die Rollenbilder in meinem Kopf, für das Ideal der glücklichen Familie, des verheirateten Paares, das mit seinen Kindern in einem Eigenheim zur Ruhe kommt. Als Single Mom musste ich lernen, alle diese klassischen Bilder von Erfolg, Zufriedenheit und Harmonie abzuwerfen. Ich musste lernen, mein eigenes Leben nicht ständig infrage zu stellen und vor anderen zu rechtfertigen. Ich musste es schaffen, diese Wand von gesellschaftlichen Konventionen zu durchbrechen, um mich endlich zu trauen, glücklich zu sein.

      Denn mein Freund und ich, wir werden wohl nicht zusammenziehen, wir werden nicht heiraten, keine Kinder bekommen und nicht für das Haus im Grünen sparen. Wir werden trotzdem zusammen sein, Ferienhäuser mieten, mit den Kindern im Pool planschen, Ausflüge machen, ins Theater gehen, die Sterne über der Wüste Gobis betrachten und mehr und mehr zusammenwachsen. Vor allem werden wir uns beide ansehen, und ich werde jeden Tag genießen, an dem er mich sieht, wie ich mich sehe, und genießen, dass er nie jemand anderen angesehen hat, wie er mich ansieht.

      Ich werde nicht versuchen, ihn zu ändern, ihm keinen meiner Wunschträume, Neurosen und Dämonen aufzwingen (zumindest gebe ich mir Mühe, das nicht zu tun) und hoffen, dass er mit mir wächst, seiner Geliebten, seiner Freundin, seiner Komplizin, und mit mir zusammen alt wird.

      Liebe ist selbstlos und ohne Erwartungen. Wir verbauen sie uns so oft, weil wir denken, wir müssten sie schöner, vorzeigbarer und makelloser machen. Dabei verlieren und betrügen wir vor allem uns selbst.

      Mein Freund – ich möchte, dass er wie meine Kinder, meine Mutter, wie Mahatma Ghandi unendlich frei ist. Dass wir nebeneinanderstehen, Hand in Hand, und doch eigene Menschen bleiben. Und als ein solch eigener Mensch möchte ich leben. Weil die Liebe wunderschön ist, alles verbindet, aber es um sie nicht geht.

      Das hier soll kein klassisches Happy End sein. Kein SIE-HAT-AM-ENDE-DEN-MANN-IHRES-LEBENS-GEFUNDEN. Kein Feel-Good-Movie des Jahres. Ich würde sofort sterben, würde ich an dieser Stelle den neuen Mann als Lösung anpreisen.

      Denn die Wahrheit ist, dass das Glück, mein Glück, schon vor ihm kam. Die Suche nach mir selbst endete, als ich eine Single Mom wurde. Das konnten mir die unbezahlten Rechnungen, das Finanzamt, die ständigen Vergleiche, der manchmal unaushaltbare Druck, eine gute Mutter zu sein, nicht stehlen.

      Die täglichen Sorgen konnten mir das Gefühl nicht nehmen, dass ich bis heute Teil einer kompletten Familie bin, sie konnten mir niemals den Stolz rauben, dass ich alles alleine geschafft und dabei meine Fröhlichkeit nicht verloren habe. Dass ich mich heute traue, glücklich zu sein.

      Als mein Freund an diesem Abend zur Tür hereinkommt, schlafen die Kinder längst. Er hat noch einen längeren Termin gehabt, das hatte ich vergessen. Ich renne im Flur auf ihn zu, umarme ihn sofort, küsse sein Gesicht. Er gibt mir einen langen Kuss, zieht seine Jacke aus, hängt sie korrekt am Garderobenhaken auf. „Was willst du machen?“, fragt er mich leise im Halbdunkeln des Flurs.

      Ich lächle ihn glücklich an und muss aufpassen, dass mir aus Melancholie nicht die Augen feucht werden. „Nichts.“

      Caroline Rosales: „Single Mom“, Rowohlt Verlag, 9,99 Euro, ISBN: 978-3-499-60664-9