Stockholm/Garching. Der Hesse Reinhard Genzel (68) erhält die höchste Auszeichnung für Physiker, den Nobelpreis. Er erforscht seit langem Schwarze Löcher.

Wenn der Astrophysiker Reinhard Genzel von seiner Arbeit erzählt, dann wendet er sich am liebsten an ein Fachpublikum. So wie im April, als der 68-Jährige der Max-Planck-Gesellschaft ein Videointerview gab, um bahnbrechende Forschungsergebnisse vorzustellen. „Mein Team und ich“, berichtete Genzel mit hessischem Akzent, „haben es in den letzten Jahren geschafft zu zeigen, dass das Objekt im Zentrum unserer Milchstraße in der Tat ein massives Schwarzes Loch sein muss.“

Die unendliche Weite des Alls ist seine Lebensaufgabe. Seit 30 Jahren beschäftigt er sich mit kosmischen Phänomenen, die wohl innerhalb der ersten Milliarden Jahre nach dem Urknall entstanden sind. Nun erhält er die höchste Ehrung, die ein Forscher wie er erreichen kann: Der aus Bad Homburg bei Frankfurt stammende Wissenschaftler wird mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet.

Wie die Schwedische Akademie der Wissenschaften am Dienstag bekannt gab, geht die Auszeichnung zur einen Hälfte an den Briten Roger Penrose (89) und zur anderen Hälfte an Genzel sowie die US-Wissenschaftlerin Andrea Ghez (55).

Alle drei beschäftigen sich mit den gigantischen Schwerkraftmonstern, von deren Existenz zwar sogar Laien aus Science-Fiction-Filmen wissen, die aber zu den größten Mysterien des Weltraums zählen: Schwarzen Löchern. Dort konzen­triert sich auf engstem Raum so viel Masse, dass etwa ein Raumschiff, wenn es hineinflöge, einfach verschluckt würde und verschwände.

Von Bonn aus zog Nobelpreisträger Genzel in die Welt

Während Penrose dem Nobelkomitee zufolge geniale mathematische Methoden erfand, um Albert Einsteins allgemeine Relativitätstheorie zu erforschen, hätten Genzel und Ghez in den 1990er-Jahren ­unabhängig voneinander ein unsichtbares und extrem schweres Objekt im Zentrum unserer Galaxie entdeckt. Ein supermassives Schwarzes Loch sei dafür die einzige derzeit bekannte Erklärung, schlussfolgerten sie.

Die beiden hätten Methoden entwickelt, um durch interstellares Gas und Staub zum Zentrum der Milchstraße zu sehen. „Sie haben die Grenzen der Technik erweitert und neue Techniken verfeinert, um Verzerrungen durch die Erdatmosphäre auszugleichen, einzigartige Instrumente zu bauen und sich der langfristigen Forschung zu widmen“, jubeln die Juroren.

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Doch wer ist Reinhard Genzel eigentlich? Der Vater zweier erwachsener Töchter, selbst Sohn eines Physikers, studierte in Bonn, forschte in Harvard und Berkeley und ist heute Direktor des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik in Garching bei München. Als er dort die Nachricht aus Schweden bekam, habe er ein paar Tränen vergossen.

„Was für ein Jahr“, erzählt Genzel am Dienstag im Radiosender WDR 2: „Ich sitze wegen Corona seit einem halben Jahr im Vakuum, und jetzt ruft auch noch Stockholm an.“

Im Zentrum vieler Galaxien gibt es ein Schwarzes Loch. Dieses wurde im April 2019 fotografiert.
Im Zentrum vieler Galaxien gibt es ein Schwarzes Loch. Dieses wurde im April 2019 fotografiert. © dpa

Dass er die mit insgesamt zehn Millionen Kronen (rund 950.000 Euro) dotierte Auszeichnung erhält, ist für Beobachter durchaus eine Überraschung. Denn vor anderthalb Jahren war es anderen Astronomen mithilfe eines weltweiten Netzwerks von Teleskopen erstmals gelungen, ein Schwarzes Loch zu fotografieren – sie galten deshalb als Nobelpreis-Anwärter.

Doch Genzel schaffte es, das, was Einstein vermutete, zu beweisen: ein Schwarzes Loch im Zentrum unserer Galaxie. Der Preis wird aus Genzel einen berühmten Mann machen.

Weitere Nobelpreise werden verliehen

In den kommenden Tagen folgen der Preis für Chemie und Literatur, am Freitag der Friedensnobelpreis und am Montag die Auszeichnung für Wirtschaftswissenschaften. Wegen der Corona-Pandemie wurde die Preisverleihung im Dezember in Stockholm abgesagt, die Verleihung des Friedensnobelpreises in Oslo findet in kleinerem Rahmen statt.

Röntgen bekam den ersten Nobelpreis für Physik

Der Physik-Nobelpreis wird seit 1901 vergeben. Die erste Auszeichnung erhielt der deutsche Physiker Wilhelm Conrad Röntgen für die Entdeckung der „X-Strahlen“, der später nach ihm benannten Röntgenstrahlen. Die Preisträger der vergangenen zehn Jahre waren:

  • 2019: Der kanadisch-amerikanische Kosmologe James Peebles für Erkenntnisse zur Entwicklung des Universums sowie die Schweizer Astronomen Michel Mayor und Didier Queloz. Sie entdeckten den ersten Exoplaneten, der um einen sonnenähnlichen Stern kreist.
  • 2018: Die Laserphysiker Arthur Ashkin (USA), Gérard Mourou (Frankreich) und Donna Strickland (Kanada) für die Entwicklung präziser Werkzeuge aus Licht.
  • 2017: Die drei US-Forscher Rainer Weiss, Barry Barish und Kip Thorne für den direkten Nachweis von Gravitationswellen. Albert Einstein hatte das Phänomen bereits vorhergesagt.
  • 2016: Die gebürtigen Briten David Thouless, Duncan Haldane und Michael Kosterlitz. Sie haben exotische Zustände beschrieben, die eine Relevanz für Quantencomputer und neue Materialien haben könnten.
  • 2015: Der Japaner Takaaki Kajita und der Kanadier Arthur McDonald. Sie hatten nachgewiesen, dass Neutrinos eine Masse besitzen. Die winzigen neutralen Elementarteilchen durchströmen das All und selbst Mauern.
  • 2014: Die gebürtigen Japaner Isamu Akasaki, Hiroshi Amano und Shuji Nakamura für die Erfindung hocheffizienter Lichtquellen. Die blau leuchtenden Dioden ermöglichen helle und energiesparende LEDs.
  • 2013: Der Belgier François Englert und der Brite Peter Higgs für die Vorhersage des Higgs-Teilchens.
  • 2012: Serge Haroche aus Frankreich und David Wineland aus den USA für Fallen, mit denen sich geladene Teilchen (Ionen) und Licht (Photonen) einfangen lassen. Sie schufen damit Grundlagen für genauere Uhren und grundsätzlich neue Computer.
  • 2011: Saul Perlmutter, Adam G. Riess (beide USA) und Brian P. Schmidt (USA und Australien) für die Beobachtung, dass sich das All derzeit immer schneller ausdehnt.
  • 2010: Der Niederländer Andre Geim und der britisch-russische Physiker Konstantin Novoselov für ihre Arbeiten zu Graphen. Das einlagige Gitter aus Kohlenstoffatomen leitet hervorragend Hitze und Strom.