Berlin. Oft heißt es, Corona sei nur für ältere oder kranke Menschen gefährlich. Doch das stimmt nicht, wie der Fall einer 42-Jährigen zeigt.

  • Eine Covid-19-Erkrankung kann auch Monate nach der Corona-Infektion schwere Folgen haben
  • Bei einer 42-Jährigen nahm das sogenannte Post-Covid-Syndrom einen schweren Verlauf: Sie kann auch ein halbes Jahr nach der Infektion noch immer kein normales Leben führen
  • Zunächst sah es gut bei Melanie Schneider aus, das Fieber ließ nach, zwei Corona-Tests fielen negativ aus. Doch die Genesung blieb bei ihr aus

Ende März bekommt Melanie Schneider einen Anruf aus dem Gesundheitsamt. Der Test auf das neue Coronavirus Sars-CoV-2 sei positiv ausgefallen, sagt ihr der Mann am Telefon. Schneider hat Halsschmerzen und Fieber, aber sie denkt: Zwei Wochen, dann ist alles wieder gut. Seitdem sind mehr als 180 Tage vergangen, 26 Wochen.

Es ist fast Herbst, und Melanie Schneider ist noch immer nicht zurück in ihrem alten Leben. Dem Leben als Mutter von zwei Kindern, als Altenpflegerin, als diejenige in der Familie, die alles managt, die viermal die Woche Sport treibt. „Es gibt Phasen, in denen fühle ich mich sehr alt“, sagt die 42-Jährige aus Landau in der Pfalz am Telefon.

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Melanie Schneider hat durch Covid-19 stark abgenommen. Zwischenzeitlich wog sie nur noch 39 Kilogramm. Inzwischen zeigt die Waage beinahe 42 Kilo an – ein kleiner Erfolg.
Melanie Schneider hat durch Covid-19 stark abgenommen. Zwischenzeitlich wog sie nur noch 39 Kilogramm. Inzwischen zeigt die Waage beinahe 42 Kilo an – ein kleiner Erfolg. © FUNKE Foto Services | Sergej Glanze

Sie ruft aus einem Zimmer in einer Klinik im mecklenburgischen Heiligendamm an, direkt an der Ostseeküste. Dort versucht sie, den Weg zurück zu finden. Derzeit schafft sie kaum den Weg zum Strand. Ob sie je wieder ganz gesund wird, weiß sie nicht. Ihre Ärzte auch nicht.

Melanie Schneider hatte Covid-19 – die Erkrankung, die von dem Virus Sars-CoV-2 ausgelöst wird und von der man inzwischen weiß, dass sie Spuren hinterlassen kann, die auch noch lange nach einem negativen Testergebnis den Körper zeichnen. Sie ist eine von mehr als 240.000 Menschen in Deutschland, die in der Corona-Statistik als Genesene erfasst werden. Wer von ihnen wirklich genesen ist, zeigt die Statistik nicht.

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    Begonnen hat es bei Melanie Schneider am 23. März, einem Montag. Zu dieser Zeit meldeten die Gesundheitsbehörden in Deutschland 29.056 Infizierte und 123 Tote durch Covid-19. Die Bundesregierung legt an dem Tag das „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ vor.

    Melanie Schneider hat Kopfschmerzen. Sie denkt sich nichts dabei. Die Nacht zuvor war kurz, die Arbeit in einer Wohngemeinschaft für Menschen mit Behinderung stressig. Doch dann kommt das Fieber, der Halsschmerz. Der Anruf aus dem Gesundheitsamt folgt fünf Tage später: Der PCR-Test auf Sars-CoV-2 ist positiv.

    Post-Covid-Syndrom: Haare fielen aus, das Bein wurde taub

    Bei den meisten Menschen, die sich mit dem Coronavirus anstecken, verläuft die Infektion mild. Einige merken nicht mal etwas davon. „Aber uns war relativ früh klar, dass es Menschen geben wird, die lange leiden würden – unabhängig von der Schwere ihres Krankheitsverlaufs“, sagt Jördis Frommhold, Chefärztin der Abteilung für Atemwegserkrankungen in der Median Klinik in Heiligendamm, in der auch Melanie Schneider behandelt wird.

    Die Patienten dort hatten schwere und leichte Verläufe, sie sind jung und schon etwas älter, mit und ohne Vorerkrankungen. In manchen Fällen scheint es, als würde das Virus erst hinterher zum großen Schlag ausholen. Dann, wenn man denken könnte: Jetzt ist alles wieder gut. Das sei das Tückische, sagt Frommhold: „Es gibt keinen klassischen Risikopatienten. Wir wissen nicht, wer ein Post-Covid-Syndrom entwickelt.“

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      Der Krankheitsverlauf bei Melanie Schneider, die sich wahrscheinlich bei einer Arbeitskollegin angesteckt hat, war ernst, aber nicht schwer. „Ich war kaum mehr in der Lage aufzustehen. Ich war müde, kraftlos, hatte keinen Appetit und Mühe beim Atmen“, erzählt sie. Dennoch: Sie musste weder beatmet werden noch für die akute Behandlung ins Krankenhaus.

      Trotz negativer Corona-Tests blieb die Genesung aus

      Irgendwann ließ auch das Fieber nach, zwei Corona-Tests fielen negativ aus. Doch die Genesung blieb bei ihr aus. Stillstand. „Ich habe versucht rauszugehen, mich zurückzukämpfen“, sagt sie. Im Juli schaffte sie eine Strecke von 600 Metern zu Fuß, dann reichte die Luft nicht mehr. Diese Luftnot, sagt sie, ist nicht wie das schwere Atmen nach einer ausgiebigen Joggingrunde. „Es ist ein ganz beklemmendes Gefühl, das ich nie zuvor hatte. Ein Druck auf der Brust und Panik, dass die Luft, die man einatmet, einfach nicht ausreicht.“

      Auch ihre Kraft kam nicht zurück. Schneider sagt, es sei eine Mischung aus großer Erschöpfung und dem Rückgang der Muskulatur, „weil ich mich ja kaum mehr bewegt habe“. Schon das Ausräumen der Spülmaschine war zu viel. Die ohnehin zierliche Frau magerte ab auf 39 Kilogramm, die Haare fielen ihr aus, ihr rechtes Bein wurde taub. Erst dann ging Melanie Schneider auf Anraten ihrer Hausärztin ins Krankenhaus. Die Infektion war vorbei, gesund war sie nicht.

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      Das Leben vor Corona: Auf diesem Foto aus dem Juli 2019 war Melanie Schneider noch gesund.
      Das Leben vor Corona: Auf diesem Foto aus dem Juli 2019 war Melanie Schneider noch gesund. © Melanie Schneider | Melanie Schneider

      Melanie Schneider zweifelte, ob sie sich die Symptome nur einbildete

      Für ihr Umfeld sei das schwer zu verstehen gewesen. Viele hätten gefragt, ob es denn nach so langer Zeit noch immer nicht besser sei. Im Krankenhaus fragten die Ärzte, ob sie nicht vielleicht doch an einer Essstörung leide. Für drei Tage kam sie in die Psychiatrie. „Ich habe angefangen, an mir zu zweifeln“, sagt Melanie Schneider, „mich zu fragen, ob ich es mir vielleicht nur einbilde.“

      Die Schwäche, die Müdigkeit, die Vergesslichkeit. Waren sie wirklich da? Könnte sie sich nicht einfach ein bisschen mehr zusammenreißen? Melanie Schneider spricht leise und langsam. Es ist eine zarte Stimme ohne Kraft, die Erschöpfung klingt aus jedem Wort.

      Viele ehemalige Covid-19-Patienten berichten von dieser Erschöpfung. Was genau sie auslöst, ist noch unklar. Manche Mediziner vermuten eine sogenannte Fatigue, wie sie nach Infektionskrankheiten auftreten kann und die auch bei der Sars-Epidemie von vor fast 18 Jahren beobachtet wurde. Allein, nachweisen lassen sich Symptome wie Müdigkeit oder Vergesslichkeit kaum.

      Die Ärzte vermuten viel mehr Menschen mit Post-Covid-Syndrom

      Es mache ihr große Sorgen, sagt die Ärztin Jördis Frommhold, dass Betroffene oft nicht als solche erkannt würden. Wer frühzeitig behandelt werde, dem könne man helfen. „Aber wie viele Menschen gibt es wohl mit einem nicht diagnostizierten Post-Covid-Syndrom, die darunter leiden, dass ihre Symptome nicht erkannt und behandelt werden?“, fragt Frommhold.

      Melanie Schneider sagt, die Begegnung mit anderen Betroffenen sei eine ungemein wichtige Erfahrung für sie gewesen. „Es tat gut zu wissen, dass meine Symptome keine Einbildung sind.“

      Angst vor diesem neuartigen Virus hatte sie vor ihrer Infektion nicht, „aber großen Respekt“. Vor allem um ihre Klienten in der Wohngemeinschaft hat sie sich gesorgt, viele gehören in die klassische Risikogruppe. Seid nicht leichtsinnig, habe sie gesagt. Passt auf euch auf! „Für mich dachte ich: Ich halte mich an die Maßnahmen, und dann ist es gut.“

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        Covid-Erkrankte gewöhnen sich eine falsche Atmung an

        Nun gehört Melanie Schneider zu jenen ehemaligen Covid-19-Patienten, die das richtige Atmen lernen müssen. Während der Krankheit gewöhnen sich viele ein falsches Atemmuster an – eine Art Schonhaltung, um ihren Hunger nach Luft zu stillen.

        In der Klinik bekommt Schneider Massagen, Physiotherapie und trainiert auf dem Ergometer. Und ihr Körper sendet ihr gute Signale: „Ich habe wieder Lust aufs Essen. Nüsse, Kekse, alles mit vielen Kalorien.“ Die Waage zeigt inzwischen fast 42 Kilogramm an. Ein kleiner Erfolg.

        Die Liste der Symptome des Post-Covid-Syndroms ist noch längst nicht geschlossen. Sie wird länger, je mehr Menschen eine Infektion überstehen. Auch die psychosomatischen Probleme seien nicht zu unterschätzen, sagt Frommhold: „Beatmete Patienten haben Albträume, auch aufgrund der Isolation, der sie ausgesetzt waren.“

        Einige von ihnen hätten Nahtoderfahrungen gemacht. Andere, wie Melanie Schneider, sind zwar offiziell gesund, fühlen sich aber alt und krank. „Wir sehen auch bei leichten Fällen zum Teil eine extreme Leistungsminderung“, sagt Frommhold.

        Mediziner warnen vor einer Negativspirale bis hin zur Depression

        Diese Menschen wollen arbeiten, wieder in ihren Alltag zurück, aber sie können einfach nicht, sagt die Ärztin. Sie warnt vor einer Negativspirale aus Leistungsabfall, Arbeitsunfähigkeit und psychischen Pro­blemen wie Depressionen oder Angsterkrankungen.

        Melanie Schneider weiß, dass sie Geduld haben muss. Das sagt ihr der Kopf. Der Bauch, sagt sie, will einfach, dass alles wie früher wird. Zumindest ein bisschen. „Mit meiner Familie einen Spaziergang machen, das wäre was“, sagt Schneider.

        Vielleicht sei das ja das Positive an der Erkrankung: dass man die kleinen Dinge zu schätzen lerne. Die 42-Jährige hat sich vorgenommen, künftig Aufgaben abzugeben und sich nicht für alles verantwortlich zu fühlen. Jetzt wird sie das ohnehin tun müssen. Aber vielleicht gibt es auch eine Zeit danach.

        Nach fünf Wochen Klinikaufenthalt ist Melanie Schneider Ende vergangener Woche nach Hause gefahren. Sie wird weiter ambulant behandelt.

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