Chemnitz/Dresden. In Dresden wird der Prozess nach dem tödlichen Messerangriff in Chemnitz fortgesetzt. Die Verteidigung stellte einen brisanten Antrag.

Mit einem Tötungsdelikt am 26. August 2018 hatte alles in Chemnitz begonnen: Trauerkundgebungen, gewaltsame Proteste und Angriffe auf Migranten. Nun soll zumindest aufgeklärt werden, wie es zu dem Auslöser kam.

Das Landgericht Chemnitz verhandelt die Klage gegen den 23-jährigen Alaa S., der am Rande eines Stadtfestes den damals 35-Jährigen Daniel H. erstochen haben soll. Dem Tatverdächtigen wird unter anderem Totschlag vorgeworfen.

Richter sollen politische Einstellung preisgeben

Am Oberlandesgericht Dresden wird der Prozess, der am 18. März begann, am Dienstag fortgesetzt. Die Verteidigung von Alaa S. hatte am ersten Verhandlungstag einen brisanten Antrag gestellt: Die Berufs- und Laienrichter sollen sich zu ihrer politischen Einstellung äußern. Verteidigerin Ricarda Lang hatte zum Prozessauftakt in Dresden einen Fragenkatalog vorgelesen.

Sie wollte beispielsweise wissen, ob die Berufs- und Laienrichter Mitglieder oder Unterstützer der AfD oder der islamfeindlichen Pegida-Bewegung sind, ob sie an Demonstrationen teilnahmen und wie sie zur Flüchtlingsfrage stehen. „Die Einstellung der Richter zur Flüchtlingsfrage ist entscheidend für ein faires Verfahren“, sagte Lang.

Über diesen Antrag wird das Gericht entscheiden. Außerdem soll unter anderem die Frau aussagen, die den Notruf abgesetzt hat.

Angriff in Chemnitz Auslöser für Demonstrationen

Aus Sicherheitsgründen und wegen des großen öffentlichen Interesses begann der Prozess in den Räumen des Oberlandesgerichtes Dresden. Im Vorfeld war die Verteidigung des Angeklagten vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe mit dem Antrag gescheitert, den Prozess außerhalb von Sachsen, Thüringen und Brandenburg durchzuführen. Zuletzt hatte auch das Oberlandesgericht Dresden es abgelehnt, das Verfahren dem Landgericht Leipzig zu übertragen.

Zum Prozessauftakt ging die Verteidigerin in einer Art Chronologie auf die Ereignisse in Chemnitz ein, die nach dem Tod des 35 Jahre alten Daniel H. am 26. August 2018 unter anderem in ausländerfeindlichen Ausschreitungen und Angriffen auf Flüchtlinge gipfelten.

Nach Langs Wortmeldung wurde die knappe Anklageschrift verlesen. Die Verteidigung forderte zudem eine Einstellung des Verfahrens. Es seien Tatzeit, Tatort und Motiv unklar, so dass es nicht genug handfeste Beweise gebe, hieß es zur Begründung.

Zweiter Verdächtiger von Chemnitz wird per Haftbefehl gesucht

Der Hauptverdächtige und ein flüchtiger Iraker sollen nicht nur Daniel H. tödlich, sondern auch zwei weitere Männer zum Teil schwer verletzt haben. Der zweite Verdächtige wird noch per internationalem Haftbefehl gesucht.

Der Sicherheitssaal war mit Millionen-Aufwand für den Prozess gegen die rechtsextreme Terror-Vereinigung „Gruppe Freital“ umgebaut worden. Publikum und Prozessbeteiligte sind durch eine Glasscheibe getrennt.

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Demonstrationen: Das ist „Pro Chemnitz“

Nach der Gewalttat war es in Chemnitz zu fremdenfeindlichen Übergriffen, rechten Demonstrationen mit zahlreichen Straftaten wie dem Zeigen des Hitlergrußes sowie Anschlägen auf ausländische Restaurants gekommen. Nach den Ausschreitungen hatte der damalige Verfassungschef Hans-Georg Maaßen Zweifel an Video-Aufnahmen von Angriffen auf Migranten geäußert und damit eine Regierungskrise ausgelöst. Hans-Georg Maaßen sieht sich heute als Opfer einer „Hetzjagd“.

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    Wohl keine sexuellen, politischen oder rassistischen Motive

    Für den Prozess sind bis zum 29. Oktober insgesamt 24 Verhandlungstage angesetzt. Dabei soll geklärt werden, warum Daniel H. starb. Auch wird es darum gehen, noch offene Fragen zu klären. So ist der Tathergang noch immer in weiten Teilen unklar. Warum kam es zum Streit zwischen Opfer und Tätern? Ging es, wie einige Medien jüngst berichteten, um Drogen?

    „Trotz umfangreicher Ermittlungen der Kriminalpolizei Chemnitz liegt das Vorgeschehen der Tötungshandlung, das Motiv, der Tatablauf und die personelle Tatbeteiligung weiterhin völlig im Dunkeln“, sagte Verteidiger Oliver Marson.

    Einig sind sich Verteidigung und Staatsanwaltschaft, dass es weder um sexuelle noch um politische oder rassistische Motive ging. Ein weiterer Iraker, der zunächst als Tatverdächtiger in Untersuchungshaft gesessen hatte, ist seit dem 18. September wieder auf freiem Fuß. Der Haftbefehl war aufgehoben worden, weil kein dringender Tatverdacht mehr bestanden hatte.

    Tut Sachsen genug gegen Rechtsradikale?

    Im Januar hatte die Staatsanwaltschaft Chemnitz die Ermittlungen gegen den Mann komplett eingestellt. Dessen Anwalt Ulrich Dost-Roxin stellte inzwischen Strafanzeige gegen einen Richter und einen Staatsanwalt. Es gehe um den Verdacht der Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung, teilte der Rechtsanwalt mit. Die Generalstaatsanwalt in Dresden hatte den Eingang der Anzeige bestätigt.

    Nach den Ausschreitungen in Chemnitz waren Diskussionen darüber entbrannt, ob das Land Sachsen genug gegen rechtsradikale Gruppen unternehmen. Sachsens Regierungschef will rechte Netzwerke nun „zerschlagen“. (dpa/epd/ac/tki)

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