Chemnitz. In Chemnitz wurde einem verstorbenen Hooligan und Neonazi gedacht. Jetzt hat sich Ministerpräsident Michael Kretschmer geäußert.
Als Chemnitz im vergangenen Sommer Schauplatz großer rechter Demonstrationen wurde, distanzierte sich der größte Chemnitzer Fußballverein, der Chemnitzer FC (CFC), von den Vorfällen und schloss sich der Kampagne „Chemnitz ist weder grau noch braun“ an.
Am Wochenende zeigte der CFC allerdings ein anderes Gesicht: Chemnitzer Fans gedachten beim Regionalligaspiel gegen die VSG Altglienicke (4:4) mit roter Pyrotechnik und schwarz-weißen Bannern in den Farben des Deutschen Reiches eines verstorbenen Fans – dem bekennenden Neonazi Thomas Haller.
Der Verein ließ zudem eine Schweigeminute zu, in der das Konterfei des Verstorbenen, der die rechtsextreme Organisation „HooNaRa“ (Hooligans-Nazis-Rassisten) mitbegründete, auf der Stadionleinwand eingeblendet wurde. Der Stadionsprecher bekundete sein Beileid, Spieler Daniel Frahn hielt nach einem Treffer ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Support your local Hools“ („Unterstütze deine örtlichen Hooligans“) hoch.
Sachsens Regierungschef fordert konsequentes Handeln
Die Vorfälle haben nun Konsequenzen. Der Fußballverein erstattete Strafanzeige gegen Unbekannt und entließ mehrere Mitarbeiter.
Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) hat am Mittwoch konsequentes Handeln angemahnt. „Wir müssen diese rechtsextremen Netzwerke zerschlagen“, sagte er im Landtag in Dresden. Man habe am vergangenen Wochenende einmal mehr gesehen, dass da „mehr vorhanden ist, als wir gedacht haben“, erklärte Kretschmer. „Wir lassen nicht zu, dass an dieser Stelle Rechtsextremisten das Kommando übernehmen.“
Es sei richtig, dass die Verantwortlichen beim CFC Konsequenzen gezogen hätten. „Das kann noch nicht das Ende sein. Es muss hier weitergehen. Wir brauchen da eine klare Handschrift“, sagte Kretschmer. Weder die Stadt noch die CFC-Fans dürften sich solche Vorfälle bieten lassen.
Seehofer warnt vor Rechtsextremismus
Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), der als Minister auch für das Thema Sport zuständig ist, meldete sich zu Wort: „Sport soll eine integrierende Wirkung haben und Menschen miteinander verbinden. Hier darf es keinen Raum für Rechtsextremismus und Rassismus geben“, mahnte er.
Zugleich lobte Seehofer den Chemnitzer FC und auch den Nordostdeutschen Fußballverband (NOFV) dafür, nun Konsequenzen zu ziehen. Das halte er für „richtig und absolut notwendig“.
Chemnitzer FC: Das Wichtigste zum Vorfall in Kürze:
• Der Chemnitzer FC spielte in der Regionalliga gegen die VSG Altglienicke
• Vor dem Spiel wurde des verstorbenen Neonazis Thomas Haller gedacht
• Spieler Daniel Frahn jubelte mit einem Hooligan-T-Shirt
• Der Verein rudert zurück, stellt unter anderem Strafanzeige gegen Unbekannt
• Der kaufmännische Geschäftsführer Thomas Uhilg tritt zurück
• Mehrere Mitarbeiter wurden entlassen
• Sponsoren drohen wegzubrechen
• Die SPD-Abgeordnete Peggy Schellenberger darf nicht bei der Kommunalwahl kandidieren
Strafanzeige gegen Unbekannt
Für den CFC ist das Thema besonders problematisch, denn die teils spontanen Großdemonstrationen in Chemnitz im August waren auch durch eine Vernetzung verschiedener Hooligan-Verbände möglich geworden. Auch hatte sich in Chemnitz die rechtsextreme Terrorzelle „Revolution Chemnitz“ gebildet, die von Ermittlern zerschlagen werden konnte. Entsprechend hagelte es mit Blick auf die jüngsten Vorfälle nach der Trauerminute Kritik.
Der Chemnitzer FC veröffentlichte nach dem Spiel eine Mitteilung, in der es hieß, dass man die „Möglichkeit der gemeinsamen Trauer“ zulassen wollte. „Das Bedürfnis der Menschen nach gemeinsamer Trauer gilt es für uns zu respektieren. In diesem Kontext hat der Stadionsprecher den Hinterbliebenen das Beileid ausgesprochen“, heißt es weiter.
Nun rudert der Verein, der den Spitznamen „Die Himmelblauen“ trägt und sich im Vorjahr mit dem Abstieg aus der 3. Liga aus dem Profifußball verabschiedete, zurück. Am Montag teilte der CFC mit, dass er bei der Staatsanwaltschaft Chemnitz eine Strafanzeige gegen Unbekannt stellt.
„Nach Aussagen der zuständigen Mitarbeiter ‘drohten massive Ausschreitungen’. Dieser Umstand begründet zumindest den Anfangsverdacht für eine schwerwiegende Nötigung, der von den zuständigen Ermittlungsbehörden aufzuklären ist“, wird der CFC-Insolvenzverwalter Klaus Siemon auf der Homepage zitiert.
Rechtsextreme Fans haben wohl ein festes Netzwerk
Geklärt werden solle unter anderem, warum die sonst üblichen Fahnen auf der Tribüne nicht gezeigt wurden. die Choreographie, bei der die Fans ein weißes Kreuz auf schwarzem Grund und den Schriftzug „Ruhe in Frieden, Tommy“ zeigten, sei zudem nicht abgesprochen gewesen. Auch habe man Erkenntnisse, dass „bekannte Personen aus der rechtsextremen Szene für diesen Tag aus anderen Städten nach Chemnitz und Sachsen gereist“ seien.
Der sächsische Verfassungsschutz teilte der Deutschen-Presse-Agentur am Dienstag mit, dass rechtsextreme Fußballfans gut vernetzt seien. „Die von außen kaum feststellbaren festen Strukturen dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei diesem Personenpotenzial um ein festes Netzwerk mit zahlreichen Anhängern handelt“, teilte die Behörde mit.
Drei Mitarbeiter müssen gehen
Wie die Chemnitzer „Freie Presse“ berichtet, habe der Verein zudem am Montagmorgen mitgeteilt, sich von drei Mitarbeitern zu trennen. Die Fanbeauftragte Peggy Schellenberger werde ab sofort von ihren Aufgaben entbunden. Auch der bisherige Mitarbeiter der Kommunikationsabteilung Maximilian Glös werde freigestellt. Stadionsprecher Olaf Kadner werde zudem künftig nicht mehr eingesetzt werden.
Der kaufmännische Geschäftsführer des Chemnitzer, Thomas Uhlig, war bereits am Sonntag zurückgetreten. „In meiner Funktion als kaufmännischer Geschäftsführer und Veranstaltungsleiter trage ich die Verantwortung für die Spieltage des CFC und dessen Begleiterscheinungen“, rechtfertigte Thomas Uhlig seine Entscheidung auf der CFC-Webseite.
Daniel Frahn muss Strafe zahlen
Gegen Spieler Daniel Frahn sei eine Geldstrafe verhängt worden, heißt es in einer weiteren Mitteilung. „Dass ein Spieler während eines Spiels Botschaften, egal welcher Art, verbreitet und diese nicht vorher mit den Verantwortlichen des CFC bespricht, ist für uns nicht hinnehmbar“, wird CFC-Sportvorstand Thomas Sobotzik zitiert.
„Im Austausch mit unseren Fans habe ich eines Tages auch Thomas Haller kennengelernt. Mir persönlich gegenüber ist er nie politisch geworden. Ich bin weit davon entfernt, sein Gedankengut zu teilen“, sagte Daniel Frahn in der CFC-Meldung.
„Als aller erstes möchte ich klarstellen, dass ich KEIN Sympathisant eines Neo-Nazis bin! Auch teile ich diese politische Einstellung NICHT und trage auch keine rechten Gedanken in mir“, teilte Frahn zudem auf seiner Facebook-Seite mit.
Inwieweit es Frahns alleinige Idee war, das T-Shirt hochzuhalten, ist unklar. Wie der MDR berichtet, habe das Shirt bereits zuvor auf der Wechselbank gelegen und sei ihm gereicht worden.
Sponsoren drohen wegzubrechen
Die Chemnitzer Sparkasse, die bisher Haupt- und Trikotsponsor des Spitzenreiters der Regionalliga Nordost ist, kündigte bereits vor dem Wochenende ihren Rückzug zum Sommer an. Nach den Vorfällen, bei denen der Chemnitzer FC keinerlei Schuldbewusstsein gezeigt hätte, fühle man sich bestätigt, sagte Unternehmenssprecher Sven Mücklich dem MDR.
Für den Chemnitzer FC könnte es aber noch dicker kommen. Ein weiterer Sponsor könnte sich zurückziehen. „Wir prüfen aktuell juristisch, unsere Leistungen mit sofortiger Wirkung einzustellen“, sagte Jörg Engelmann, Geschäftsführer und Sprecher Chemnitzer Chemieanlagenbau (CAC) der „Freien Presse“.
Fanbeauftragte Schellenberger darf nicht mehr für die SPD kandidieren
Aber nicht nur beim CFC haben die Vorfälle nach dem Tod von Haller, dessen Sicherheitsfirma laut MDR bis heute als Subunternehmen im Stadion für Ordner-Dienste zuständig gewesen sein soll, Konsequenzen. Auch die SPD reagierte.
Denn Peggy Schellenberger war nicht nur Fanbeauftragte des Chemnitzer FC, sondern auch SPD-Stadtrats-Abgeordnete. Jetzt aber wurde ihr von der Chemnitzer SPD die Nominierung für die Kommunalwahl im Mai verwehrt. Schellenberger hatte auf ihrem persönlichen Facebook-Account ihr Beileid für Haller bekundet.
Gegenüber MDR Sachsen sagte sie, dass sie in ihrem Beitrag auf der Social-Media-Plattform als Privatperson über eine andere Privatperson geschrieben habe. Sie verachte Hallers politische Haltung, habe aber den Privatmenschen respektiert.
Der Chemnitzer SPD-Bundestagsabgeordnete und Stadtrat Detlef Müller bezeichnete im Deutschlandfunk die Trauerbekundung als „unfassbare Dummheit“ des Vereins. Haller sei ein „stadtbekannter Nazi“ gewesen.
Stadt Chemnitz distanziert sich
Die Stadt Chemnitz distanzierte sich von den Vorfällen im Stadion. Auf der Webseite der Stadt heißt es, dass man die Ereignisse „mit Befremden und Unverständnis zur Kenntnis genommen“ habe. Chemnitz sei eine weltoffene, tolerante und friedliche Stadt. Die Stellungnahme bekräftigte die Stadt auch nochmal auf Twitter.
Ähnliches Banner bei Fans von Energie Cottbus
Auch die Fans von Energie Cottbus haben mit einem Banner an den verstorbenen Thomas Haller erinnert. Beim Drittliga-Spiel am vergangenen Samstag gegen Preußen Münster hing im Innenraum ein Banner mit der Aufschrift „Ruhe in Frieden Tommy“.
Nach Aussage von Energie-Pressesprecher Stefan Scharfenberg-Hecht sei das Banner in Cottbus kurzfristig vor dem Spiel angemeldet und zugelassen worden. „Den Verantwortlichen war zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt, um welche Person es sich hierbei handelte“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur am Montag. Mit den dann bekannt gewordenen Informationen hätten die Verantwortlichen der Präsentation des Banners keinesfalls zugestimmt, erklärte der Sprecher. „Wir werden gemeinsam mit unseren Netzwerkpartnern den Vorgang auswerten und daraus Lehren ziehen.“
Braunschweiger Hooligans ziehen mit ähnlichem Spruchband nach
Eine Woche nach den Geschehnissen in Chemnitz und Cottbus haben auch einige Ultras von Eintracht Braunschweig dem Toten ein Spruchband gewidmet. Beim Heimspiel gegen den SV Meppen (3:0) hielten die „BS Hools“ ein Banner mit der Aufschrift „Ruhe in Frieden, Tommy. BS Hools“ hoch.
Der Verein distanzierte sich in einer Stellungnahme von dem Spruchband, wie die Braunschweiger Zeitung berichtet: „Eintracht Braunschweig ist ein toleranter Verein, der mit seinen Mannschaften, Mitgliedern, Mitarbeitern und seiner Fanszene für Vielfalt und Respekt steht und demokratische Grundwerte vertritt! Das ist so auch in unserem Leitbild verankert. Da der verstorbene Chemnitzer Tommy Haller, dem das Banner offensichtlich gewidmet war, nach unserem Kenntnisstand nicht für diese Grundwerte stand, distanzieren wir uns hiermit ausdrücklich von diesem Gedankengut, dem Spruchband und allen, die damit sympathisieren, genauso wie der überwältigende Teil unserer Fans.“
(tki/dpa/sid/mein)
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