Melbourne. George Pell (77) war Finanzchef des Vatikan - nun soll er wegen Kindesmissbrauchs sechs Jahre ins Gefängnis. Er bestreitet die Taten.

Im Dezember hatte ihn ein Geschworenengericht schuldig gesprochen, nun folgte das Strafmaß: Der australische Kardinal George Pell ist wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Das gab ein Gericht in Melbourne am Mittwoch (Ortszeit) bekannt.

Noch nie wurde ein höherer Vertreter des Vatikan des Missbrauchs schuldig gesprochen und verurteilt. Der Kirchenfürst fungierte als Finanzberater des Vatikans und war in Geldfragen so etwas wie die rechte Hand von Papst Franziskus (82) – und praktisch die Nummer drei des Vatikans.

George Pell geht in Berufung

Pell soll in den 1990er Jahren zwei damals 13 Jahre alte Chorknaben missbraucht zu haben. Der Vertraute von Papst Franziskus bestreitet die Taten – und geht gehen das Urteil in Berufung. Der Berufungsprozess wird vermutlich im Juni beginnen.

Robert Richter, der Anwalt von George Pell auf dem Weg ins Gericht.
Robert Richter, der Anwalt von George Pell auf dem Weg ins Gericht. © Getty Images | Michael Dodge

Für den 77-jährigen Kleriker hätte das Urteil noch härter ausfallen können: Die Höchststrafe hätte bei 50 Jahren gelegen,. Der vorsitzende Richter blieb deutlich darunter. Strafmindernd wertete er dabei unter anderem Pells Alter, seine Gesundheit und seine Lebensleistung.

Pell gehörte auch zu den engsten Beratern des Papstes. Wegen der Vorwürfe ließ er sich bereits vor zwei Jahren beurlauben. Offiziell war er als Finanzchef jedoch noch bis Februar im Amt. Dann wurde er verhaftet.

An diesem Mittwoch beschäftigt sich auch die Deutsche Botschaftskonferenz mit dem Thema Missbrauch.

Australien von Missbrauchsskandalen besonders betroffen

Der Schuldspruch und die Verurteilung sind weitere Hiobsbotschaften für den Vatikan. Der Schuldspruch Ende Februar etwa folgte kurz nach dem großen Anti-Missbrauchs-Gipfel in Rom. Gerüchte um den konservativen Gottesmann – einen Mann von immer noch mächtiger Statur – gab es schon lange.

Neben Irland und den USA gehört Australien zu den Ländern, die von den Missbrauchsskandalen besonders heftig erschüttert wurden. Etwa jeder fünfte Australier ist Katholik, und eine nach zahlreichen Vorwürfen eigens eingesetzte Untersuchungskommission der Regierung kam zu dem Ergebnis, dass zwischen 1980 und 2015 insgesamt 4444 Menschen Opfer sexueller Übergriffe durch Vertreter der Kirche Australiens wurden.

In Pells Heimatstadt Ballarat, rund 90 Minuten Autofahrt westlich von Melbourne, sollen die Missbrauchsfälle besonders zahlreich gewesen sein. Doch erst 2017 begann der Prozess.

Kardinal zwang 13-Jährigen zu Oralsex

Das Urteil gegen Pell bezieht sich auf Vorfälle in den Jahren 1996 und 1997, als Pell Erzbischof von Melbourne geworden war. In der dortigen St.-Patrick’s-Kathedrale – so die Überzeugung aller Geschworenen – verging er sich an zwei 13-Jährigen, die er mit Messwein in der Sakristei erwischt hatte. Demnach zwang er einen der Schüler zum Oralsex, dem anderen zeigte er sich in exhibitionistischer Weise.

Ein paar Monate später bedrängte er nach Überzeugung des Gerichts einen der Jungen erneut. Einer der beiden ist inzwischen tot, gestorben an einer Überdosis Heroin. Der andere wartete zwei Jahrzehnte, bis er endlich zur Polizei ging. Im Prozess war der einstige Chorknabe, heute 34, der Hauptbelastungszeuge.

Wegen seiner Furcht, den Platz im Chor und ein Stipendium an einer renommierten Schule zu verlieren, habe er damals geschwiegen, erläuterte er. „Ich habe wie viele Überlebende Einsamkeit, Scham und Depressionen erlebt“, hieß es in seiner am Dienstag verbreiteten schriftlichen Stellungnahme zum Urteil. „Wir haben jemandem vertraut, den wir fürchten sollten. Später fürchteten wir uns vor Beziehungen, in die wir hätten vertrauen sollen.“

Gegner des Kardinals demonstrieren vor dem Gerichtsgebäude in Malbourne.
Gegner des Kardinals demonstrieren vor dem Gerichtsgebäude in Malbourne. © Getty Images | Michael Dodge

Der Vatikan wartet ab

Unabhängig von den Richtern muss der Papst entscheiden, wie es mit Pell in kirchlichen Angelegenheiten weitergeht. Bis zuletzt hatte Franziskus an ihm festgehalten – Motto war stets, erst zu reagieren, wenn die Schuld gerichtlich bewiesen sei.

Das ist zwar jetzt der Fall, doch der Vatikan will weiter warten – nun auf ein Urteil im Berufungsverfahren.

Pell habe „das Recht, sich bis in die letzte Instanz zu verteidigen“, hatte Vatikan-Sprecher Alessandro Gisotti erklärt. Sofortige Konsequenzen wird es demnach nicht geben. Gisotti sprach dennoch von einer „schmerzhaften Nachricht“.

Eine Entlassung Pells als Präfekt des Wirtschaftssekretariats wäre sowieso nicht mehr nötig: Passenderweise ist seine Amtszeit als Vatikan-Finanzchef nach fünf Jahren inzwischen vorbei.

Die katholische Kirche steht wegen Missbrauchsvorwürfen in zahlreichen Ländern unter Druck. Zum Abschluss eines „Anti-Missbrauchs-Gipfels“ im Vatikan hatte Papst Franziskus am Sonntag versprochen, dass solche Fälle nicht länger vertuscht werden. Konkrete Schritte, wie das erreicht werden soll, nannte er nicht.

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