Berlin. In Toronto hat erneut ein Mann ein Fahrzeug als Waffe benutzt. Er soll kein Extremist gewesen sein. Warum verhielt er sich wie einer?
Was den Täter von Toronto dazu brachte, sein Fahrzeug zur Waffe zu machen und damit zehn Menschen zu töten, ist noch unklar. Der mutmaßliche Todesfahrer, der 25 Jahre alte Alek M., soll am Montag seinen Van in einem belebten Viertel in eine Gruppe von Fußgängern gelenkt haben.
Es heißt, psychische Probleme könnten ihn dazu gebracht haben – ähnlich wie im Fall von Jens R., der vor nicht mal drei Wochen in Münster mit einem Lieferwagen zwei Menschen getötet hatte.
Bei beiden Tätern deutet nichts auf ein extremistisches Motiv hin. Ihr Vorgehen jedoch weckt vor allem in Europa dunkle Erinnerungen – an Nizza, Berlin, London, Stockholm, Barcelona, an die vielen Opfer der Anschläge, die mit Fahrzeugen begangen wurden. Was hat die Todesfahrer dazu bewegt, die Methode der Terroristen zu kopieren?
„Amokläufer und Extremisten haben dasselbe Ziel“
„Auch wenn die Motive unterschiedlich sind, haben Amokläufer und Extremisten dasselbe Ziel“, sagt Prof. Barbara Schneider, die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention (DGS). Und dieses Ziel heiße „mit möglichst wenig Aufwand möglichst viele Menschen töten“.
Auch der Psychiater Hans Wedler, Mit-Herausgeber des Buches „Terroristen-Suizide und Amok“, sieht einen Zusammenhang zwischen Amokfahrten und Fahrzeug-Anschlägen „Die Medien breiten diese Taten groß aus, der Täter möchte die gleiche Aufmerksamkeit erreichen wie die Terroristen“, sagte Wedler der „Augsburger Allgemeinen“. Die Tat in Münster etwa habe in gewisser Weise eine Imitation von früheren Terror-Anschlägen sein können.
Freilich kann man für den Fall des Todesfahrers von Toronto nur spekulieren, was ihn wirklich zu der Tat trieb, meint Schneider. Man müsse den Einzelfall betrachten. Aber der Wunsch nach dem eigenen Tod spreche doch für eine Amoktat – die Tat eines psychisch Kranken.
Dass Alek M. seinen Tod zumindest in Kauf genommen haben könnte, ist auf dem Video eines Augenzeugen zu sehen, das seit Montag im Internet kursiert. Die Bilder sollen die Festnahme des mutmaßlichen Täters zeigen. In dem Video steht ein Mann vor einer demolierten Motorhaube eines weißen Lieferwagens und zielt mit einem Gegenstand auf einen Polizisten. Er gestikuliert wild, er ruft „Töte mich!“, „Schieß mir in den Kopf!“.
Depression allein löst keinen Blutrausch aus
Woher diese Lebensmüdigkeit kommt? „Dem Hass, den solche Täter auf andere haben, geht oft Selbsthass voraus“, sagt Barbara Schneider. Und aus diesem Selbsthass heraus könne der Suizid für den Betroffenen erforderlich wirken. Zumal gerade erwachsene Amoktäter oft wahnhaft agieren, sagt Schneider. „Viele von ihnen haben eine Psychose oder eine Persönlichkeitsstörung.“
Nicht zu verwechseln seien diese Krankheitsbilder mit einer Depression. „Es gibt zwar auch depressive Wahninhalte. Es kann im Laufe einer Depression auch dazu kommen, dass Menschen feindseliger werden“, sagt Schneider. Eine Depression alleine könne aber niemals einen Gewaltausbruch auslösen, wie ihn Alek M. gezeigt haben soll.
Auto rast in Toronto in Menschenmenge
Polizist blieb nach Amokfahrt ruhig
Ein kleiner Lichtblick an diesem traurigen Tag für Toronto war die Festnahme des mutmaßlichen Täters, die auch international auf Anerkennung stieß. Denn auf dem Zeugen-Video im Netz ist auch zu sehen, wie der Polizist ruhig bleibt, wie der mutmaßliche Täter schließlich festgenommen werden kann, ohne einen Schuss. Torontos Polizeichef lobte seinen Officer ausdrücklich. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sprach von einer „heroischen“ Tat.
Nichtsdestotrotz bleibt es für Toronto und Kanada ein „schrecklicher Vorfall“, wie Premierminister Justin Trudeau sagte. Bundesaußenminister Heiko Maas sprach den Überlebenden des „schrecklichen Verbrechens“ sein Beileid aus – ebenso wie die US-Regierung.
Alek M. wurde inzwischen des zehnfachen Mordes angeklagt. Vorstrafen hat er keine. Einfacher zu fassen wird seine Tat dadurch nicht.
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• Anmerkung der Redaktion: Wenn Sie selbst unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Selbstmordgedanken leiden oder wenn Sie jemanden kennen, der daran leidet, können Sie sich bei der Telefonseelsorge helfen lassen. Sie erreichen sie telefonisch unter 0800/111-0-111 und 0800/111-0-222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei, Anrufe werden nicht auf der Telefonrechnung vermerkt.