Freiburg. Hussein K. hat gestanden, in Freiburg eine Studentin vergewaltigt und getötet zu haben. Das Gericht muss nun klären, wie alt er ist.

Zweieinhalb Wochen war Pause, nun wird der Mordprozess gegen Hussein K. in Freiburg am Montag fortgesetzt. Der Prozess wirft ein Licht auf Deutschland in Zeiten der Flüchtlingskrise 2015/16. Er beleuchtet mögliches Behördenversagen im Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen.

Das Verfahren ist nun zusätzlich überschattet von einer Ende Dezember geschehenen Gewalttat, bei der ein angeblich erst 15 Jahre alter afghanischer Flüchtling im rheinland-pfälzischen Kandel seine deutsche Ex-Freundin erstochen haben soll.

Unklar, wann ein Urteil fällt

Die politische Diskussion um die Altersbestimmung junger Flüchtlinge ist damit neu entfacht. Auch der in Freiburg vor der Jugendkammer angeklagte K. will zum Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen Vergewaltigung und Ermordung einer 19-jährigen Studentin minderjährig gewesen sein.

Gerichtsangaben zufolge soll gleich am Montagmorgen ein Zeuge gehört werden, der den nach eigenen Angaben aus Afghanistan stammenden K. und dessen Familie gekannt hat. Später am Tag ist ein Polizeihauptkommissar geladen, der über das Bewegungsprofil und die Auswertung von K.’s Handy sprechen soll. Wann ein Urteil fällt – es war ursprünglich bereits für vergangenen Dezember geplant – ist offen.

Anklage: Mord und besonders schwere Vergewaltigung

Es ist ein ungewöhnliches und überregional beachtetes Verfahren mit widersprüchlichen Aussagen und vielen Facetten. Gutachten widerlegen K.’s Altersangaben. Die Frage des Alters wird von entscheidender Bedeutung für die Höhe des Strafmaßes sein.

An das Bild haben sich Prozessbeteiligte und Zuhörer im Saal IV des Freiburger Landgerichts längst gewöhnt: K. wird streng bewacht in Handschellen und Fußfesseln an seinen Platz geführt. Dort nimmt er, meist ohne äußerliche Regung, an dem Verfahren teil. Zur Last gelegt werden ihm Mord und besonders schwere Vergewaltigung.

Tat löste Diskussion über Flüchtlingspolitik aus

Hussein K. vergewaltigte die junge Frau am Ufer der Dreisam und warf sie in den Fluss.
Hussein K. vergewaltigte die junge Frau am Ufer der Dreisam und warf sie in den Fluss. © imago/Winfried Rothermel | Winfried Rothermel

Er hat zugegeben, im Oktober 2016 in Freiburg die 19-Jährige vergewaltigt, bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt und dann im niedrigen Uferwasser des Flusses Dreisam zurückgelassen zu haben. Die Frau ertrank.

Das Verbrechen löste – noch vor dem Terroranschlag von Anis Amri auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz vor einem Jahr – eine Debatte über die deutsche Flüchtlingspolitik aus. Rund sieben Wochen nach der Tat wurde der Flüchtling festgenommen. Spuren von ihm waren am Tatort gefunden worden.

Im November 2015 ohne Papiere eingereist

Doch die Suche nach Antworten erweist sich als schwierig – und zeitintensiv. Plante das Gericht anfangs rund zwei Monate und 13 Verhandlungstage, sind nun mindestens 24 Prozesstage bis Mitte März 2018 vorgesehen, sagte die Vorsitzende Richterin Kathrin Schenk. Das Gericht will besonders sorgfältig und präzise vorgehen. Das zeigt die Bilanz nach den bisher 15 Verhandlungstagen.

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    Hussein K. war im November 2015 ohne Papiere nach Deutschland gekommen und galt als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling. Er kam in Freiburg zu einer Pflegefamilie. Er sagte, er stamme aus Afghanistan und sei 16 oder 17 Jahre alt. Konkreter wurde er nicht.

    Jugendamt war überfordert

    Von den Behörden überprüft wurden die Angaben nicht, wie Mitarbeiter der beiden beteiligten Jugendämter vor Gericht einräumen mussten. Dafür seien es damals schlicht zu viele Flüchtlinge gewesen. Amtliche Dokumente habe fast keiner von ihnen gehabt.

    Zum Prozessauftakt gab K. zu, beim Alter gelogen zu haben und älter zu sein. Mehr sagt er dazu nicht. Die Staatsanwaltschaft hält Hussein K. für mindestens 22 Jahre alt, wie Oberstaatsanwalt Eckart Berger betont. Entsprechende Gutachten sowie mehrere Zeugenaussagen in dem Prozess untermauern das.

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      Hussein K. wahrscheinlich 22 oder 23 Jahre alt

      Eines der beiden Gutachten hat einen Eckzahn des Angeklagten untersucht und so ein Alter von 25,8 Jahren errechnet. Das Verfahren der Zahnuntersuchung liefert Experten zufolge vergleichsweise verlässliche Zahlen. Ein zweites Gutachten basiert auf Röntgenaufnahmen von Knochen und Gebiss sowie medizinischen Untersuchungen.

      Das Resultat: Das wahrscheinliche Alter von Hussein K. betrage 22 oder 23 Jahre. Das absolute Mindestalter sei 19. Dieses sei zwar sehr unwahrscheinlich, aber auch nicht auszuschließen.

      K.s Vater gibt Geburtsjahr 1984 an

      Zwei Passantinnen am Gedenkort für Lisa L. Der Schock über das Verbrechen wirkt in der als weltoffen geltenden Stadt bis heute nach.
      Zwei Passantinnen am Gedenkort für Lisa L. Der Schock über das Verbrechen wirkt in der als weltoffen geltenden Stadt bis heute nach. © imago/Winfried Rothermel | imago stock&people

      Hinzu kam zuletzt, völlig überraschend, eine Aussage des vermeintlich toten Vaters des Angeklagten. In einem Telefonat mit der Richterin und anderen Prozessbeteiligten sagte er, es gebe ein amtliches Dokument. Dort stehe als Geburtsdatum der 29. Januar 1984. Hussein K. wäre demnach 33 und zur Tatzeit 32 Jahre alt gewesen – und damit etwa doppelt so alt wie von ihm selbst angegeben. Dies trug der im Iran lebende Vater am Telefon vor. Er sagte außerdem, er sei Analphabet.

      Ob dem Gericht das ins Gespräch gebrachte Dokument inzwischen vorliegt, ist nicht bekannt. Zudem gibt es laut Verteidiger Sebastian Glathe Zweifel an der Aussage. Die Angaben des Vaters müssten erst noch geprüft werden. Ob der Mann in Freiburg vor Gericht aussagen wird und ob für den Prozess möglicherweise weitere Altersgutachten eingeholt werden, ist weiter unklar.

      Vom 22. Lebensjahr an gilt Erwachsenenstrafrecht

      Für das Gericht liegen die bisherigen Altersangaben teilweise im rechtlichen Grenzbereich, Gewissheit gibt es nicht. Das Gesetz macht für die juristische Bewertung in Strafprozessen Vorgaben: Ist ein Angeklagter zur Tatzeit 22 Jahre oder älter, gilt stets Erwachsenenstrafrecht. Ist er jünger, wird in der Regel Jugendstrafrecht angewandt. Daran bemisst sich auch das Strafmaß.

      Lebenslange Haft bei Mord, wie sie die Staatsanwaltschaft anstrebt, sowie mögliche anschließende Sicherungsverwahrung ist nur im Erwachsenenstrafrecht möglich.

      Zu zehn Jahren Haft in Griechenland verurteilt

      Wie es nach dem 8. Januar genau weitergeht, ist noch offen und hängt vom weiteren Verlauf des Verfahrens ab. Unter anderem will das Gericht weitere Zeugen hören – darunter auch Polizisten aus Griechenland.

      Wegen einer schweren Gewalttat an einer jungen Frau im Jahr 2013 war Hussein K. dort zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, im Oktober 2015 aber vorzeitig entlassen worden. Danach tauchte er unter und kam nach Deutschland. Zur Tat in Griechenland hat er sich hier bislang nicht geäußert. (dpa)