Portland/Göttingen. Forscher reparieren erstmals einen Gendefekt an Embryonen. Das macht Hoffnung im Kampf gegen Erbkrankheiten– und sorgt für Kritik.

Erstmals haben Forscher bei menschlichen Embryonen mit der Genschere Crispr-Cas9 einen Erbgutdefekt erfolgreich behoben. Das Team aus den USA, China und Südkorea korrigierte eine Genveränderung, die zu Herzmuskelverdickung führt – einer Hauptursache für den plötzlichen Herztod.

Andere Erbgutteile wurden dadurch nicht geschädigt, wie die Forscher im Magazin „Nature“ betonen. Mit dem Verfahren könne man eines Tages Tausende Erbkrankheiten verhindern, schreibt das Team um den Biologen Shoukhrat Mitalipov von der Oregon Health and Science University in Portland.

Manipulation an Embryonen in Deutschland verboten

Bei Mitgliedern des Deutschen Ethikrats stieß die Arbeit auf ein geteiltes Echo. Der Vorsitzende Peter Dabrock spricht von „unseriösen Heilsversprechungen“. Dagegen sagt Medizinethikerin Claudia Wiesemann, die Studie zeige, dass die Technik unter Umständen praktikabel sein könne. Ob dies wünschenswert sei, hänge vom Einzelfall ab.

Genmanipulationen an menschlichen Embryonen sind äußerst umstritten. In Deutschland sind sie verboten. Bisher wurden erst drei Studien aus China veröffentlicht, in denen Forscher versucht hatten, Erbgut zu reparieren – allerdings mit gemischten Resultaten. Berichte über die neue, erfolgreiche Studie aus den USA waren schon vor Tagen an die Öffentlichkeit gelangt, doch erst jetzt veröffentlichten die Forscher die Details.

Mutation kann Verdickung des Herzmuskels auslösen

In der Studie geht es um eine Genmutation, die die hypertrophe Kardiomyopathie (HCM) auslösen kann. Die Herzmuskelverdickung, die einen von 500 Menschen betrifft, kann die Pumpleistung verringern und zum plötzlichen Herztod führen. Ursache ist oft eine Mutation im Gen MYBPC3, die – wenn ein Elternteil Träger ist – mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit an den Nachwuchs vererbt wird.

Die Forscher injizierten Spermien eines Betroffenen in eine Eizelle zusammen mit der Genschere Crispr-Cas9, die den Erbgutdoppelstrang an der mutierten Stelle aufschneiden sollte. Tatsächlich wurde das Erbgut aller 58 getesteten Embryonen am vorgesehenen Ort aufgetrennt. Bei der Reparatur orientierte sich die Zelle überraschenderweise häufig an der korrekten Genkopie, die von der Eizelle stammt.

„Verfahren muss optimiert werden“

Knapp drei Viertel der Embryonen (72,4 Prozent) trugen den Angaben zufolge die Mutation später nicht mehr. Mit dieser Rate würde bei einem betroffenen Elternteil die Wahrscheinlichkeit für Nachwuchs ohne die Mutation von 50 auf gut 72 Prozent steigen. Allerdings hatten 16 der 58 Embryonen die korrekte DNA-Sequenz nicht.

„Die Verfahren zur Genom-Editierung müssen optimiert werden, bevor klinische Anwendungen erwogen werden“, schreibt das Team. Eine Sorge bei Crispr-Cas9 sind auch mögliche Auswirkungen auf andere Teile des Erbguts. Doch wie die Forscher berichten, fanden sie in keiner Zelle sichtbare DNA-Veränderungen – abgesehen von der Korrektur. „Jede spätere Generation würde die Reparatur tragen, denn wir haben die verursachende Variante aus der Linie der Familie entfernt“, sagt Studienleiter Mitalipov.

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Klinische Anwendung rückt ein Stück näher

Generell entwickelten sich die Embryonen bis zum Blastozysten-Stadium, also bis etwa zum fünften Tag nach der Befruchtung, normal. „Das deutet darauf hin, dass das Verfahren die Entwicklung nicht beeinträchtigt“, schreiben Nerges Winblad und Fredrik Lanner vom Stockholmer Karolinska-Institut in einem „Nature“-Kommentar. „Dennoch gibt es eine klare Notwendigkeit, sicherzustellen, dass solche Strategien keine anderen schädigenden Wirkungen auf den sich entwickelnden Embryo und sein Genom haben.“

Gleichwohl rücke die klinische Anwendung ein Stück näher. Die Forscher selbst thematisieren dies: Mit zielgerichteter Genkorrektur könne man künftig einen substanziellen Teil menschlicher Embryonen mit Mutationen behandeln, schließen sie.

„Unverantwortliche Versuche mit menschlichen Leben“

„Wer hier nicht nahezu hundertprozentige Sicherheit garantieren kann, führt unverantwortliche Versuche mit menschlichem Leben durch“, mahnt Dabrock, der auch Theologe an der Universität Erlangen-Nürnberg ist. Die Studie zeige, wie sehr sich das Klima innerhalb der Wissenschaft gewandelt habe.

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    „Gab es nach der ersten chinesischen Studie vor zwei Jahren noch weltweite Empörung und einen nahezu einhelligen Konsens, wenigstens auf die Implantation genmanipulierter Embryonen verzichten zu wollen, scheint man heute nur noch um den Zeitraum zu streiten, wann es denn so weit ist.“ Die Gesellschaft müsse sich fragen, ob sie das zulassen wolle, betont Dabrock. „Viel Zeit bleibt weder für gesellschaftliche Diskurse noch politisches Handeln, bis ehrgeizige Wissenschaftler unverantwortliche Fakten gesetzt haben.“

    Medizinethikerin: Nicht grundsätzlich verwerflich

    Für die Medizinethikerin Claudia Wiesemann von der Universitätsmedizin Göttingen zeigt die Studie, dass das Verfahren grundsätzlich beim Menschen einsetzbar sei. „Die Frage, ob die Technik wünschenswert ist, kann man nicht pauschal beantworten. Das hängt vom Einzelfall ab.“ Grundsätzlich verwerflich findet sie die Forschung nicht: „Wer das Verfahren mit dem Argument möglicher Folgen kritisiert, muss zumindest begrüßen, dass man diese Folgen untersucht“, sagt sie. Verbote auf Vermutungen zu stützen, sei unseriös. (dpa)