Duisburg . Feuerwehrmann pocht auf Schadensersatz. Die Angehörigen der Opfer warten noch auf den Prozess.

Ralf Strutz ist tief getroffen: Ein Feuerwehrmann bekommt kein Schmerzensgeld, obwohl er durch die tragischen Ereignisse der Duisburger Loveparade psychisch krank geworden ist. Es dauerte am Dienstag nur wenige Minuten, bis Stefan Ulrich, Vorsitzender der 8. Zivilkammer am Landgericht Duisburg, ihm die Rechtslage klarmachte. Denn was der 53-Jährige am 24. Juli 2010 erlebt habe, gehöre zu seinem Lebens- und Berufsrisiko. „Wenn wir das finanziell in irgendeiner Form stemmen können, werden wir bis zum Europäischen Gerichtshof gehen“, sagt der Feuerwehrmann nur.

Ihm ist die Enttäuschung anzumerken. Dieser Gerichtstermin war sehnlichst erwartet worden, auch von den vielen Angehörigen der Opfer der Loveparade. Während sie noch darauf warten, dass die Schuldfrage strafrechtlich geklärt wird, sollte der Zivilprozess schon einmal in die richtige Richtung weisen – endlich sollte das, was in Duisburg passiert ist, vor Gericht verhandelt werden. 21 Tote, Hunderte Verletzte an der Rampe des Geländes am Duisburger Hauptbahnhof. Menschen, die in eine Massenpanik geraten waren, obwohl sie nur feiern wollten. Der Feuerwehrmann, mittlerweile pensioniert, glaubt, dass das Unglück programmiert war. Er sagt: „Kann denn jeder eine Veranstaltung organisieren, bei der es zu Toten kommen muss?“, sagte er bewegt.

Ralf Strutz, 25 Jahre im Beruf, hatte die Klage erst 2014 eingereicht. 90.000 Euro fordert er – und die Folgekosten. Fast fünf Monate nach der Loveparade hatte sein Arzt ihm eine posttraumatische Belastungsstörung attestiert. „Ich bin durch die Hölle gegangen“, sagt Strutz. Nicht mal Alltagsdinge könne er erledigen: „Haushaltsführung, Finanzamt – das geht nicht mehr.“ Dazu der Kampf um die Anerkennung seiner Erkrankung. Selbst sein Arbeitgeber, die Stadt Duisburg, habe ihm vorgeworfen zu simulieren.

Richter Ulrich nannte Beispiele, wie Helfer in schreckliche Situationen geraten könnten, etwa die Polizisten, die zu Unfällen gerufen werden, bei denen tote Menschen in den Wracks liegen: „Da gibt es nichts, weil die Beamten nur mittelbar betroffen sind. Anders, wenn ein Polizist im Einsatz niedergeschlagen wird: Da ist er unmittelbar geschädigt.“ Ulrich wählte auch hier Zurückhaltung. Klar sei, dass die posttraumatische Belastungsstörung oft spät festgestellt werde: „Es ist typisch, dass es erst nach Monaten Klick macht und die Seele auf der Strecke bleibt.“ Geld bekämen berufliche Helfer nur versorgungsrechtlich durch den Arbeitgeber. Am 5. Oktober will das Gericht das Urteil sprechen, das nach den Worten des Richters leicht vorherzusagen ist.

Knapp fünf Jahre nach der Katastrophe sind weiter Fragen offen. Ankläger und Gutachter stehen in der Kritik. Das Gericht sagt, es arbeite schnell. „Manchmal“, sagt Anwalt Julius Reiter, „bekomme ich Zweifel, ob das Verfahren das alles leisten kann, was von ihm erwartet wird.“ Das mag sein – derzeit weiß aber auch er als Anwalt von rund 100 Opfern der Tragödie noch nicht einmal, wann der Prozess überhaupt beginnen wird. Frühjahr 2016? Seit mehr als einem Jahr prüft das Landgericht Duisburg, ob es die Anklage der Staatsanwaltschaft gegen sechs Beschuldigte der Stadt und vier des Veranstalters überhaupt zugelassen wird. Immer wieder tauchen Fragen auf, gerade erst noch ein weiteres Gutachten. Ganze dreieinhalb Jahre haben die Ankläger der Staatsanwaltschaft gebraucht, um ihre Ermittlungen abzuschließen. Immerhin war schon die Hauptakte 37.000 Seiten stark.

Warum sitzt kein Polizist auf der Anklagebank?

Nicht nur Opferanwalt Reiter fragt, warum kein Polizist auf der Anklagebank sitzt. Das wollen zum Beispiel auch die Anwälte der Beschuldigten wissen. Fest steht, dass der frühere Oberbürgermeister Adolf Sauerland und Veranstalter Rainer Schaller nicht mehr belangt werden können. „Sie zählen zu jener Gruppe, gegen die die Staatsanwaltschaft nach den Ereignissen bei der Loveparade 2010 keine Ermittlungen eingeleitet hatte“, erklärte Anna Christiana Weiler, Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft.

Um die Höchstverjährungsfrist für die Beschuldigten nicht verstreichen zu lassen, muss 2020 ein Urteil in erster Instanz vorliegen. Die Angehörigen der Opfer müssen wohl bis dahin auf Geldleistungen warten. Nach einer Sofortmaßnahme, bei der die Betroffenen im Durchschnitt nur einige Tausend Euro erhielten, ist kein Geld mehr geflossen.