Die Eltern der erschossenen Reeva Steenkamp glauben die Version der Todesnacht nicht. Südafrikas Medien nennen das Urteil zu Oscar Pistorius eine „Schande“.

Pretoria. Nach der Verurteilung von Oscar Pistorius hat der Vater der getöteten Reeva Steenkamp die Version des 27-jährigen Sprintstars zum Ablauf der Todesnacht in Frage gestellt. „Da fehlt noch immer etwas“, sagte Barry Steenkamp dem britischen Sender ITV News. Zu der gesamten Geschichte, die schließlich dazu geführt habe, dass seine Tochter von Pistorius erschossen worden sei, gehöre „noch mehr“, sagte der Vater.

Reevas Mutter June sagte dem Sender, nachdem Pistorius vom Vorwurf des Mordes und des Totschlags seiner Freundin entlastet worden sei, sei die Familie „geschockt“ und „enttäuscht“ gewesen. Es zerreiße ihr das Herz, denn alles, was sie wolle, sei „die Wahrheit“, sagte sie. Pistorius hatte seine Freundin im Februar 2013 durch die geschlossene Toilettentür erschossen, weil er sie nach eigener Darstellung für einen Einbrecher hielt. Die Richterin Thokozile Masipa sprach ihn am Freitag der fahrlässigen Tötung schuldig.

Schon kurz nach der Urteilsverkündung hatte June Steenkamp im Gespräch mit dem Sender NBC News die Gerichtsentscheidung als „nicht richtig“ bezeichnet. Ihre Tochter sei auf „grausame, schmerzvolle und schreckliche“ Weise getötet worden und sie könne nicht glauben, dass das Gericht der Meinung sei, dies sei ein Unfall gewesen. Das Strafmaß für den an den Unterschenkeln amputierten Sportler soll in einigen Wochen verkündet werden.

Das milde Urteil hat in Südafrika ungläubige und wütende Reaktionen ausgelöst. Fast alle großen Zeitungen des Landes machten am Sonnabend auf ihren Titelseiten deutlich, dass sie auf eine härtere Entscheidung gehofft hatten.

Die meisten Blätter veröffentlichten dazu wenig vorteilhafte Fotos des 27-Jährigen, auf denen er teilweise weinend und mit laufender Nase zu sehen ist. So schrieb die Zeitung „New Age“ mit ironischem Unterton von „Tränen der Erleichterung“, während die „Pretoria News“ in großen Lettern „Oscar's great escape“ (auf Deutsch etwa: Oscars großes Entkommen) titelte. Der „Citizen“ hatte schon am Freitag gefordert: „Sperrt ihn ein!“ und setzte am Sonnabend mit dem Wort „Schande“ nach.

Wie viele Südafrikaner zeigte die Zeitung „Beeld“ vor allem Solidarität mit der Familie des Opfers: „Reevas Eltern können es nicht glauben“, schrieb das auf Afrikaans erscheinende Blatt.

Richterin Masipa glaubte seiner Version, wonach er im Haus einen Einbrecher vermutete und in Panik schoss. Auch Rechtsexperten waren überrascht von dieser Entscheidung. Der Strafrechtler Lovell Fernandez aus Kapstadt sprach von einem „umstrittenen Urteil, das bei der Bevölkerung großen Ärger ausgelöst hat“. Viele im Land sind überzeugt, dass der Sportler nur deshalb einem härteren Urteil entgangen ist, weil er berühmt und reich ist.

Pistorius bleibt bis zur Verkündung des Strafmaßes, die nach dem 13. Oktober geplant ist, gegen Kaution in Freiheit. Im schlimmsten Fall erwartet den unterschenkelamputierten Sprinter eine Strafe von 15 Jahren Gefängnis, aber auch eine Bewährungsstrafe ist möglich.