Einst Luxus, jetzt Schrott. Die Bergungsaktion ist die größte der Geschichte, 1,6 Milliarden Euro teuer, und befreit die kleine Ferieninsel endgültig von einem traurigen Mahnmal.

Isola del Giglio. Als das verrostete Antlitz der „Costa Concordia“ sich langsam vorwärtsschob, gezogen von zwei gigantischen Schleppern, und den Bug gen Osten in die gleißende Morgensonne drehte, rief ein Mann von der Hafenmole aus: „Und sie bewegt sich doch!“ Halb Jubel, halb Seufzer. Die Sirenen aller Schiffe im Hafen heulten, Menschen auf der Hafenmole jubelten, Champagner-Korken knallten. Die theatralische Anspielung auf Galileis Satz galt dem „historischen Tag“, wie der Bürgermeister der Insel Giglio, Sergio Ortelli, sagte.

Zwei Wasserfontänen signalisierten den Menschen am Ufer, dass die „Concordia“ nun zum Auslaufen bereit war – wie zu einer Jungfernfahrt, obwohl die letzte Reise des einst so stolzen Ozeanriesen eigentlich ein Trauerzug ist. Die „Costa Concordia“, die am 13. Januar 2012 vor der Insel gekentert war, hat nun ihre Fahrt in den Hafen von Genua angetreten, der allerdings ihr Friedhof sein wird. In rund 20-monatiger Arbeit soll sie dort total abgewrackt werden.

Die Bergungsaktion ist die größte der Geschichte, 1,6 Milliarden Euro teuer, und befreit die kleine Ferieninsel endgültig von einem traurigen Mahnmal, für das sie weltweit berühmt wurde. Sie soll zeigen, dass „Italien in der Lage ist, eine Tragödie in eine vorbildhafte Aktion zu verwandeln, ein Unglück meisterhaft zu bewältigen“, sagte Premier Matteo Renzis rechte Hand, Staatssekretär Graziano Delrio, am Hafen von Giglio.

Die Tragödie, die 32 Menschen in den Tod gerissen hatte, darunter auch zwölf Deutsche, war für viele auch zum Sinnbild für menschliches Versagen, Leichtsinn und Feigheit eines Italieners geworden, des ehemaligen „Concordia“-Kommandanten Francesco Schettino.

Ausgerechnet der feiert nur wenige Hundert Kilometer südlich, auf der Insel Ischia im Golf von Neapel, in diesen Tagen tüchtig. Italienische Medien hatten am Mittwochmorgen Fotos gezeigt: Francesco Schettino, der im „Concordia“-Prozess im toskanischen Grosseto wegen vielfachen Totschlags vor Gericht steht, bei einer Party, braun gebrannt, in weißem Hemd und eingerahmt von eleganten Signoras – ganz wie in alten Zeiten auf der Brücke seiner Kreuzfahrtschiffe. Vor Reportern hatte er sich zuversichtlich gegeben, die Bergungsaktion werde sicher reibungslos verlaufen.

Das klang wie Hohn: Am Unglücksabend war es Schettino gewesen, der einen „inchino“, eine Verneigung, wie man das nahe Vorbeifahren an einem Hafen nennt, bei seinen navigierenden Offizieren in Auftrag gegeben hatte. Währenddessen feierte er in der Offiziersloge mit seiner Geliebten und war – als das Schiff sank – lange vor dem letzten der 3216 Passagiere und den über 1000 Besatzungsmitgliedern von Bord gegangen. „Er soll verrecken!“, entfuhr es der Signora Giuliana aus Rom an der Hafenmole. Sie ist „ihrer“ Insel treu geblieben, auch als das „Concordia“-Wrack vor der Insel lag. „Er hat all die Menschen auf dem Gewissen, die damals qualvoll ertrunken sind.“

Hunderte Schaulustige, mindestens genauso viele Reporter aus aller Welt, Matrosen, Arbeiter, Feuerwehrleute, Carabinieri, Techniker, Ingenieure und Wissenschaftler, aber auch die Einwohner der Isola del Giglio feierten auf der Mole mit, weinten und lachten und applaudierten der Szene, die sich da vor ihnen auf dem azurblauen, glitzernden Mittelmeer präsentierte. Das Wrack wird mit 30 luftgefüllten Stahltanks, sogenannten „Sponsons“, wie von einem Schwimmreifen gestützt. Es erschien nun, als es behutsam die ersten Meter Richtung auf die offene See vorwärtsglitt, schöner und war auch schneller als geplant. Mittags gegen zwölf Uhr hatte es die ersten sechs Seemeilen hinter sich gebracht.

Hoch oben auf dem Schiff befindet sich eine improvisierte Kommandobrücke, von der aus der südafrikanische Projektleiter Nick Sloane gemeinsam mit elf weiteren Technikern das Schiff nach Genua „navigieren“ wird, vorbei an den Insel Montecristo, Pianosa und Elba. 4800 Signale gehen pro Sekunde über Bildschirme, die den Experten zeigen sollen, dass rund um die „Concordia“ alles glatt verläuft.

Auf die Hafenmole kletterten gegen Mittag ein Dutzend Männer in schmutzigen Uniformen, verschwitzt, aber glücklich lachend. Es waren die Profi-Taucher, ein internationales Team, die die Rettungsaktion erst möglich gemacht hatten. Sie ließen die Korken von ihren Champagnerflaschen knallen, feierten ausgelassen, wie Formel-eins-Fahrer nach einem Sieg. Die Taucher hatten in monatelanger Arbeit und in bis zu 75 Metern Tiefe Stahlketten am Kiel der „Concordia“ befestigt, die dem Festzurren der Schwimmtanks gedient hatten.

„Euch allen einen herzlichen Dank“ war die treffende Antwort, die Inselbewohner Argentino Pini auf eine Flagge am Mast seiner kleinen Schaluppe gemalt hatte, mit der er kurz nach der „Concordia“-Abfahrt aus dem Hafen preschte. Und Bürgermeister Ortelli bekannte am Hafen: „Plötzlich ist da eine große Leere. Als ob eine Tochter heiratet und das Elternhaus verlässt.“