Junge Frau nach 18 Jahren in Horror-Versteck entdeckt. Jaycee Lee Dugard bekam zwei Kinder von ihrem Peiniger. Der Mann war ein religiöser Fanatiker.

Berlin/San Francisco. Carl Probyn standen die Tränen in den Augen. "Es ist ein Wunder, sie lebend zurückzubekommen", sagte der Stiefvater von Jaycee Lee Dugard, die nach einem unvorstellbaren, 18 Jahre andauernden Leiden wieder mit ihrer Familie vereint ist. "Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben", erklärte Probyn mit belegter Stimme.

Ein religiöser Fanatiker und dessen Ehefrau hatten sie 1991 im Alter von elf Jahren im kalifornischen South Lake Tahoe entführt, eingesperrt und immer wieder missbraucht. Mit 14 bekam der Teenager seine erste Tochter, vier Jahre später die zweite. Mit den heute elf und 15 Jahre alten Mädchen musste Jaycee abgeschnitten von der Welt in einer Ansammlung von Hütten im Hinterhof ihres Peinigers Phillip Garrido leben. Der Fall erinnert stark an das Schicksal der Österreicherin Natascha Kampusch.

Nie hatte eine einzige Spur von ihrem Heimatort zu dem 270 Kilometer entfernten Hinterhof in Antioch bei San Francisco geführt. Dort war Jaycee in einem schalldichten Verschlag eingesperrt, der nur von außen zu öffnen war. Zu dem mit Planen verhangenen Bereich gehörten mehrere Zelte, eine Dusche und ein Plumpsklo. Das Areal war nicht einzusehen.

Offenbar wahllos hatten der heute 58-jährige Phillip Garrido und seine Frau Nancy (54) im Juni 1991 nach einem Opfer gesucht. Das Mädchen wartete damals auf den Schulbus, als es von dem Paar in das Auto gezerrt wurde. Sein Stiefvater verfolgte den Wagen noch auf dem Fahrrad - und geriet später selbst unter Verdacht. Die Ehe mit Jaycees Mutter zerbrach schließlich an den Vorwürfen. Suchaktionen der Nachbarn und ein Bericht bei "America's Most Wanted", der US-Version von "Aktenzeichen XY ... ungelöst", blieben ohne Ergebnis.

Jaycee Lee Dugard und ihren Töchtern gehe es gesundheitlich gut, so die Behörden. "Aber seit 18 Jahren in einem Hinterhof zu leben, hinterlässt seine Spuren", sagte Polizeisprecher Fred Kollar. Die drei hatten während ihrer Gefangenschaft nie Zugang zu ärztlicher Versorgung oder einer Bildungseinrichtung. Nachbarn wollen aber die beiden blonden Mädchen gelegentlich vor dem Haus gesehen haben. Garrido soll sie auch zu Geschäftsterminen mitgenommen haben.

Ein Blick in das Leben des unter lebenslanger Bewährung stehenden Garrido zeigt die Welt eines religiösen Fanatikers. In seinen wirren Blog-Einträgen im Internet behauptet er, "in der Sprache der Engel zu sprechen", um einen Weckruf zu tun, "der zur Erlösung der Welt führen wird". Er überlegte offenbar, seine Druckerei aufzugeben und als Prediger aufzutreten. Im vergangenen Jahr hatte er seine Gemeinde "Gottes Wille" als Firma eintragen lassen. Sein älterer Bruder Ron sagte in einem Zeitungsinterview: "Ich kenne meinen Bruder, und ich kann mir vorstellen, dass er es getan hat. Er ist ein Spinner." Seine Frau Nancy sei wie ein "Roboter" unter der Kontrolle ihres Ehemanns gewesen.

Bereits 1971 wurde Garrido wegen Entführung und Vergewaltigung einer Frau verurteilt. Im Gefängnis lernte er seine Frau kennen. Nach der Haftentlassung 1988 zog das Paar in das Haus von Garridos Mutter in Antioch. Er galt als "erfolgreicher Bewährungsfall"; auch bei einer routinemäßigen Hausdurchsuchung fiel den Beamten nichts auf.

Doch ausgerechnet Garridos Fanatismus brachte die Fassade nach 18 Jahren schließlich zum Einsturz. Am Dienstag wollte er in Begleitung der zwei Mädchen auf dem Campus der Universität Berkeley religiöse Flugblätter verteilen, was Verdacht erregte. Eine Überprüfung zeigte seine Vorstrafen, sein Bewährungshelfer wurde beim Stichwort "kleine Mädchen" hellhörig. Zu einem Gesprächstermin am Mittwoch brachte er seine Ehefrau, die Töchter und Jaycee mit, die er als "Alissa" vorstellte. Im Laufe der Unterredung habe er dann die Entführung zugegeben.

Aus seiner Gefängniszelle gab Garrido ein Telefoninterview, in dem er wiederholt auf mysteriöse Dokumente verwies, die er dem FBI übergeben habe. Sollten diese an die Öffentlichkeit gelangen, werde sich der Fall als "starke, herzerwärmende Geschichte" herausstellen.