Der norwegische Attentäter Anders Behring Breivik ist laut einem psychiatrischen Gutachten unzurechnungsfähig. Der norwegische Massenmörder fühlt sich von dem Gutachten „gekränkt“. Angehörige der Opfer und viele Politiker glauben an einen Trick Breiviks.

Oslo. Laut Gutachten soll der Massenmörder Anders Behring Breivik in seiner eignen Wahnwelt leben und somit unzurechnungsfähig sein. Das 243 Seiten lange Gutachten wurde von zwei Psychiatern verfasst, die insgesamt 36 Stunden lang Gespräche mit Breivik geführt haben. Ihr Bericht wird nun von einem Gremium der norwegischen Vereinigung der Gerichtsmediziner geprüft. Das Gutachten widerspricht früheren Aussagen des Vorsitzenden dieses Gremiums, Dr. Tarjei Rygnestad. Er hatte der Nachrichtenagentur AP noch im Juli gesagt, dass es angesichts der sorgfältigen Planung der Anschläge unwahrscheinlich sei, dass Breivik für unzurechnungsfähig erklärt werden würde. Am Dienstag erklärte er, seine damalige Aussage habe auf Informationen aus zweiter Hand beruht, der Geisteszustand einer Person könne nur durch genaue Analyse bestimmt werden.

„Der Schluss der forensischen Experten ist, dass Anders Behring Breivik unzurechnungsfähig war“, sagte Staatsanwalt Svein Holden hingegen am Dienstag. In dem Bericht wird Breivik als Mann beschrieben, der sich selbst in einer Wahnwelt befindet, in der alle Gedanken und Taten von diesen Wahnvorstellungen beherrscht werden„. Breivik habe demnach während einer langen Zeit eine paranoide Schizophrenie entwickelt, die ihn zu der Person gemacht habe, die er heute sei.

Der norwegische Massenmörder fühlt sich „gekränkt“, weil er für unzurechnungsfähig erklärt wurde. Der 32-Jährige habe mit einer entsprechenden Erklärung auf die Veröffentlichung eines Gutachtens reagiert, sagte ein Polizeisprecher am Dienstagabend dem Rundfunksender NRK. Der rechtsradikale Islamhasser hatte am 22. Juli bei zwei Anschlägen 77 Menschen getötet.

Breivik habe nicht akzeptieren wollen, dass er wegen einer Psychose zum Tatzeitpunkt und danach als unzurechnungsfähig eingestuft worden sei, sagte der Polizeianwalt Christian Hatlo weiter. Nach dem psychiatrischen Gutachten gilt als wahrscheinlich, dass der Attentäter zum Abschluss des Gerichtsprozesses im kommenden Frühjahr auf Dauer in eine geschlossene Psychiatrie eingewiesen wird.

Breivik begründet sein Verbrechen mit Hass auf Zuwanderer aus islamischen Ländern und auf die norwegischen Befürworter einer multikulturellen Gesellschaft. Mehrere Hinterbliebene seiner Opfer sowie Überlebende der Anschläge äußerten sich in Osloer Medien enttäuscht, weil Breivik wahrscheinlich strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden kann. Sie verwiesen darauf, dass er seine Tat jahrelang systematisch vorbereitet habe.

Laut norwegischem Recht ist eine Psychose Voraussetzung dafür, dass die Verteidigung auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren kann. Konkret würde das bedeuten, dass der Angeklagte den Bezug zur Realität in einem solchen Ausmaß verloren hat, dass er seine eigenen Taten nicht mehr kontrollieren kann.

Breivik hat den Doppelanschlag von Oslo und Utöya eingeräumt, hält sich jedoch nicht im juristischen Sinne für schuldig. Europa befindet sich seiner Auffassung nach im Kriegszustand, und er habe das Massaker verübt, um Norwegen vor einer Übernahme durch muslimische Einwanderer zu schützen, hatte er einst gesagt. Breiviks Anwalt Geir Lippestad hatte noch vor wenigen Monaten berichtet, sein Mandant habe keinerlei Reue angesichts seiner Taten gezeigt.

Anders Behring Breivik hatte sich selbst als Kommandeur einer norwegischen Widerstandsgruppe bezeichnet. Den Ermittlern zufolge fanden sich aber keine Hinweise auf eine solche Bewegung. Ihrer Ansicht nach habe Breivik höchstwahrscheinlich allein die Taten geplant und ausgeführt.

Führt Breivik die Leute hinters Licht?

Auf ein geteiltes Echo ist in Norwegen das psychiatrische Rechtsgutachten gestoßen, das den Massenmörder Anders Behring Breivik für unzurechnungsfähig erklärt. Während die Medien am Mittwoch ganz überwiegend zu Vertrauen in die heimischen Rechtsinstanzen aufforderten und Verständnis äußerten, verlangten Politiker in Oslo vereinzelt eine neue Untersuchung.

Hinterbliebene der 77 Opfer und Überlebende von Breiviks Anschlägen am 22. Juli äußerten sich in den Medien teils kritisch und enttäuscht, dass der rechtsradikale Islamhasser trotz jahrelanger, systematischer Vorbereitung auf sein Verbrechen für unzurechnungsfähig erklärt worden ist.

„Das ist eine Provokation. Er hat sie alle hinters Licht geführt und zu einer falschen Diagnose gebracht„, sagte der 32-jährige Khalid Haji Ahmed in der Zeitung „Aftenposten“. Er hatte das von Breivik verübte Massaker auf der Insel Utøya überlebt und fand danach die Leiche seines von Breivik erschossenen Bruders Isma.

Bei einer vom TV-Sender NRK in Auftrag gegebenen Umfrage (mit tausend Befragten) erklärten 48 Prozent, dass sie die Einstufung Breiviks als unzurechnungsfähig für falsch halten. 36 Prozent meinten, es entspreche ihrer Rechtsauffassung, dass Breivik im Gefolge dieser Diagnose nur als Patient in eine geschlossene Psychiatrie eingewiesen und nicht als Mörder zu Haft verurteilt werden könne.