Erster öffentlicher Auftritt von Massenmörder Anders Breivik: Er wollte ihn für eine bizarre Ansprache nutzen. Der Richter bremste ihn aus.

Kopenhagen/Oslo. Sie versuchten, den Terror zu verdrängen und ihre Gefühle für denjenigen Menschen in Worte zufassen, der ihnen unsägliches Leid zugefügt hatte. Als Anders Breivik gerade im Osloer Gerichtssal damit gescheitert war, in einem grotesken Anlauf die Hinterbliebenen seiner 77 Opfer mit einer Ansprache zu adressieren, standen die zwei Mädchen im Eingang und sprachen über ihren Peiniger. Beide waren dem Massaker auf der Insel Utøya nur knapp entkommen. „Es ekelt mich an, diesen Menschen hier wieder zu sehen. Aber vielleicht hilft es mir, die anderen Bilder in meinem Inneren wegzubekommen. Die sind viel schlimmer“, sagte eine junge Norwegerin, die anonym blieb, im TV-Sender NRK.

Ihre Freundin meinte: „Ich bin gekommen, weil ich selbst erfahren musste, dass er keine Macht mehr hat.“ Die mörderische Macht Breiviks hatten beide am 22. Juli beim sozialdemokratischen Jugendlager auf Utøya nur durch Glück und nach unsagbaren Leiden überlebt. Ihre jungen und von viel zu tiefem Ernst gezeichneten Gesichter drückten das auf erschütternde Weise aus. Im Hintergrund waren viele andere TV-Kameras bei der Bilderjagd vom ersten öffentlichen Erscheinen des Täters nach vier Monaten zu sehen.

Die Medien hatten für den ersten öffentlichen Auftritt Breiviks einen enormen Ansturm prognostiziert. Am Ende kamen zwar viele Angehörige der Opfer in den Gerichtssaal. Doch es waren vor allem die Medienvertreter, die sich in dem Justizgebäude tummelten. Der Auftrieb der Pressevertreter wurde von Hinterbliebenen als "Zirkus Breivik" angeprangert. Arne Okkenhaug, der seinen Sohn auf Utøya verloren hat, konnte nicht verstehen, dass zum Haftprüfungstermin mit dem Mörder erstmals die Öffentlichkeit zugelassen wurde: „Für uns ist es eine enorme neue Belastung, dass er hier ein Forum bekommt, seine Gesichtspunkte darzulegen. Man kennt sie doch längst durch das, was er publiziert hat“, sagte Okkenhaug der Nachrichtenagentur NTB.

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Trotzdem kamen viele der seit vier Monaten trauernden Angehörigen und Überlebende zur Verhandlung. Breivik ist erpicht darauf, eine möglichst breite Öffentlichkeit zu erreichen. Norwegens Justiz ist fest entschlossen, im Zeichen des beispiellosen Verbrechens, dieses Anliegen zu unterbinden. Breivik bat am Montag um "fünf Minuten" Redezeit, die er an die im Gerichtssaal versammelten Hinterbliebenen adressieren wolle. Richter Terkjel Nesheim bremse ihn aus, ließ den rechtsradikalen Islamhasser gar nicht erst zu Wort kommen.

Mehr als ein, zwei verwirrte und verworrene Sätze gegen den Richter als angeblichem Knecht des „Multikulturalismus“ und zur eigenen Person als „Ritter und Kommandant bei der norwegischen Widerstandsbewegung“ waren nicht drin. Andererseits zeigten auch die Entscheidungen des Haftrichters das jederzeit spürbare Bestreben, gegen Breivik – so ungeheuerlich seine Verbrechen auch sind – nur mit streng rechtsstaatlichen Mitteln vorzugehen: Die vier Monate währende Isolierung in der Haftanstalt Ila wird in den nächsten Wochen schrittweise weiter gelockert. Und dazu gehören eben auch öffentliche Verhandlungen.

Trotz des enormen Interesses scheinen sich viele Norweger gegen die Versuchung zu wehren, Breiviks Prozess und dessen derzeitige Vorbereitung wie eine "Zirkusattraktion" zu verfolgen. Der Mensch, der das Land in seinen Grundfesten erschütterte, soll keinerlei Bühne mehr erhalten, seine wirren Theorien weiter publik zu machen. Wohl auch deshalb blieb der von den Medien angekündigte Massenansturm auf den ersten öffentlichen Breivik-Auftritt blieb aus. Reporter schilderten die Stimmung im Gerichtssaal einhellig als ruhig. „Es war eine würdige Verhandlung und kein Zirkus“, meinte Harald Stanghelle von der Zeitung „Aftenposten“ in der eigenen Online-Ausgabe.

Dass der Mörder während der 45-minütigen Verhandlung immer mal wieder lächelte, begründete sein Anwalt Geir Lippestad anschließend als für Breivik „typischen Ausdruck von Nervosität“. Ab kommenden Frühjahr wird dann die eigentliche Gerichtsverhandlung mit einem Urteil vor den Sommerferien erwartet.

Gerichtssaal wird umgebaut

Das Osloer Amtsgericht wird für den Prozess gegen den Massenmörder Anders Behring Breivik umgebaut. Ein neuer Gerichtssaal soll mehr als 200 Zuhörern Platz bieten. Wegen des weltweit starken Medieninteresses werden im Gericht selbst 300 Arbeitsplätze für Journalisten sowie in einem benachbarten Hotel 400 weitere bereitgestellt. Wie Gerichts-Chef Geir Engebretsen nach der Verlängerung der Untersuchungshaft für Breivik am Montag mitteilte, soll das Hauptverfahren nach Ostern am 16. April eröffnet werden und wahrscheinlich zehn Wochen bis zum Urteil dauern.