Erst das verheerende Erdbeben, dann der Tsunami - und schließlich die Atomkatastrophe. Seit vier Wochen blickt die Welt mit Entsetzen auf Japan.

Tokio. Die Aufräumarbeiten sind in vollem Gange. Bagger schaufeln Trümmer von den Straßen, Handwerker bauen provisorische Häuser, Kräne zerren Autos aus den Resten einstiger Wohngebäude. In den Notunterkünften bereiten Helfer und unzählige Freiwillige aus dem ganzen Land Suppen für die Überlebenden zu, kümmern sich um die Alten und versuchen, die Kinder ein wenig abzulenken. In den verstrahlten Ruinen des Atomkraftwerks Fukushima ringen die Arbeiter unter Lebensgefahr darum, die Reaktoren endlich unter Kontrolle zu bringen. Vier Wochen nach Beginn der für Japan größten Katastrophe nach dem Zweiten Weltkrieg - so nannte es Premier Naoto Kan - ist ein Ende der Krise nicht in Sicht. Doch die Japaner geben nicht auf.

Der Alptraum brach über das wohlhabende und sonst wohlorganisierte Land am Freitag, 11. März, um 14.46 Uhr herein. Die Menschen gingen ihrer täglichen Arbeit nach. Vor der Nordostküste mit ihren Reisfeldern, Stränden und kleinen Häfen holten Fischer ihre Fänge ein. Doch im Nu verwandelte sich die Idylle in ein Inferno. Der Erdstoß der Stärke 9,0 unter dem Meeresboden löst einen gewaltigen Tsunami aus - bis zu 23 Meter hoch, andere sprechen sogar von bis zu 38 Metern. Die Wasserwalze reißt Trümmer und Menschen mit und bricht über Städte und Dörfer herein. Seither sind 12.600 Tote identifiziert, mehr als 15.000 Menschen werden noch vermisst.

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Doch es bleibt nicht bei der Naturkatastrophe, von denen das Inselreich schon viele erlebt hat. Der Tsunami beschädigt das direkt am Meer gebaute Kernkraftwerk Fukushima Eins schwer - und zerstört damit zugleich den Glauben an die jahrzehntelangen Beteuerungen der Betreiber, die Meiler seien sicher. Die Regierung sah sich plötzlich vor die Aufgabe gestellt, eine dreifache Katastrophe zu managen, etwas, was andere erdbebengefährdete Länder wahrscheinlich längst in den Ruin getrieben hätte. Nicht so Japan. „Ich bin mehr denn je froh, hier zu leben, und kann mir keinen Ort vorstellen, wo ich bei einer ähnlichen Katastrophe sein wollte“, sagte ein seit vielen Jahren in Japan lebender deutscher Manager.

Zwar muss die schon vor der Katastrophe unbeliebte Regierung viel Kritik an ihrem Krisenmanagement einstecken. Doch Ministerpräsident Kan bemüht sich immerhin um Transparenz. Langjährige Beobachter sind überzeugt, dass es unter einer Regierung der oppositionellen Liberaldemokratischen Partei (LDP) kaum so viel Offenheit gegeben hätte. Im Spätsommer 2009 waren die Liberaldemokraten nach mehr als einem halben Jahrhundert fast ununterbrochener Macht abgewählt worden.

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Zu Beginn der Atomkrise soll Regierungschef Kan in die Zentrale des skandalumwitterten Atombetreibers Tepco gestürmt sein und geschrien haben: „Was zur Hölle ist hier los?“ Kan, der ursprünglich aus der Bürgerbewegung kommt, misstraut den Bürokraten bei Tepco und in den Ministerien und verlässt sich mehr auf persönliche Berater und seinen Regierungssprecher Yukio Edano. Der tritt täglich vor die Presse und ist in der Katastrophe zum Gesicht Japans geworden.

Die eigentliche Stärke Japans zeigt sich vor allem im Zusammenhalt der Menschen. Mit ungläubigem Staunen verfolgte die Welt, wie die Japaner auch in größter Not Fassung bewahrten. Jeder hilft jedem, niemand klagt. Was gelegentlich im Westen als Gleichmut missverstanden wird, ist in Wahrheit Gefasstheit und Durchhaltewillen, mit der die Japaner der Katastrophe begegnen.

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Von Panik keine Spur. Die gab es nur unter den Ausländern, von denen Tausende zu Beginn der Katastrophe das Weite suchten. Die Japaner blieben jedoch, auch aus Verantwortung heraus - für das eigene Unternehmen, für ihr Land. Während viele Japaner irritiert sind über die nach ihrer Ansicht teils hysterische Medienberichterstattung im Westen, legten die staatstragenden Medien Japans ihren Fokus mehr auf Fakten denn auf Interpretationen. Nach Auffassung von Beobachtern trugen sie so dazu bei, dass es eben nicht zur Panik kam.

Auch wenn mancher im Westen meint, den Japanern müsste doch angesichts der Atomkatastrophe jetzt endlich die Geduld ausgehen - Massendemonstrationen gegen die Atomkraft hat es auch nach vier Wochen nicht gegeben. Und es wird sie wohl auch nicht geben. Die Japaner wüssten, dass angesichts fehlender Rohstoffe ein sofortiger Ausstieg aus der Kernkraft keine realistische Alternative sei, meinte ein langjähriger Beobachter in Tokio. Allerdings fordern die Menschen jetzt deutlich mehr Anstrengungen, die Meiler sicherer zu machen.

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Er stelle sich auf einen langen Kampf ein, hat Kan gesagt. Die wirtschaftlichen Folgen für das hoch verschuldete und stark exportabhängige Land sind enorm. Sollte die Katastrophe jedoch zu ohnehin dringend notwendigen Strukturreformen führen, könnte Japan am Ende sogar gestärkt aus der Krise hervorgehen. Doch bis dahin müssen die Menschen in den Notlagern noch lange ausharren.