Mädchen suchen vor allem zu Partnerschaft und Liebe das Gespräch; Jungen wenden sich eher mit Problemen zur Sexualität an das Kummertelefon.

Düsseldorf. Mitarbeiter von Sorgentelefonen müssen sich zum Jahreswechsel auf den verstärkten Gesprächsbedarf von Kindern und Jugendlichen einstellen. Jungen und Mädchen beschäftigten sich in dieser Zeit mehr als sonst mit Fragen zum Sinn des Lebens sowie zu Freundschaft und Sozialkontakten, erläuterte der Jugendforscher Prof. Klaus Hurrelmann in Düsseldorf. An den ruhigen Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr könne man Einsamkeit und soziale Isolation nicht mit Alltagsaktivitäten überspielen - darauf reagierten auch jüngere Menschen empfindlich, erklärte Hurrelmann.

Der Wissenschaftler ist Mitautor der Shell-Jugendstudien und hat an einer jüngst veröffentlichten Untersuchung zur "Nummer gegen Kummer“ mitgeschrieben. Über das Kinder- und Jugendtelefon der gleichnamigen Dachorganisation mit Sitz in Wuppertal wurden allein im Jahr 2009 gut 233.000 Beratungsgespräche geführt. Unter den Ratsuchenden nimmt der Anteil der Jungen seit dem Jahr 2004 kontinuierlich zu, wie aus der Nummer-gegen-Kummer-Studie 2010 hervorgeht. Vor sechs Jahren waren 28 Prozent der Anrufer männlich; bis zum Jahr 2009 stieg dieser Anteil auf knapp 40 Prozent.

“Das ist symptomatisch für beginnende Rollenumbrüche“, beschreibt Hurrelmann den Wandel. „Es sind tatsächlich neue Anforderungen an die Lebensgestaltung entstanden, die Jungen kräftig herausfordern.“ Früher sei die Männerrolle auf die Berufslaufbahn als Broterwerber programmiert gewesen. Heute hingegen sei die Jugendzeit insgesamt unsicherer. Auch für Jungen sei außerdem das Nachdenken über Aussehen und den eigenen Körper wichtiger geworden. „Schließlich spielen die kompetente Bewältigung von Intimität und Sexualität eine größere Rolle“, hat Hurrelmann beobachtet.

Dass unter den Anrufern der Sorgentelefone künftig noch mehr männliche Ratsuchende sein könnten, erwartet Hurrelmann aber nicht. „Die Mädchen werden auch künftig stärker bereit sein, sich Hilfe zu holen“, erläutert der Wissenschaftler, der nach langjähriger Tätigkeit an der Universität Bielefeld nun an der Hertie School of Governance in Berlin arbeitet.

Die seit 1980 bestehende kostenfreie "Nummer gegen Kummer" (0800/1110333) wird in Hurrelmanns Studie als „Seismograph für veränderte Lebensauffassungen und Lebensstile“ beschrieben. Mädchen suchen vor allem zu Partnerschaft und Liebe das Gespräch; Jungen wenden sich insbesondere mit Problemen zur Sexualität an das Kummertelefon.

Zu den Ergebnissen der Studie zählt unter anderem auch die Beobachtung, dass sich Kinder und Jugendliche heute mehrheitlich sehr gut mit ihren Eltern verstehen, obwohl die klassische Vater-Mutter-Kinder-Familie zugunsten von Patchworkfamilien auf dem Rückzug sei.