Ermittlungen gegen Kinderdorf-Leiter wegen Missbrauchsverdachts. Hamburgs Ex-Innensenator Udo Nagel verteidigt Macher von “Tatort Internet“.

Hamburg. Die RTL-2-Sendung "Tatort Internet - Schützt endlich unsere Kinder" von Ministergattin Stephanie zu Guttenberg und Hamburgs Ex-Innensenator Udo Nagel stellte ihn als Pädophilen an den Pranger. Obwohl das Gesicht des Mannes und seine Stimme unkenntlich gemacht wurden, konnte der 61 Jahre alte Leiter des "Goldenen Kinderdorfs" der Caritas in Würzburg eindeutig identifiziert werden. Mit dramatischen Folgen: Vergangenen Donnerstag verlor er seinen Job. Seit Freitag ist er spurlos verschwunden. Die Staatsanwaltschaft leitete gegen ihn inzwischen ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Kindern ein.

Die umstrittene Sendung, die mit Lockvögeln und versteckter Kamera arbeitet, zeigte, wie sich der 61-Jährige nach einem Kontakt in einem anzüglichen Chatroom im Internet unter dem Decknamen Xerxes im Mai am Rande des Münchner Kirchentags in einem Restaurant mit der angeblich 13 Jahre alten "Leila" verabredet. Beim Treffen gab sich eine junge Schauspielerin als Leila aus, sie wurde von einer RTL-2-Reporterin als "Mutter" begleitet.

Der Heimleiter hat die Vorwürfe eingeräumt, sagte Würzburgs Caritas-Chef Clemens Bieber. "Nachdem wir ihm seine Entlassung mitgeteilt hatten, boten wir ihm psychologische Hilfe an." Der 61-Jährige habe sich bedankt und ihnen seine Handynummer gegeben. Dann wollte er nach Hause fahren, kam dort aber nie an. Seine schwer kranke Frau meldete ihn als vermisst.

Die Caritas und weitere Vertreter des Bistums Würzburg zeigten sich empört darüber, dass die Redaktion von "Tatort Internet" den Fall fünf Monate lang bis zur Ausstrahlung der Sendung verschwiegen hat.

Udo Nagel, der mit der Ehefrau von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg das Format im Privatsender RTL 2 präsentiert, sagte gestern dem Hamburger Abendblatt: "Pädophilie als solche ist nicht strafbar. Der gezeigte Sachverhalt wird juristisch als sogenannte straflose Vorbereitungshandlung bewertet." Da das Cyber-Grooming (das sexuelle Anmachen von Kindern und Jugendlichen im Internet) im Moment noch nicht strafbar sei, hätten weder die Produktionsfirma noch der Sender RTL 2 den Arbeitgeber informieren dürfen. "Ansonsten hätten sie sich wegen Verleumdung beziehungsweise übler Nachrede strafrechtlich verantworten müssen." Das Ziel der Sendung sei eben zu erreichen, dass Cyber-Grooming schon im Ansatz strafbar werde. Ein solches Gesetz unterstützen auch Medienrechtler wie Carsten Brennecke. Doch in einem Interview mit dem Juristenportal "Legal Tribune Online" kritisierte er zugleich das Vorgehen der Sendungsmacher. Zwar war auch in diesem Fall der mutmaßliche Pädophile unkenntlich gemacht worden, aber er konnte identifiziert werden, da es in dem neun Minuten langen Beitrag immer wieder ausführlich um seine berufliche Tätigkeit ging. Sein Name und weitere persönliche Details tauchten wenig später im Internet auf. Brennecke: "Niemand hat das Recht, Kinderschänder öffentlich an den Pranger zu stellen. Sie sind nicht vogelfrei, sondern müssen unkenntlich gemacht werden." Dazu gehöre auch, dass aus Angaben wie dem Wohnort, Alter und Beruf nicht auf ihre Identität geschlossen werden könne.

Der mediale Kampf gegen Pädophilie wird so zur Gratwanderung zwischen der offensiven Herangehensweise, um potenzielle Opfer zu warnen, und den Persönlichkeitsrechten vermeintlicher Pädophiler. Inzwischen prüft auch die zuständige Hessische Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien das Format "Tatort Internet", von dem heute um 21.15 Uhr eine weitere Sendung ausgestrahlt wird. Udo Nagel: "Es ist meines Wissens nicht geplant, vom Konzept abzuweichen. Warum auch, da das Konzept darauf abzielt, Kinder und deren Eltern die Gefahren im Internet zu verdeutlichen."