Sollte Jörg Kachelmann freigesprochen werden, will laut einer Umfrage, die Mehrheit den Moderator wieder im Fernsehen sehen.

Berlin/Münster/Mainz. Gut einem Monat vor dem Prozess am 6. September wegen Vergewaltigung will eine Mehrheit der Deutschen den Metereologen und Fernsehmoderator Jörg Kachelmann (52) wieder als Wettermoderator vor der Kamera sehen, sollte er frei gesprochen werden. Das hat eine Umfrage für die Zeitung „Bild am Sonntag“ (BamS) ergeben. 73 Prozent der Befragten wollen Kachelmann wieder als TV-Wetterexperten erleben, falls der Prozess gegen ihn mit einem Freispruch endet. Dagegen wollen ihn 18 Prozent auch in einem solchen Falle nicht mehr im TV sehen. Das Emnid-Institut hatte nach BamS-Angaben 500 Menschen ab 14 Jahren repräsentativ befragt.

Kachelmann soll seine Ex-Freundin vergewaltigt und mit einem Messer am Hals verletzt haben. Er bestreitet das. Ab 6. September muss er sich vor dem Landgericht Mannheim verantworten.

1. HINTERGRUND: DIE CHRONOLOGIE DES FALLS KACHELMANN

2. PORTRÄT: JÖRG KACHELMANN

Ein Experte über Jörg Kachelmann, die Medien und der Prozess

Der Gerichtsprozess gegen Jörg Kachelmann beginnt im September, in den Medien wird dem Wetterexperten aber schon jetzt der Prozess gemacht. Warum das so ist, erklärt der Kommunikationswissenschaftler Hans Mathias Kepplinger von der Universität Mainz. Er hat den Einfluss von Medienberichterstattung auf Gerichtsverfahren untersucht.

Im Fall Kachelmann sind sehr viele Informationen, etwa Details aus Gutachten, bereits vor Prozessbeginn an die Öffentlichkeit gelangt. Wie erklären Sie das?

Kepplinger: „Das ist eine Entwicklung, die in der Vergangenheit mehr und mehr zugenommen hat. Eine Umfrage, die wir unter 447 Richtern, 271 Staatsanwälten und 35 Strafverteidigern durchgeführt haben, macht deutlich, dass über zwei Drittel der befragten Strafverteidiger Informationen an die Medien geben, um die Öffentlichkeit gezielt für ihre Sache zu beeinflussen. Aber auch ein Viertel der Staatsanwälte gab zu, ihre Position im Verfahren verbessern zu wollen, indem sie Informationen gezielt lancieren.“

Was soll das bringen? Richter sind davon doch unabhängig. So sieht es jedenfalls das Grundgesetz vor.

Kepplinger: „Die Realität sieht anders aus. Mehr als die Hälfte der Richter und Staatsanwälte gab an, dass Medienberichte sich auf ihr Verhalten auswirken. 42 Prozent der Staatsanwälte antworteten auf die Frage, ob sie bei dem geforderten Strafmaß an das Echo in der Öffentlichkeit denken würden, mit „Ja“. Bei den Richtern waren es 58 Prozent. Ein Drittel gab zu, dass Medienberichte Einfluss auf die Höhe der Strafe haben. Und fast jeder Vierte sagte, dass davon die Frage, ob eine Bewährung bewilligt oder verweigert wird, beeinflusst wird. Bei der Frage nach Schuld oder Unschuld sind allerdings nur fünf Prozent der Ansicht, dass Medienberichte darauf Einfluss hätten. Dass sie die Aussagen von Zeugen beeinflussten, glauben allerdings 76 Prozent. Für einen Rechtsstaat sind das bedenkliche Erkenntnisse.“

Sollten Gerichtsprozesse also nur noch unter Ausschluss der Medien geführt werden?

Kepplinger: „Es ist richtig, dass die Öffentlichkeit von Strafprozessen zunehmend fragwürdig geworden ist. Allerdings ist sie trotzdem notwendig. Im 19. Jahrhundert wurde sie zum Schutz des Angeklagten und zur Wahrheitsfindung gefordert. Mittlerweile haben die Spieler gelernt, damit umzugehen. Heute wird Öffentlichkeit gezielt benutzt und damit zu einer Gefahr für die Angeklagten und die Wahrheitsfindung.“

Wie können sich Richter davor schützen?

Kepplinger: „In unserer Befragung haben die Richter angegeben, die Berichte über Prozesse, an denen sie selbst beteiligt sind, viel intensiver zu verfolgen als andere. Jeder zweite ärgert sich über negative Berichte, weil er sein Verhalten falsch dargestellt sieht. Das muss den Richtern bewusst sein. Dann ist die Möglichkeit größer, dass sie immun sind gegen die Wirkung der Medienberichte. Gibt ein Staatsanwalt Informationen aus Gerichtsakten an Journalisten weiter, ist es Sache des Staates, einzugreifen, etwa durch Disziplinarverfahren. Bei Verteidigern, die besonders intensive Öffentlichkeitsarbeit betreiben, ist das viel schwieriger. Da müsste vor allem die Berufsethik gestärkt werden.“