Das Gericht spielt einen Notruf-Mitschnitt der tödlichen Schlägerei an Münchner S-Bahnhof vor. Die Täter schrien “du Bastard, Mann“.

München. "Oan erwischts gleich", ruft Dominik Brunner auf Bayerisch, und Sekunden später: "I nimm oan mit." Noch zweimal kündigt Brunner an: "I nimm oan mit." Dann ist nur noch sein Stöhnen zu hören - der 50 Jahre alte Manager wird von Schlägen und vermutlich auch Tritten getroffen. "Komm her, du Dreckschwein", "du Bastard , Mann", "verpiss dich" und "Motherfucker", rufen die Täter.

Absolute Stille herrscht im Gerichtssaal, als die Aufzeichnung vorgespielt wird - für die Zuhörer ist allerdings fast nur Stimmengewirr zu hören, das erst eine Sachverständige für Phonetik des Bayerischen Landeskriminalamtes entschlüsselt. Wort für Wort trägt sie am Dienstag vor dem Landgericht München I das Protokoll des Schreckens vor. Markus S., 19, und Sebastian L., 18, angeklagt wegen Mordes, hören zu - ohne sichtbare Regung wie schon an den Prozesstagen zuvor. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, Brunner am 12. September vergangenen Jahres aus Rache getötet zu haben, weil er sich einmischte und vier Schüler vor ihnen in Schutz nahm. Markus S. habe neben Spuren von Cannabis auch 1,46 Promille Alkohol im Blut gehabt, teilt der Vorsitzende Richter Reinhold Baier mit. Bei der Blutentnahme zwei Stunden nach der Tat seien sein Gang sicher und das "Denkvermögen geordnet", aber seine Sprache verwaschen gewesen. Sebastian L. war nüchtern.

Der Mitschnitt unterstreiche den Mordvorwurf der Anklage, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Thomas Steinkraus-Koch. "Wir bleiben bei der ursprünglichen Bewertung." Brunners Handy war während der Schlägerei mit der Polizei verbunden. Eine Expertin des Bayerischen Landeskriminalamts erklärt, Brunner habe sein Mobiltelefon in seiner Tasche gehabt und offenbar per Wahlwiederholung Verbindung mit der Notrufzentrale hergestellt, ob absichtlich oder versehentlich, ist unklar. Immer wieder ist der Mitschnitt unterbrochen von einem "Hallo" der Beamtin aus der Einsatzzentrale - sie hörte die ganze Zeit mit.

Mit ruhiger Stimme hatte Brunner etwa fünf Minuten zuvor, um 16.05 Uhr, aus der S-Bahn die Polizei alarmiert. Ihm gegenüber hätten zwei junge Männer gesessen. "Sie wollen zwei andere junge Männer ausrauben", sagt Brunner dem Beamten. "Und woher wissen Sie das, dass sie sie ausrauben wollen?", fragt der Beamte zurück. Weil er direkt gegenüber gesessen habe, wiederholt Brunner: "Ich steig jetzt mit denen aus, ich nehm die jungen Leute mit."

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Am S-Bahnhof Solln sollte er auf die Polizei warten. Nichts lässt darauf schließen, dass der Zwischenfall tödlich enden könnte. Doch am Bahnsteig eskaliert die Lage - alles geht blitzschnell. "Hört auf, hört auf", rufen Passanten noch. Dann: "Holt mal jemand einen Krankenwagen!" und "ruft mal jemand nach dem Arzt" ist auf dem Mitschnitt zu hören.

Auch eine Augenzeugin schildert vor Gericht die schrecklichen Minuten. "Ich dachte, das Ganze wäre ein Spaß", beschreibt sie unter Tränen ihre ersten Gedanken. Brunner sei zigmal mit den Füßen getreten worden. Die Gesichtsausdrücke der Täter seien ihr wie die von "Monstern" vorgekommen. "Schnell, wir müssen helfen", habe sie gerufen. "Ich dachte, die Menschen würden zum Helfen kommen - aber keiner hat geholfen." Nur ein Mann sei mit ihr geblieben. "In dem Moment, in dem ich seinen (Brunners) Kopf gehalten hab, hab ich gewusst, dass er sterben wird", sagt sie weinend.

Insgesamt 22 Minuten war Brunners Handy mit der Polizei verbunden, da rangen die ersten Helfer schon um sein Leben. Er hatte Kammerflimmern, sein Herz schlug nicht mehr.

Brunners langjährige Freundin Petra P. beschreibt den 50-Jährigen als sehr hilfsbereiten und keineswegs aggressiven Menschen. "Er ist schon jemand gewesen, der sich eingemischt hat und versucht hat zu schlichten", sagte sie. "Er war nicht aufbrausend." Er habe einmal einen Selbstverteidigungskursus und vor 15 Jahren auch ein Boxtraining gemacht, aber "wenn es Streit gab, hat er versucht, es so ruhig wie möglich zu regeln". Außer Heuschnupfen habe Brunner "keine gesundheitlichen Probleme gehabt", sagte Petra P., die Ärztin ist. Rettungssanitäter berichteten, sie hätten Brunner gegen 16.20 Uhr leblos am Boden vorgefunden - ohne Atmung, ohne Puls, ohne Pupillenreflex und blau im Gesicht. Nach zweistündigen Wiederbelebungsversuchen wurde Brunner für tot erklärt.