Über die Zahl der Vermissten herrscht Unklarheit. Dem Kapitän der “Costa Concordia“ drohen bis zu 15 Jahre Gefängnis.

Giglio/Rom. Der Kapitän des havarierten Kreuzzfahrtschiffes „Costa Concordia“, Francesco Schettino, wird unter Hausarrest gestellt. Das entschied die zuständige Richterin von Grosseto, Valeria Montesarchio, nach einer dreistündigen Anhörung des 52-jährigen Kapitäns am Dienstag, wie italienische Medien am Abend berichteten. Der Kapitän war auf Antrag der Staatsanwaltschaft am vergangenen Samstag festgenommen worden. Die Staatsanwälte hatten von Fluchtgefahr gesprochen. Ihm wird mehrfache fahrlässige Tötung, Havarie und das Verlassen der „Costa Concordia“ während der Evakuierung vorgeworfen. Schettino drohen bis zu 15 Jahre Gefängnis, sollte er verurteilt werden.

Drei Tage nach dem Schiffsunglück in Italien haben die Behörden zudem einen der vermissten Deutschen aufgespürt. Das teilte der Leiter des Krisenstabes in Grosseto, Guiseppe Linardi, am Abend mit. Nähere Einzelheiten waren zunächst nicht bekannt. Unklarheit herrschte am Dienstag über die Zahl der Vermissten. Italienische Behörden sprachen von 29 Menschen, darunter 14 Deutsche, 6 Italiener, 4 Franzosen, 2 Amerikaner sowie je ein Ungar, Inder und Peruaner. Das Auswärtige Amt geht von 12 Deutschen aus, allerdings wird dort Hinweisen auf weitere Verschollene nachgegangen. Fünf Vermisste stammen demnach aus Hessen, je zwei aus Berlin, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen und eine Frau aus Bayern. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) versprach, das Schicksal der Vermissten schnell aufzuklären. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Bei den zuletzt geborgenen Toten handelt es sich um eine Frau und vier Männer im Alter von 50 bis 60 Jahren. Nach Angaben der Küstenwache trugen sie Schwimmwesten und wurden an einem Sammelpunkt gefunden.

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„Ich hatte das Kommando“, räumte der 52-Jährige bei dem dreistündigen Haftprüfungstermin ein, wie die Nachrichtenagentur Ansa berichtete. Er habe das Schiff aber nicht aufgegeben, vielmehr mit dem Kurs nach der Kollision noch hunderte oder tausende Menschenleben gerettet. Die Staatsanwaltschaft forderte dennoch eine Verlängerung der Haft für den Kapitän, an den Anschuldigungen gegen ihn habe sich nichts geändert. Richterin Valeria Montesarchio behielt sich eine Entscheidung vor. Medien zitierten aus Ermittlerkreisen, wonach der Kapitän auch auf Drogenkonsum untersucht werden solle.

Der 52-Jährige soll eigenmächtig die gefährlich nahe Route gewählt haben, um seinem von der Insel stammenden Oberkellner Antonello Tievoli die Möglichkeit zu geben, Giglio zu grüßen. Medienberichten zufolge hatte dessen Schwester auf dem sozialen Netzwerk Facebook angekündigt, dass die „Costa Concordia“ bald ganz nah vorbeifahren werde. Es war nicht das erste Mal, dass ein Kreuzfahrtschiff zu nahe an die Insel kam.

Der 290 Meter lange Kreuzer mit mehr als 4200 Menschen an Bord hatte am Freitagabend einen Felsen gerammt und war leckgeschlagen. Er liegt derzeit in starker Schräglage vor der Insel und droht abzurutschen und zu versinken. Naturschützer fürchten, dass Treibstoff das fragile Ökosystem weit über die toskanische Insel hinaus verschmutzt.

Zwei bis fünf Wochen werde es dauern, die knapp 2400 Tonnen Treibstoff aus den 21 vollen Tanks der „Costa Concordia“ zu pumpen, erklärte Max Iguera von der beauftragten niederländischen Bergungsfirma Smit Salvage. Am Mittwoch soll das Abpumpen des Öls vorbereitet werden.

Weil der Kapitän nach der Kollision mit dem Felsen keine Order gegeben und nur telefoniert habe, hätten Teile der Besatzung praktisch „gemeutert“ und allein Rettungsboote fertiggemacht, berichtete der „Corriere della Sera“. „Es reicht, evakuieren wir das Schiff“, zitierte die römische „La Repubblica“ Besatzungsmitglieder.

Nach einer Pause über Nacht setzten die Rettungsmannschaften auch Sprengstoff ein, um durch die Außenhaut ins Innere zu gelangen und sich einen Weg durch Trümmer und Hindernisse zu bahnen, sagte ein Sprecher der Küstenwache. In dem Schiff soll auch eine 71-Jährige aus Baden-Württemberg sein, wie die Polizei in Esslingen mitteilte.

Die italienischen Behörden gehen davon aus, dass das Wetter bis Donnerstag gut bleibt. Die Rettungsarbeiten könnten auf jeden Fall solange fortgesetzt werden.

Italiens Umweltminister Corrado Clini sagte, zur Bewältigung des Unfalls werde der Notstand erklärt. Es gehe darum, die knapp 2400 Tonnen Treibstoff so schnell wie möglich aus den Tanks des Schiffes zu holen. Die Reederei Costa Crociere müsse bis Mittwoch einen Plan für das Abpumpen vorlegen und innerhalb von zehn Tagen angeben, wie sie das gekenterte Schiff abtransportieren wolle. Clini befürchtet erhebliche Umweltschäden, sollte der Treibstoff auslaufen, zumal das Wrack in die Tiefe abrutschen und auch ganz versinken könnte könnte.

Auch Naturschützer befürchten Schlimmes: „Bei einem Austritt stellt das Öl eine tödliche Gefahr für zehntausende Meerestiere dar, die in dem 1996 gegründeten Nationalpark Toskanischer Archipel leben“, so der Meeresschutzexperte Kim Detloff vom Naturschutzbund Deutschland. Der Umweltschutzbund WWF warnte: „Die Unglücksstelle liegt mitten im Pelagos-Meeresschutzgebiet. Das ist das wichtigste Walschutzgebiet im Mittelmeer. Da sind acht Walarten zu Hause, von Delfinen bis Pottwale oder Finnwale“, sagte der WWF-Experte Jochen Lamp.

Auch der materielle Schaden ist gewaltig. Möglicherweise müssen die Versicherer einen Schaden von mehr als einer halben Milliarde Euro einkalkulieren. Die Summe von 500 Millionen Euro könne leicht überschritten werden, berichtete die „Financial Times Deutschland“ unter Berufung auf Versicherungskreise. Nach dem Schiffsunglück erwägt nun die EU-Kommission strengere Regeln für die Sicherheit auf Schiffen in der EU. Eine bereits laufende Überprüfung der Gesetzgebung für Passagierschiffe soll nun schneller abgeschlossen werden, sagte die Sprecherin von EU-Verkehrskommissar Siim Kallas in Brüssel.

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Notfallnummern für Angehörige:

Krisen-Hotline des AA: 030/18170

Bereitschaftsdienst Generalkonsulat Mailand: 0039-335- 6255622

Bereitschaftsdienst Deutsche Botschaft Rom: 0039-335-7904170

Hintergrund: Das Kreuzfahrtschiff Costa Concordia

Die "Costa Concordia“ gehört nach Angaben des Eigners zu den neuesten und größten Kreuzfahrtschiffen, die derzeit auf den Meeren unterwegs sind. Sie wurde 2006 gebaut und bietet in 1500 Kabinen Platz für 3780 Passagiere. Betreiber ist das italienische Kreuzfahrtunternehmen Costa Crociere mit Sitz in Genua. Das Schiff misst 290 Meter und ist gut 35 Meter breit. Es schafft bei 114.500 Bruttoregistertonnen eine maximale Geschwindigkeit von 23 Knoten (rund 43 Stundenkilometer). 1100 Besatzungsmitglieder kümmern sich um die Gäste. An Bord befinden sich auf 17 Decks neben fünf Restaurants auch ein Theater, ein Kino sowie Clubs und Diskotheken.

Mit Material von dpa, rtr und dapd