Arbeitsgericht entscheidet über mögliche Benachteiligung von Ostdeutschen. Der Anwalt einer arbeitslosen Buchhalterin sieht Verstoß gegen Antidiskriminierungsgesetz. Der Fall ist beispiellos.

Stuttgart. 40 Jahre gab es die DDR, bis die Mauer fiel. Zeit genug, um im Osten eine "Ethnie" mit eigener Kultur und eigenen Verhaltensweisen zu entwickeln? Ein Stuttgarter Gericht soll klären, ob die "Ossis" als eigener Stamm anerkannt werden dürfen.

Sommer 2009: Die Buchhalterin Gabriela S. sucht einen Job. Eines Morgens findet sie im Briefkasten einen großen Umschlag. Bei der Jobsuche ist das ein schlechtes Zeichen, denn meistens stecken darin die eingesandten Bewerbungsunterlagen, zusammen mit einer freundlichen Absage. Sie betrachtet das Ablehnungsschreiben, als ihr Blick auf den Lebenslauf fällt. So direkt hatte ihr noch kein potenzieller Arbeitgeber mitgeteilt, warum es nichts wird mit der Wunsch-Stelle. Rechts von den persönlichen Angaben hatte jemand vermerkt: "(-) Ossi".

"Das hat sie stark getroffen", sagt Wolfgang Nau. Der Rechtsanwalt vertritt die Frau "um die 45" am 15. April vor dem Arbeitsgericht Stuttgart. Gemeinsam entwickelten sie die Argumentation für diesen Termin: Das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG), vereinfacht Antidiskriminierungsgesetz genannt, verbiete eine Absage mit dem Argument "Ossi". Das Gesetz wolle schließlich Benachteiligungen aufgrund der "Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft" ausschließen. "Die beiden Teile Deutschlands haben sich während der Trennung auseinandergelebt", erklärt Nau. "Die Ostdeutschen hatten teilweise Wortbildungen und Sitten, die wir nicht kannten", führt er aus. Die Richter müssen also nächste Woche entscheiden, ob der "Ossi" eine eigene Ethnie ist, eine Art eigener Menschenschlag. "Der Begriff 'ethnische Herkunft' ist weder in der ursprünglichen europäischen Richtlinie noch im daraus abgeleiteten deutschen Gesetz genau definiert", erklärt Heiko Habbe, Rechtsanwalt und Fachmann für Antidiskriminierungsrecht. Meist werde die Ethnie umschrieben mit "gemeinsamer Abstammung" oder als "Gruppe gemeinsamer Identität". Bisher ist der Fall ohne Vorbild: Die Urteilsdatenbank vom Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien der Humboldt-Universität Berlin enthält nur ein gutes Dutzend Gerichtsentscheidungen zur Benachteiligung wegen der Ethnie. Ein Ossi-Fall ist nicht darunter. "Beweise in diesen Fällen sind sehr schwer zu führen", erklärt Habbe das generelle Problem des AGG. Genau hier setzt voraussichtlich auch die Argumentation des Fensterbauers an, bei dem Gabriela S. sich beworben hatte. In einer MDR-Sendung berief er sich darauf, dass es auch andere Gründe gegeben habe, Gabriela S. nicht einzustellen. Einzig die Notiz sei unglücklich gewesen. "Keine Frage - das war ein Fehler von uns, dass diese interne Notiz, die da draufkam, das Haus verlassen hat", wird er auf der Homepage des Senders zitiert. Die geforderten drei Monatsgehälter von je 1600 Euro will er trotzdem nicht zahlen. Ein Gütetermin vor Gericht scheiterte im vergangenen Herbst. Längst geht es auch S. um Größeres: "Ich hoffe, wenn man es wirklich mal öffentlich macht, dass die Leute einfach mal anfangen, darüber nachzudenken", sagte sie dem TV-Sender MDR.

Aus solch einem Grund heute noch abgelehnt zu werden sei nicht zeitgemäß, findet auch ihr Anwalt ganz allgemein - aber auch im speziellen Fall: "Die Frau ist vor der Wende ausgereist", erklärt Nau. "Die kann sogar Linsen mit Spätzle kochen."