Ein Land unter Schock: Einer der Zugführer hatte ein Stoppsignal übersehen. Viele der Verletzten wurden in den Waggons eingeklemmt.

Brüssel/Paris. Am Unfallort bietet sich ein Bild des Schreckens und der Verwüstung: Zwei Loks ragen hoch in die Luft, umgekippte Waggons liegen neben den Schienen, Rettungsmannschaften versuchen bei heftigem Schneefall Tote und Verletzte aus den völlig zerstörten Zugabteilen zu bergen. Die belgischen Behörden sprechen Stunden nach dem schweren Zugunglück 15 Kilometer südlich von Brüssel von 18 Toten - 14 Männer, drei Frauen und ein Kind. Weitere 162 Menschen wurden verletzt, elf davon schwer. Die anderen 151 Fahrgäste erlitten Schocks, Prellungen oder kleinere Schnittverletzungen.

Die Katastrophe begann um 8.30 Uhr: Zwei mit rund 300 Pendlern besetzte Regionalzüge stießen mitten im Berufsverkehr frontal so heftig zusammen, dass die ersten Waggons aus den Gleisen sprangen. Möglicherweise spielte das Wetter eine Rolle. Die Schienen sollen zum Zeitpunkt des Unglücks vereist und die Sicht extrem schlecht gewesen sein. Noch Stunden später saßen Passagiere eingekeilt in den zertrümmerten Wagen und es herrschte Chaos an der Unfallstelle. Die Katastrophe ist nach ersten Ermittlungen auf menschliches Versagen zurückzuführen - einer der Lokführer hatte ein rotes Signal übersehen.

Augenzeuge Hambaoui Mounir (37), der im zweiten Wagen hinter der Lok war, überlebte den Unfall und berichtete schockiert: "Der erste Wagen ist vollkommen zerquetscht. Ich war im Wagen dahinter, der Zug fiel um, die Leute sind übereinandergefallen, wir konnten nicht mehr atmen, Frauen und Kinder schrien." Ein weiterer Zeuge: "Es war ein schrecklicher Aufprall. Ich hatte Glück. Ich dachte, ich müsste sterben." Laut einem anderen Fahrgast befand sich der Zug nicht in voller Fahrt, als es zum Zusammenprall kam: "Sonst wäre es sicher noch dramatischer geworden." Einige sprachen von einem "Blutbad" und einem "Knall wie bei einem Erdbeben".

Ein Passagier, der leicht verletzt wurde: "Als ich durch ein Fenster schaute, sah ich einen zerfetzten Körper. Bahnmitarbeiter sind dann schnell gekommen und haben uns gesagt, wir dürfen nicht aussteigen, dass die Oberleitung defekt sei und die Gefahr bestehe, dass wir einen Stromschlag bekommen." Die Rettungskräfte und die Polizei sollen schon zehn Minuten nach der Kollision vor Ort gewesen sein. Kris Peeters, der Ministerpräsident von Flandern, erklärte, es sei "ein schwarzer Tag für Flandern". Belgiens Ministerpräsident Yves Leterme brach eine Balkanreise ab und reiste zum Unglücksort, ebenso kündigte sich König Albert II. an.

Als die beiden Vorortzüge zwischen den Bahnhöfen Buizingen und Halle zusammenstießen, war die Sicht aufgrund des Schnees schlecht. Der eine Zug hatte zehn Minuten Verspätung, der andere Zug habe, so erklärte Lodewijk De Witte, Gouverneur von Flämisch-Brabant, ein Stoppsignal überfahren. Es handelt sich dabei offenbar um den Zug, der aus Löwen östlich von Brüssel kam und Richtung Braine-le Comte südlich von Brüssel fuhr. Der andere Zug war von der französisch-belgischen Grenze von Quievrain nach Lüttich unterwegs. Doch weder die Eisenbahngesellschaft SNCB noch der Netzbetreiber Infrabel wollten sich zunächst zu den Unfallursachen äußeren. Der Bürgermeister von Halle, Dirk Pieters, sagte gestern am späten Abend: "Das Ganze ist eine Tragödie für die Stadt. Normalerweise dürften jetzt keine Opfer mehr in den Waggons liegen."

Obwohl dichtes Schneetreiben und eisige Kälte die Bergungsarbeiten erschwerten, konnte ein Zug schnell evakuiert werden. Die Passagiere versuchten, sich gegenseitig aus den zusammengequetschten Waggons zu befreien, indem sie die Fensterscheiben einschlugen. Um ihnen das Leben zu retten, mussten Notärzte einigen Verletzten noch am Unglücksort Arme oder Beine amputieren. Die anderen Schwerverletzten wurden in Krankenhäuser der Region gebracht.

Der internationale Zugverkehr war gestört, vor allem die Thalys-Hochgeschwindigkeitszüge von Deutschland über Brüssel nach Paris und die Eurostar-Züge durch den Kanaltunnel nach London fielen aus. Es ist das schlimmste Zugunglück in Belgien seit 1974. Das letzte größere Eisenbahnunglück vor neun Jahren hatte acht Tote gefordert.