Hamburgs Oberbaudirektor Jörn Walter gibt seinen Kritikern Kontra – und vergleicht das neue Konzerthaus in der HafenCity mit dem Michel.

Das Interview könne gleich starten, man solle gern schon mal hereinkommen, er müsse nur schnell noch etwas am Telefon klären, sagt Jörn Walter. Hamburgs Oberbaudirektor hat kein Problem damit, dass die Besucher mithören. "Gibt es das Geländer nicht auch in den Farben der Fenster?", fragt er mit seiner tiefen, wenig leisen Stimme den Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung. Etwas anderes, als dieser "schreckliche Ton", der da jetzt gewählt wurde. Es sind offenbar bisweilen auch kleinste architektonische Details, um die sich Walter kümmert. Nicht nur die großen Projekte, wie die HafenCity oder die Neue Mitte Altona.

Doch Walters Kritiker reiben sich meist an den großen Dingen - obgleich mancher Planer insgeheim über die Detailanweisungen auch verschnupft sein könnte. Vor wenigen Tagen erst hat Ex-Oberbaudirekter Egbert Kossak seinem Nachfolger in einem Abendblatt-Interview vorgeworfen, dass es keine Hamburger Identität mehr in der Stadtplanung gebe. "Klotz an Klotz - so geht das nicht", sagte Kossak über die HafenCity. Und bei einer Leserumfrage zeigte sich ein allgemeines Unbehagen der Bürger über ein Zuviel an Glas und Stahl bei den Fassaden der Neubauten in der Stadt. Der stellvertretende Chefredakteur des Abendblatts, Matthias Iken, und Reporter Axel Tiedemann sprachen mit Jörn Walter über Architektur und Stadtbild.

Hamburger Abendblatt: Zu Ihrer Ernennung sagte einer der verantwortlichen Politikern: "Auf Jörn Walter kommen sehr sportliche Aufgaben zu: Er muss den Spagat schaffen zwischen der sozialen Stadtentwicklung und den ambitionierten Projekten wie HafenCity und Arena, zwischen den Wünschen der Bürger einerseits und der Investoren andererseits." Haben Sie diesen Spagatgeschafft?

Jörn Walter: An der Aufgabenstellung hat sich jedenfalls nichts verändert - sie ist vermutlich sogar noch schwieriger geworden. Die Bürger sind aktiver geworden, was gut ist, aber die Sache nicht einfacher macht.

Was macht Hamburg besonders, gibt es einen Leitgedanken, an dem Sie sich orientieren?

Walter: Wir haben mehrere Grundzüge von Stadt: Das ist das weiße Hamburg rund um die Alster und die rote Stadt aus Backstein; das ist die Stadt am Wasser, die grüne Stadt, die Beziehung zwischen Stadt und Hafen und natürlich eine gewisse gestalterische Zurückhaltung, die Hamburg prägt. Man darf aber nicht übersehen, dass die Hansestadt kein homogenes Gebilde ist, sondern 1937 aus unterschiedlichen Städten zusammengefügt wurde - aus Bergedorf, Harburg, Altona, Wandsbek und eben Hamburg.

Die Beziehung der Hamburger zu ihrer Stadt ist sicher eine Besonderheit. In unserer Umfrage taucht ein Kritikpunkt der Bürger immer wieder auf - zu viele Bauten aus Glas und Stahl ...

Walter: Das Problem halte ich für hochgeschrieben. Der Anteil der Glas- und Stahlbauten liegt vielleicht bei zehn Prozent, auch in der HafenCity sind es nicht mehr. Der überwiegende Anteil der Bauten ist aus Backstein. Wir haben aber natürlich sehr auffällige und gelungene Glasbauten wie das Deichtorcenter, den Berliner Bogen oder das Dockland. Gute Glasbauten tun einer Stadt gut und machen sie interessanter. Ich glaube aber, dass angesichts der besonderen Energieverbrauchs-Anforderungen Glasbauten in Zukunft an Bedeutung verlieren werden.

Die Kritik gerade an der HafenCity reißt nicht ab ... Würfelhusten, Klotz an Klotz heißt es, ja, "Hamburg versinkt in Hässlichkeit"

Walter: Ich rate den Kritikern, das Ergebnis der HafenCity einmal abzuwarten und genauer hinzuschauen, was wir da machen. Heute sind gerade einmal 30 Prozent gebaut - bei einer Erweiterung der Innenstadt um rund 40 Prozent. Die ersten Kritiker haben das ganze Projekt schon zerrissen, als acht Häuser standen. Das ist doch ein Treppenwitz. Wir orientieren uns in der HafenCity sehr stark an der urbanen, erlebnisreichen Stadt. Wir wollen die kleinteilige Struktur und Vielfalt von Stadtteilen wie Eppendorf, Winterhude oder Ottensen aufgreifen - und nicht die homogenen Strukturen wie bei den Grindelhochhäusern oder in Steilshoop

Viele vermissen am Kaiser- oder dem Sandtorkai gerade den geschlossenen Stadtraum ...

Walter: Wenn sie vom Kaiserkai auf die Elbphilharmonie blicken, ist das gefühlt ein geschlossener Straßenzug. Aber eben unterbrochen durch kleine Plätze, die interessante Blickbeziehungen ermöglichen. Es geht um ein Austarieren. In der HafenCity haben Sie überall Sonne und weite Blicke. Zugleich haben wir die unterschiedlichen Quartiere der Innenstadt wieder aufgenommen. Ich gehe so weit zu sagen: Es gibt dort nichts, was nicht auch in der Innenstadt vorkommt: Der Kaiserkai und der Cremon beispielsweise sind ähnlich. Und der Magdeburger Hafen mit seinem roten Backstein und seinem Maßstab wird an das Kontorhausviertel erinnern. Vieles was dort entsteht, wird sehr vertraut sein am Ende. Da will ich hin, aber das braucht Zeit. Komposition braucht Geduld.

Aber trifft es den Geschmack der Bürger?

Walter: Ich denke schon: Schauen Sie sich die hohen Besucherzahlen an. Die Bewohner sind zufrieden. Und man darf sich auch die Frage stellen, woher die hohen Preise kommen. Die Nachfrage ist da. Übrigens: Als wir anfingen, hat kein Immobilienentwickler aus der Stadt geglaubt, dass jemals ein Hamburger in den Hafen ziehen wird. Das kam ganz anders. Auch Architekten haben Hamburg erst jüngst in einer bundesweiten Umfrage zur schönsten Stadt gewählt.

Der Geschmack der Architekten und der Mehrheit müssen sich nicht decken. Muss Architektur demokratischer werden? Oder wäre das ein Albtraum für Sie?

Walter: Weder noch. Natürlich müssen wir für die Bürger bauen, anders können sie Häuser und Wohnungen gar nicht am Markt platzieren. Es ist aber auch notwendig, der Entwicklung eine gesamtstädtische Richtung zu geben. Das ist meine Aufgabe.

Wird die HafenCity gelingen?

Walter: Wir sind auf einem guten Weg. Natürlich sind so große Neubauquartiere nie einfach, schauen Sie nach Kopenhagen, Rotterdam oder London. Dort ist in vielen Bereichen hinsichtlich Urbanität und Lebendigkeit weit weniger gelungen als bei uns.

Wie wichtig ist die Elbphilharmonie für den Stadtteil?

Walter: Die Elbphilharmonie ist das Schlüsselbauwerk für den Stadtteil, die "Kathedrale". Bei der letzten großen Stadterweiterung von der Altstadt zur Neustadt haben die Hamburger denMichel gebaut, heute bauen sie einKonzerthaus. Und obwohl es noch nicht fertig ist, hat es der Musikstadt einen unglaublichen Schub gebracht.

6000 neue Wohnungen sollen jährlich entstehen. Wie soll das eigentlich funktionieren?

Walter: Es wird eine Verdichtung geben - aber sie wird keinen Verlust an Lebensqualität bringen, sondern einen Gewinn. Verdichtung verbessert die Infrastruktur. Schauen Sie etwa nach Barmbek - durch die Bauprojekte dort bekommt der Stadtteil eine neue urbane Qualität, auch die Fuhlsbüttler Straße gewinnt. Nachverdichtung birgt auch für Stadtteile wie Wandsbek, Eilbek, Hamm und Horn beträchtliche Chancen, weil sie Kaufkraft in die Quartiere bringt und sie urbaner macht, indem dort neue Geschäfte oder auch Restaurants entstehen.

Wie lange können wir denn jährlich 6000 Wohnungen mehr bauen?

Walter: Ich mache mir da keine Sorgen. Hamburg hat noch beträchtliche Reserven, die Zukunft liegt vor allem im Süden und Osten. Große Bereiche sind schon jetzt gut an die Infrastruktur angeschlossen - schauen Sie mal zum Elbmosaik in Neugraben. Wo kann man mit S-Bahn-Anschluss am Alten Land leben? Es kann aber nicht nur um die reine Zahl an Wohnungen gehen. Genauso wichtig ist, dass diese bezahlbar sind und man - wo nötig - soziale Erhaltungsverordnungen zur Eindämmung von Verdrängungsprozessen erlässt.

Sie plädieren zum Leidwesen vieler Bürger dafür, ein oder zwei Stockwerke höher zu bauen ...

Walter: Außerhalb des innerstädtischen Rings kann eine Aufstockung verträglich und bereichernd sein, weil dort die Geschosshöhe stadtauswärts rasch von sechs auf zwei bis drei abfällt. An der Wandsbeker Chaussee oder der Kieler Straße könnte man beispielsweise gut nachverdichten. Davon profitieren die Stadtteile, die Lärmprobleme der benachbarten Quartiere würden gelindert, und Läden und Gaststätten würden den neuen Bewohnern folgen.

Was halten Sie von der Verlagerung der Kompetenzen der Stadtentwicklungsbehörde in die sieben Hamburger Bezirke, hat der Oberbaudirektor nun weniger Vetorechte?

Walter: Die Entflechtungs-Drucksache hat Kompetenzen aus den Senatsämtern abgezogen, Wohnungsbaukoordinator und Oberbaudirektor haben noch ein Vetorecht. De facto ist das keine Entmachtung. Aber strukturell muss Hamburg aufpassen, nicht in sieben Kleinstädte zu zerfallen, sondern die großen Fragen für die Stadt zentral zu entscheiden. Denken Sie an die Neugestaltung des Elbufers, den Sprung über die Elbe oder den A-7-Deckel, die alle mehrere Bezirke betreffen.

Von Hamburger Architekten hört man zuweilen die Kritik, hiesige Büroswürden übergangen, wenn die Stadt zu Wettbewerben einlädt?

Walter: Das ist falsch. Bei uns kommen überwiegend Hamburger Büros zum Zuge. Natürlich gibt es auch Investoren, die mit internationalen Anbietern zusammenarbeiten wollen, und da sollten wir uns Offenheit bewahren.

Was erwarten Sie von der Neuen Mitte Altona?

Walter: Das ist ein besonderes Projekt, gerade weil es im Umfeld großer bewohnter Stadtviertel liegt. Wir stoßen auf beträchtliches Interesse. Die Herausforderungen sind, neue Angebote an Wohnraum zu schaffen, den Güterbahnhof in eine neue Nutzung zu überführen, einen großen Park zu errichten und ein zukunftsweisendes Mobilitätskonzept zu entwickeln. Die Diskussionen um die Neue Mitte ranken sichweniger um Fragen des Städtebaus als die nach bezahlbarem Wohnraum und wenig Verkehr. Ich glaube, dass wir da mit allen Beteiligten zusammenkommen können.

Die Stadtwerkstatt lässt gerade über geliebte und ungeliebte Gebäude abstimmen - wie hätten Sie gestimmt?

Walter: Mein Lieblingsbau ist die Elbphilharmonie. Das wird ein ganz tolles Haus. Was mir gar nicht gefällt, sind die Cityhochhäuser. Es wäre ein großergestalterischer Gewinn, wenn wir das Kontorhausviertel mit einem Backsteinbau hier vollenden könnten.