Ein Architekturzoo!, sagt der frühere Oberbaudirektor Egbert Kossak. Er geht mit städtebaulichen Trends an Alster und Elbe hart ins Gericht.

Er gilt als der eigentliche Vater der HafenCity. Egbert Kossak, Oberbaudirektor von Hamburg zwischen 1981 und 1999, prägte in einer Aufbruchphase das Gesicht der Stadt entscheidend mit. Eigenwillig und streitbar, wie er ist, mischt er sich auch heute noch in die städtebauliche Diskussion ein - immer bemüht um die unverwechselbaren Charakterbauten Hamburgs. Sein neues Buch ist gerade erschienen. Es heißt vielsagend "1100 Jahre Stadtbild Hamburg. Mythos, Wirklichkeit, Visionen". Das zeigt schon das Spannungsfeld, in dem er sich bewegt. Ebenso bewegt sich die Stadt am Strom zwischen städtebaulichen Visionen und dem, was Wirklichkeit wurde. Kossak selbst wohnt in Ottensen unweit der Elbe. Mit ihm sprachen Matthias Iken und Oliver Schirg.

Egbert Kossak über ...

... das Leitbild von der Wachsenden Stadt

Dem aktuellen Leitbild von der Wachsenden Stadt fehlt ein jeglicher Inhalt. Es sollte in dieser Form aufgegeben werden. Weltweit wachsen alle großen Städte. Die entscheidende Frage ist doch: Was soll wachsen? Was soll sich entwickeln? Wer soll Vorteile vom Wachstum haben? Einfach zu sagen, ich baue jedes Jahr 6000 neue Wohnungen, führt nur dazu, dass in ein paar Jahren alle noch verfügbaren Grünflächen zugepflastert sind. Wir benötigen eine Städtebaupolitik, die dem sozialen Zusammenhalt gerecht wird und die ökologisch vertretbar ist. Die Zukunft Hamburgs entscheidet sich am Umgang mit vernachlässigten Stadtteilen. Eine Stadt kann nur sinnvoll wachsen, wenn ihr Wachstum für alle Bürger Vorteile bringt.

... die Städtebaupolitik der vergangenen zehn Jahre

Mit dem früheren sozialdemokratischen Ersten Bürgermeister Klaus von Dohnanyi hatte ich vereinbart, dass es in der inneren Stadt zwischen Altona und St. Georg keine Hochhäuser geben darf. Dann übernahm ein konservativer Senat das Ruder, und die Achtung vor der jahrhundertealten Baukultur der Stadt ging weitgehend verloren. Die Politik hat die Gestaltung der Stadt der Immobilienwirtschaft überlassen. Aber wem gehört die Stadt? Sie gehört allen Bürgerinnen und Bürgern, und alle müssen das Recht haben, sie mitzugestalten. In Hamburg gehört die Stadt aber inzwischen ausschließlich der Wirtschaft, den Maklern und den Grundeigentümern. Die innere City ist der Nutzung der Bürger durch permanente Events längst entzogen.

... die Idee der HafenCity

Ende der 80er-Jahre wurden die ersten Überlegungen zur HafenCity veröffentlicht. Es ging seinerzeit um eine durchmischte Wohnstadt als Ergänzung zur City mit etwas Gewerbe im Inneren der Metropole. Herausgekommen ist das Gegenteil: Jetzt haben wir eine Bürostadt mit etlichen Luxuswohnungen und einer Kulturruine.

... die Umsetzung der HafenCity

Ein guter Städtebau muss Brüche und Überraschungen bieten. Er muss uns Freiräume lassen für zukünftige Entwicklungen - wo auch erst in zehn Jahren weitergebaut werden kann. Man kann nicht Klotz an Klotz bauen. In der HafenCity wurden alle Grünräume plattgemacht. Alle Durchblicke zwischen Speicherstadt und HafenCity sind zugemauert. Vor allem fehlt der städtebauliche Kontext zur Speicherstadt. Die Speicherstadt war aber ein wesentlicher Teil der Grundidee der HafenCity. Was ich da heute sehe, ist ein Architekturzoo. Dies hat mit der Identität Hamburgs nichts zu tun. Hinzu kommt, dass in der HafenCity nicht ein einziges Unternehmen von außen angesiedelt wurde. Es sind immer nur Unternehmen aus der Innenstadt in die HafenCity umgezogen. Alle haben ihre wertvollen Grundstücke in der City gut verkaufen und preiswerte Grundstücke in der HafenCity kaufen können. Das ist keine sinnvolle Stadtentwicklungspolitik.

... die Weiterentwicklung der HafenCity

Die Stadt muss am Baakenhafen jetzt ein vielfältiges Wohnungsbauprogramm mit dem Schwerpunkt Preiswertes Wohnen entwickeln. Dann können am östlichen Ende der HafenCity auch Wohnhochhäuser stehen. Entscheidend ist, dass ein Wohnstadtteil mit besonderer Identität entsteht: ohne Bürobauten, aber mit freien Räumen und Plätzen, hier sollte Wasser und Landschaft gegen Architektur gesetzt werden.

... die Identität Hamburgs

Über 600 Jahre war das zentrale Element der Identität Hamburgs das Vis-à-Vis von Stadt und Hafen bestehend aus drei Elementen. Der Hafen liegt südlich der Elbe als Panorama und vor der Stadt. Es folgt am Nordufer der Stadtkörper als wahrnehmbare Einheit - Altona, St. Pauli, City, Vorstadt St. Georg, Hammerbrook -, aus dem die schlanken, eleganten Kirchtürme herausragen. Den Abschluss bildet der Landschaftsraum der Alster. Bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg ist an dieser Identität festgehalten worden. Wenn Sie jetzt das Gebäude der Elbphilharmonie in die Skyline stellen, ist dieses historische Panorama Hamburgs gestört.

... die Elbphilharmonie

Es ist mir unverständlich, warum die Konzerthalle auf den alten Kaispeicher gebaut werden musste. Von der inneren Struktur des Speichergebäudes bleibt doch nichts übrig. Außerdem: Wenn ich eine Elbphilharmonie baue, benötige ich einen großzügigen Vorplatz, eine Plattform mit Vorfahrt. Da müssen Taxis und Busse warten können. Wenn aber die Elbphilharmonie eröffnet sein wird, wird niemand hin-, und am Ende der Veranstaltungen wird auch kaum einer wegkommen. Mein entscheidender Einwand ist aber: Mit der Elbphilharmonie wird ein Gebäude errichtet, das die Speicherstadt in den Schatten stellt. Zugleich wird damit eine Identität der Beliebigkeit geschaffen. Die Botschaft lautet: "In Hamburg kann ich alles machen!"

... das öffentliche Verkehrssystem

Es gibt keine Metropole in Europa, die heute über kein Stadtbahnsystem verfügt. Dass Hamburg auf dieses Verkehrsmittel verzichtet, ist kurzsichtig. Notwendig ist eine Verkehrsvision, die eine Stadtbahn und eine Reduzierung des Innenstadtverkehrs beinhaltet. Dazu gehört das "Einschmelzen" der Willy-Brandt-Straße von sechs auf vier Fahrbahnen. Und wer den Lkw-Verkehr aus der Stadt haben will, kommt um die Hafenquerspange nicht herum oder müsste die Willy-Brandt-Straße sperren.

... neue Flächen für den Wohnungsbau

Hamburg muss, wenn es im kommenden Jahrzehnt jährlich 6000 Wohnungen bauen will, an die Gewerbeflächen gehen. Die Wirtschaft frisst einfach zu viel Fläche. Es sollten keine Gewerbebauten mit unter drei Vollgeschossen zugelassen werden. Sie können anderswo Ersatz bekommen, zum Beispiel auf dem Gelände in Kaltenkirchen, auf dem ursprünglich der neue Flughafen gebaut werden sollte. Ich würde dort ein zentrales Logistikzentrum errichten und mit dem Hafen vernetzen. Dann kann auch der Hafen einen Teil seiner Flächen der Stadt zurückgeben. Ganz Hammerbrook könnte ein wunderbares Stadtentwicklungsgebiet sein. Stattdessen werden dort auf Gewerbeflächen verrostende Autos, die nach Afrika exportiert werden sollen, zwischengelagert und eingeschossige Schuppen in einer der zentralen Lagen Hamburgs dem Leerstand überlassen.

... die Idee, ein, zwei Stockwerke höher als früher zu bauen

Gegen moderat höhere Gebäude ist nichts einzuwenden, aber bitte nicht in der City! Aber ich muss eine Strategie haben. Der Senat sollte sich sechs bis zehn Quartiere in der Stadt aussuchen und dort mit aller Kraft gute städtebauliche Ensembles entstehen lassen. Dazu gehören Parks, eine vernünftige Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr und Wohnanlangen mit Serviceeinrichtungen im Erdgeschoss. Wenn in eine Gegend wie zum Beispiel in Jenfeld nur Hochhäuser gestellt werden, wird das Gebiet innerhalb von drei bis fünf Jahren zu einem Slum. Denkbar ist eine städtebauliche Akzentuierung der fünf Hauptmagistralen. In der ersten Reihe könnten durchgehend wie in der Gründerzeit Gebäude mit sechs Geschossen stehen, dahinter dann Häuser mit weniger Geschossen, aber auch einzelne Hochhäuser.

... die Verlagerung von Kompetenzen der Stadtentwicklungsbehörde in die Bezirke

Wenn man mir das in meiner Zeit als Oberbaudirektor vorgesetzt hätte, hätte ich vom Ersten Bürgermeister eine anständige Entlassung verlangt. Die Bürgerschaft kann seit dieser Kompetenzverlagerung Stadtentwicklung nicht mehr wirklich betreiben. Jetzt entscheiden die Bezirke. Alle schwärmen von dem legendären Hamburger Oberbaudirektor Fritz Schumacher. Sein Erfolg hatte seinerzeit auch mit der vorbehaltlosen Unterstützung durch Senat und Bürgerschaft zu tun. Wenn Schumacher nur von Finkenwerder oder Billstedt unterstützt worden wäre, dann hätte auch er keinen Erfolg gehabt. Er hätte sofort seine Kündigung eingereicht!

... die Internationale Bauausstellung

Ich schätze das hohe Engagement von Ulli Hellweg sehr, aber er muss das falsche Programm am falschen Standort realisieren. Die IBA soll ja Wohnkonzepte für die unteren und mittleren Einkommensschichten entwickeln, um preiswerten Wohnraum zu sichern und soziales Milieu zu schützen, und hätte daher beispielsweise in Hammerbrook, Billstedt oder Lurup angesiedelt sein sollen. In Wilhelmsburg kann man nur Wohnungen anbieten, deren Mietpreis bei sieben Euro pro Quadratmeter liegt. Jetzt wird dort etwas gebaut, das bei dem doppelten Mietpreis anfängt und damit die Bedürfnisse der Menschen vor Ort ignoriert. Wir haben in den 90er-Jahren rund 250 Millionen Mark in die Erneuerung von Wilhelmsburg investiert.

... die Neue Mitte Altona

Ich würde abwarten, bis die Bahn sich wirklich entschieden hat. Ich glaube nämlich: Die Bahn wird sich auf kein zweites Stuttgart 21 einlassen. Wir führten bereits vor der Jahrtausendwende intensive Gespräche mit der Bahn. Sie haben alle nichts erbracht. Zudem lässt die Bahn gerade prüfen, ob die Erneuerung der Bahnanlagen sie nicht günstiger kommt als die Verlagerung des Altonaer Bahnhofs. Ich gehe davon aus, dass vor Ende 2013 nichts passiert. Ferner darf man nicht vergessen, dass der Boden auf einem großen Teil der Bahnfläche durch das ehemalige Bahnbetriebswerk (1856-1980) belastet ist.

... das Vorkaufsrecht der Stadt auf Flächen der Neuen Mitte Altona

Die Stadt muss bei derart wichtigen Stadtentwicklungsprojekten das Vorkaufsrecht für die notwendigen Flächen ausüben. Nur dann kann sie sicherstellen, dass ihre Pläne auch wirklich umgesetzt werden. Außerdem ist den Bürgern nicht zu erklären, warum ausschließlich private Großunternehmen finanziell von der Entwicklung eines Stadtteils so enorm profitieren sollen.

... das, was in Hamburg besonders misslungen ist

Der schwerwiegendste Fehler besteht darin, dass der Senat die massive soziale Spaltung über viele Jahrhunderte gefördert hat. Das hat vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Hamburgs Ansehen in Europa immens geschadet - siehe Cholera-Epidemie. Die Verantwortungslosigkeit der Oberschicht gegenüber der Verelendung in der Stadt ist eigentlich erst in der Aufbauphase nach dem Krieg eingeschränkt worden. Jetzt gewinnt die soziale Spaltung der Stadt leider wieder massiv an Bedeutung.

... das, was in Hamburg besonders gut gelungen ist

Um 1600 hatte Hamburg einen starken Grundriss und war eine stabile Stadt. Dann haben die Hamburger eine Vision gehabt und ihre Stadt befestigen lassen. Um die Zeit des Dreißigjährigen Krieges war Hamburg für fast 200 Jahre uneinnehmbar. Einen zweiten genialen Moment gab es rund um den Großen Brand. Zwischen 1825 und 1845 wurde die Stadt modernisiert. Der dritte Einschnitt ist das Aufkommen der Eisenbahn. Nun konnten viel größere Distanzen überwunden werden. In nur 20 Jahren wurde Hamburg mit ganz Europa vernetzt und wurde so zur bedeutendsten Verkehrsmetropole Nordeuropas.

Hamburg muss jetzt wieder einen Weg zu einer starken und eigenständigen Baukultur finden, um seine Identität als internationale Metropole mit Ausstrahlung zurückzugewinnen. Hamburg braucht eine nachhaltige Vision für die Stadtgestaltung! Jetzt!